| # taz.de -- Zweitnutzung von Forschungsdaten: Das Netz der Datenfischer | |
| > Mühsam ermittelte Daten werden oftmals nur von einem Forscherteam | |
| > genutzt. Mit dem Ausbau von Netzwerken für Forschungsdaten soll sich das | |
| > ändern. | |
| Bild: Besonders sensibel sind personenbezogene Gesundheitsdaten | |
| Berlin taz | Daten sind der Rohstoff moderner Forschung. Sie werden zu | |
| Informationen verdichtet, aus denen im Kontext Wissen entsteht, das | |
| letztlich Fortschritt generieren soll. So die Theorie. In der Praxis wird | |
| derzeit in der deutschen Wissenschaft ein System aufgebaut, das den | |
| Durchlauf durch diese Wissenspyramide beschleunigen und effizienter machen | |
| soll: [1][die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI)]. Hinter dem | |
| Begriffsungetüm verbirgt sich eine der erfolgreichsten | |
| Wissenschaftsinnovationen der letzten Jahre. | |
| Welchen Nutzen eine bessere Nutzung von Daten mittels digitaler | |
| Technologien und künstlicher Intelligenz (KI) bewirken kann, zeigt ein | |
| Beispiel aus der Medizin, wo eine Open-Science-Plattform bei der | |
| Entwicklung des Covid-19-Impfstoffs eingesetzt wurde. „Was sonst rund zehn | |
| Jahre benötigt, wurde um den Faktor 10 verkürzt“, berichtete die TU | |
| Darmstadt zum Start des von ihr koordinierten NFDI-Konsortiums für die | |
| Ingenieurwissenschaften (NFDI4Ing). | |
| Mittlerweile gibt es 19 derartige Verbünde, die in den letzten drei Jahren | |
| von Universitäten, Forschungsinstituten, Bibliotheken und Rechenzentren | |
| gebildet wurden, jeweils zu einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin und mit | |
| nationaler Reichweite. Ihre Mission: die in ihrem Fach in der Vergangenheit | |
| angefallenen Forschungsdaten aus der Vielzahl von Projekten zu sammeln und | |
| besser sichtbar zu machen. | |
| Mit neuen Software-Tools sollen die Daten auch miteinander kombiniert | |
| werden („Interoperabilität“) und letztlich [2][über eine Zweitnutzung auch | |
| zusätzliche Forschungserkenntnisse] bewirken. Das Recyclingprinzip hält | |
| Einzug in den Forschungsprozess. | |
| „Das Ziel von NFDI ist, ein nachhaltiges Forschungsdatenmanagement mit | |
| einheitlichen Standards zu etablieren und in die Breite der | |
| Wissenschaftsdisziplinen zu tragen“, formuliert es der Kopf der | |
| Gesamtoperation, um nicht zu sagen: das Gehirn: der Informatik-Professor | |
| York Sure-Vetter vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). | |
| ## Große Resonanz | |
| Im Auftrag der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern | |
| (GWK) fungiert Sure-Vetter seit dem Start 2019 als Direktor der Nationalen | |
| Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), die in Form eines eingetragenen | |
| Vereins organisiert ist, mit inzwischen an die 200 Mitgliedern und einer | |
| Geschäftsstelle in Karlsruhe mit 13 Mitarbeitern. | |
| „Neu ist der Anspruch, alle Wissenschaftsdisziplinen in Deutschland an | |
| einen Tisch zu bringen“, hebt Sure-Vetter hervor. Inzwischen hat die | |
| Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) mit ihrer wissenschaftlichen | |
| Expertise 19 Fachkonsortien ausgewählt, die bis zum Jahr 2028 aus dem | |
| GWK-Topf eine Förderung von bis zu 90 Millionen Euro jährlich erhalten. | |
| Im Oktober sind zehn neue Konsortien aus den Sozial- und | |
| Verhaltenswissenschaften, der Physik, Informatik, System- und | |
| Elektrotechnik, Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, den | |
| Lebenswissenschaften sowie den Geisteswissenschaften dazugekommen. Im Mai | |
| 2022 wird über die dritte Tranche entschieden, sodass die Endzahl von 30 | |
| NFDI-Netzwerken erreicht sein wird. | |
| Wie in jedem Neuland, dem virtuellen zumal, ist auch auf dem Datenfeld | |
| Erschließungsarbeit vonnöten. „Die Mobilisierung von Daten ist schon | |
| innerhalb der Wissenschaft kein leichtes Geschäft, wo viele Forschende und | |
| Forschungsgruppen verständlicherweise hohen Wert auf die Kontrolle über | |
| ihre Daten legen und der Aufwand für deren Erschließung und Publikation | |
| noch wenig gewürdigt wird“, haben die Betreiber des am | |
| Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) angesiedelten Artenschutz-Netzwerks | |
| „NFDI4BioDiversity“ erfahren müssen. | |
| Das Konsortium mit 49 Partnern aus Wissenschaft, Behörden und | |
| Bürgerwissenschaften ist aus dem Vorgängerprojekt German Federation for | |
| Biological Data (GFBio) entstanden, das schon länger Daten über die | |
| Artenvielfalt der Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen sammelt. | |
| Zum Verbund gehört auch die Gesellschaft für Ichthyologie, die als | |
