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# taz.de -- Geflüchtete in Tansania: „Freiwillig“ in den Knast
> Burundische Flüchtlinge sollen Tansania „freiwillig“ den Rücken kehren.
> Doch heute sitzen einige in Burundi im Gefängnis – so wie Anaclet
> Nkunzimana.
Bild: Auf dem Weg nach Tansania: Ein Konvoi aus „freiwilligen Rückkehrern“
Berlin taz | Um drei Uhr morgens reißt ein lautes Scheppern Anaclet
Nkunzimana aus dem Schlaf. Eine Faust klopft gegen die Wellblechtür seiner
Lehmhütte. Nkunzimana öffnet die Augen, er liegt im Bett, neben ihm seine
Frau und seine drei kleinen Söhne. „Wer ist da?“, ruft er. „Polizei,
aufmachen!“ Bevor er reagieren kann, treten mehrere Männer seine Tür ein.
Sie tragen Masken. Nkunzimana beginnt zu schreien. Bevor er sich anziehen
kann, schlagen die Männer auf ihn ein, fesseln ihn und zerren ihn in einen
vor der Tür wartenden Pick-up. In dem sitzen bereits zwei weitere
Geflüchtete. Auch sie wurden in dieser Nacht aus ihren Familien gerissen.
Nkunzimana ist einer von über 300.000 Menschen, die in den Jahren 2015 und
2016 aus Burundi flohen. Damals töteten Polizei, Militär und der
Regierungspartei nahestehende Milizen Hunderte Oppositionelle, nachdem
diese gegen eine verfassungswidrige dritte Amtszeit des damaligen
[1][Präsidenten Pierre Nkurunziza] protestiert hatten. Zuflucht fanden
viele im großen Nachbarland Tansania.
Heute kehren viele dieser Geflüchteten wieder nach Burundi zurück – 183.000
seit 2017, allein dieses Jahr rund 64.000, so das
UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), das die Heimkehr organisiert und mit
den Regierungen Tansanias und Burundis koordiniert. Die Idee: In Konvois
werden Rückkehrwillige ins Heimatland gefahren, landen erst mal in einem
Transitlager und bekommen dann Starthilfe für ein neues Leben.
Alle haben etwas davon: Tansania entledigt sich der als Belastung
wahrgenommen Geflüchteten; Burundi signalisiert, dass es wieder sicher ist;
und die Geflüchteten können zurück nach Hause, finanziell unterstützt vom
UNHCR. Es könnte eine Erfolgsgeschichte sein. Wären da nicht Fälle wie der
von Anaclet Nkunzimana.
## Keine Perspektive in Tansanias Camps
Anaclet Nkunzimana, 36, sitzt heute in Burundi im Gefängnis. Mit ihm zu
kommunizieren ist nicht leicht. Über Gespräche mit Familienmitgliedern und
Wegbegleitenden lässt sich seine Geschichte jedoch rekonstruieren.
Nkunzimana flieht im Mai 2016 aus Burundi. Damals lebt er als Prediger im
Landesinneren. Er hält Messen ab, organisiert gemeinsam mit einer Kirche
die Unterbringung von Waisen und hilft im Dorf bei Landstreitigkeiten. Doch
seine Zusammenarbeit mit Kirchen aus den USA und Japan erregt
Aufmerksamkeit und den Verdacht, als ausländischer Agent gegen die
Regierung zu arbeiten. Als sein Onkel ermordet wird, beschließt er zu
fliehen.
Im Flüchtlingscamp Mtendeli in Tansania angekommen, lässt Nkunzimana sich
von einer NGO zum Fußballtrainer ausbilden. Die Arbeit mit Kindern und
Jugendlichen macht ihm Spaß. Er heiratet, bekommt eigene Kinder. In der
Camp-Hierarchie steht er mit seinem Job weit oben.
Die Kooperation mit NGOs ist eine der wenigen Möglichkeiten für Geflüchtete
wie ihn, Geld zu verdienen. Denn seit seiner Ankunft im Jahr 2016 ist
Nkunzimana wie alle Geflüchteten in seinem Lager interniert. Wer es
verlässt, riskiert die Abschiebung. Zudem ist jegliche ökonomische
Aktivität verboten. Immer wieder zerstört die Regierung kleine Restaurants
oder Kioske, die die Geflüchteten sich innerhalb der Lager aufbauen.
Während die provisorischen Schulen den Kindern ein wenig Abwechslung
bieten, bleibt Tausenden Erwachsenen nur das Schlangestehen zum Abholen von
Rationen.
Wer diesen Zuständen entkommen will, dem bieten die Regierungen einen
einfachen Ausweg: die Rückkehr nach Burundi. Präsident Évariste
Ndayishimiye, der im Mai 2020 die Nachfolge des verstorbenen Pierre
Nkurunziza antrat, erzeugte zunächst Hoffnung, dass sich die Dinge in
Burundi zum Besseren wenden.
## Folter in der Nacht
Doch bislang ist davon wenig zu sehen. Im September dieses Jahres schrieb
die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte unabhängige
Untersuchungskommission zu Burundi, dass trotz vereinzelter symbolischer
Gesten [2][weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen] mit Duldung oder
sogar auf Veranlassung der Behörden begangen werden. Zu diesen gehört auch
die Inhaftierung von Nkunzimana.
Als der Burunder am 23. Juli 2020 mitten in der Nacht aus seiner Hütte im
Lager in Tansania entführt wird, bringen die maskierten Männer ihn und
sieben weitere Geflüchtete auf eine Polizeistation. Dort foltern sie ihn
brutal. Sie fordern Geld und werfen ihm vor, sich politisch engagiert und
Geflüchtete an der freiwilligen Rückkehr gehindert zu haben. So berichten
es er und seine Mitgefangenen. [3][Human Rights Watch hat die Vorfälle
ausführlich dokumentiert].
Nach 23 Tagen fragen die Entführer sie, ob sie nach Burundi wollen. Alle
acht Gefangenen sagen Ja. An einem inoffiziellen Grenzübergang findet die
Übergabe an die burundischen Behörden statt. Seitdem sitzt Nkunzimana in
Burundi im Gefängnis.
Die genauen Umstände der Entführung und Folter von Nkunzimana und den
sieben weiteren Männern ist bis heute nicht geklärt. Die UN-Arbeitsgruppe
gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen wirft den
Sicherheitsbehörden von Tansania und Burundi gemeinsame Zwangsrückführungen
vor. In einer Antwort an die Arbeitsgruppe vom April 2021 bezeichnet
Burundis Außenministerium diese Anschuldigungen als „allesamt unwahr“.
Tansanias Regierung hat im August 2020 eine Untersuchung zu den Fällen
angekündigt. Ergebnisse sind bisher nicht bekannt.
## Keine Alternativen zur Rückkehr
Antonio Canhandula ist UNHCR-Repräsentant in Tansania. Zum Jahresende geht
er nach 32 Dienstjahren in den Ruhestand. Er scheut sich nicht, den Druck
anzusprechen, dem die Geflüchteten ausgesetzt sind.
Formal gehen alle Geflüchteten freiwillig. Vor ihrer Abreise fragen
Mitarbeitende des UNHCR jeden: „Willst du wirklich gehen?“ Aber ob eine
Rückkehr freiwillig ist, entscheidet sich schon weit früher. Tansania
sendet laut Canhandula eine klare Botschaft: „Wir schicken euch nach Hause,
freiwillig.“ Physischer Zwang, wie im Fall von Nkunzimana, ist die
Ausnahme. Aber für die Geflüchteten gibt es kaum Alternativen zur Rückkehr.
Dass das UNHCR sich trotzdem weiter an den Rückführungen beteiligt, ist für
Canhandula alternativlos. „Wir können nicht einfach vom Tisch aufstehen und
gehen“, sagt er. Die Menschenrechtslage, die Unterbringung der
Geflüchteten, all dies sei nicht perfekt. „Aber wenn wir nicht mehr mit der
Regierung zusammenarbeiten, leiden die Geflüchteten“, sagt er.
Der UNHCR-Repräsentant in Burundi, Abdul Karim Ghoul, sieht dies ähnlich.
Und er ist optimistisch: „Die [4][neue burundische Regierung] zeigt guten
Willen. Sie will, dass die Rückkehrer sich hier wohlfühlen.“
Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, wird auch der Umgang mit Anaclet
Nkunzimana zeigen. Er und fünf der sieben mit ihm Entführten sitzen über
ein Jahr nach ihrer gewaltsamen Rückführung aus Tansania immer noch im
Gefängnis. Hinter den Kulissen drängen NGOs und internationale
Organisationen die burundische Regierung und Justiz zur Freilassung der
Gefangenen. Für den 7. Januar 2022 hat das zuständige Berufungsgericht
seine Entscheidung angekündigt.
Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der DGVN zum
Thema „Herausforderung Mixed Migration“, finanziert mit Mitteln des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
(BMZ).
30 Dec 2021
## LINKS
[1] /Nachruf-auf-Burundis-Staatschef/!5692090
[2] /UN-Bericht-zu-Burundi/!5441757
[3] https://www.hrw.org/news/2020/11/30/tanzania-burundian-refugees-disappeared…
[4] /Corona-in-Burundi/!5695996
## AUTOREN
Mitsuo Iwamoto
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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