| zoologische Fachgesellschaft für Fischkunde die „wissenschaftliche | |
| Beschäftigung mit Fischen in allen Bereichen von Forschung, Praxis und | |
| Hobby“ fördert. Sie verfügt über rund 100.000 Datensätze aus Literatur, | |
| Datenbankabfragen und originären Citizen-Science-Daten aus der Anglerwelt, | |
| die zu Verbreitungskarten aller in Deutschland vorkommenden Süßwasser- und | |
| Meeresfischarten aggregiert werden. | |
| ## Citizen-Science-Daten von Angler | |
| „Wir möchten die Kommunikation zwischen fischkundlichen Arbeitsgruppen | |
| fördern, suchen den Austausch mit anderen faunistischen Initiativen und | |
| möchten uns aktiv in die Initiativen der Biodiversitätsinformatik | |
| einbringen“, begründen die Fischfreunde ihr Interesse, vom Anglernetz ins | |
| Datennetzwerk zu wechseln. | |
| Das Artenschutz-Konsortium hat Großes vor. „Wir wollen 450 Observatorien in | |
| einem Datenverbund zusammenführen und zum Hostpot der | |
| Biodiversitätsforschung ausbauen“, kündigte UFZ-Chef Georg Teutsch auf der | |
| Jahreskonferenz von „NFDI4BioDiversity“ im September an. Man möchte auch an | |
| der europäischen Vision „Destination Earth“ mitwirken, die das Ziel hat, | |
| „digitale Zwillinge“ für Klimaschutzmaßnahmen zu entwickeln, um ökologis… | |
| Folgewirkungen besser abschätzen zu können. „Biodiversitätsdaten werden bei | |
| diesem Vorhaben eine zentrale Rolle spielen“, ist sich Teutsch sicher. | |
| An der ZB MED in Köln, der Deutschen Zentralbibliotek Medizin, leitet die | |
| Bioinformatikerin Juliane Fluck den Bereich Wissensmanagement und amtiert | |
| zugleich als Sprecherin des Konsortiums „NFDI4Health“, das Infrastrukturen | |
| für Gesundheitsdaten entwickelt. | |
| „Wir fokussieren auf personenbezogene Gesundheitsdaten und möchten diese in | |
| Deutschland auffindbar und besser nutzbar machen“, sagt Fluck und hat damit | |
| schon die Hälfte des „FAIR“-Prinzips beschrieben, nach dem alle | |
| NFDI-Konsortien arbeiten. Unter der englischen Abkürzung „FAIR“ (Findable, | |
| Accessible, Interoperable, Reusable) wird verstanden, Forschungsdaten | |
| besser zu finden, zugänglich zu machen, sie miteinander kombinieren und | |
| erneut nutzen zu können. | |
| Die [3][Gesundheitsdaten] stammen aus zwei großen Quellen: der klinischen | |
| Forschung an Patienten und der epidemiologischen Forschung aus | |
| Public-Health-Überwachungen, die in den Corona-News täglich über die | |
| Fernsehschirme flimmern. Bei personenbezogenen Daten bestehen generell | |
| Zugriffbeschränkungen durch den Datenschutz. | |
| „Unser Vorteil ist, dass wir für die klinischen Studien schon eine | |
| Patienteneinwilligung haben“, erklärt Fluck. Zwar gibt es schon ein | |
| Zentralregister für klinische Forschungsdaten, verbessert werden muss aber | |
| durch neue Software die interoperationelle Vergleichbarkeit der Daten, auch | |
| mit den Gesundheitsbefunden der Epidemiologen. | |
| ## Zentrale Datenspeicher sind nicht nötig | |
| Geplant ist aber „keine zentrale Datenbevorratung“, so die | |
| NFDI4Health-Sprecherin, sondern die Daten bleiben dort, wo sie erhoben | |
| wurden: „an verschiedenen Instituten, die auch die entsprechenden | |
| Sicherheitsmaßnahmen dort etabliert haben“, so Informatikerin Fluck. „Aber | |
| wir wollen eine verteilte Datenanalyse zulassen, bei der sozusagen die | |
| Software zu den Daten geht, unter datenschutzgerechten Bedingungen dort die | |
| Analysen macht und dann weiterwandert“. So funktioniert KI in der | |
| Medizin-Translation zwischen Diagnose und Therapie. | |
| In der Karlsruher Vereinszentrale, dem NFDI-Direktorium, findet vor allem | |
| organisatorische Vernetzung statt. „Die einzelnen Communitys sind auf einem | |
| sehr unterschiedlichen Entwicklungsstand“, hat Sure-Vetter festgestellt. Um | |
| dies auszugleichen, wurden im Oktober vier erste „Sektionen“ im Verein | |
| eingerichtet, die Basiswissen vermitteln und Kooperationen antriggern | |
| wollen. Dazu zählen die Themen Metadaten und Datenherkunft, Infrastrukturen | |
| und Software-Komponenten, die Ausbildung von Datenkompetenz schon im | |
| Studium sowie ethische, soziale und rechtliche Aspekte des | |
| Forschungsdatenmanagements. | |
| Wenn die begonnene Vernetzung und Synergien Früchte tragen, so Sure-Vetters | |
| Blick in die Zukunft, wird der Umgang mit Daten nach den FAIR-Prinzipien | |
| dann „nahtlos in die Forschungsprozesse eingebunden sein“. Auf diese Weise, | |
| so die Erwartung des NFDI-Direktors, „werden zunehmend schneller | |
| Forschungsergebnisse erzielt“. | |
| 19 Dec 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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