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# taz.de -- Filmfestival Mannheim-Heidelberg: Junge Talente erwünscht
> Das Filmfestival Mannheim-Heidelberg wird unter neuer Leitung wieder
> internationaler. Beim 70. Jubiläum waren viele Regisseurinnen vertreten.
Bild: Szene aus dem Eröffnungsfilm „You Resemble Me“ von Dina Amer
Der neue Leiter des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg ist
den Ausnahmezustand fast schon gewohnt. Im vergangenen Jahr hatte Sascha
Keilholz das nach der Berlinale zweitälteste Filmfest in Deutschland
übernommen, um es nach fast drei Jahrzehnten unter Michael Klötz inhaltlich
neu zu positionieren.
Eine Woche vor Beginn wegen der zweiten Coronawelle musste er mit seinem
Team prompt [1][eine virtuelle Ausgabe] auf die Beine stellen. Ein Jahr
später nun konnte sich das IFFMH, das am Sonntag zu Ende ging, erstmals vor
physisch anwesendem Publikum beweisen.
Allerdings unter erneut schwierigen Bedingungen, kurz vor Beginn machte die
wieder hochschießende Inzidenz dem Festival zu schaffen. Etliche
Filmemacher*innen sagten kurzfristig ab, darunter Ehrengäste wie die
britische Regisseurin Andrea Arnold, die für ihr Schaffen mit dem Grand
IFFMH Award ausgezeichnet werden und ihren Dokumentarfilm „Cow“ über das
Leben einer Milchkuh vorstellen sollte. Auch das heimische Publikum war
zögerlich, trotz vorbildlicher Sicherheitsmaßnahmen.
## Internationale Regisseurinnen
Bemerkenswert war die starke Präsenz internationaler Regisseurinnen in der
ambitionierten Auswahl. Gleich mit dem Eröffnungsfilm „You Resemble Me“,
ein immer wieder Tonfall und Richtung änderndes Sozialdrama über zwei
muslimische Schwestern, von den sich eine auf den Straßen von Paris
radikalisiert, präsentierte das Festival mit der Journalistin und
Debütregisseurin Dina Amer eine aufregende neue Stimme im Weltkino.
Eine ganze Riege älterer Damen steht im Zentrum von Ainhoa Rodríguez’
skurrilem Debüt „Destello Bravío“, in dem sie genüsslich Patriarchat und
Katholizismus ihrer spanischen Heimat seziert. Zu sehen waren auch bereits
auf anderen Festivals gefeierte Filme wie der [2][Berlinale-Beitrag „Petite
Maman“ von Céline Sciamma], der [3][Gewinnerfilm von San Sebastián „Blue
Moon“ der rumänischen Debütregisseurin Alina Grigore] über die
Identitätssuche einer jungen Frau und das surreal-düstere Kammerspiel
„Earwig“ von Lucile Hadzihalilovic über ein Mädchen mit Zähnen aus Eis.
Dass Reüssieren durchaus auch spätberufen möglich ist, zeigt die
international renommierte Casterin Antoinette Boulat, die zahllose Filme
von Olivier Assayas besetzte und mit dem rau-poetischen Selbstfindungsdrama
„My Night“ auf den Regiestuhl wechselte.
## Gefeiert wurde runder Geburtstag
Gefeiert wurde nicht nur ein Neubeginn, sondern auch ein runder Geburtstag.
Zur 70. Jubiläumsausgabe betonten die Kuratoren in einer Retrospektive
Umbrüche und Wendepunkte und machten damit programmatisch deutlich, auf
welche Tradition sie sich berufen.
Denn die Neuausrichtung ist so neu nicht, bereits früher wurden hier
Entdeckungen abseits des Mainstreams gemacht wie das Spielfilmdebüt „The
Experiment“ von Abbas Kiarostami oder Satyajit Rays „Pather Panchali“, die
hier erstmals vor westeuropäischem Publikum liefen.
Mit weiteren Beiträgen wie Věra Chytilovás „Von etwas anderem“ aus dem J…
1963, der damals mit dem Großen Preis der Stadt Mannheim ausgezeichnet
worden war, und Gertrud Pinkus’ „Das höchste Gut einer Frau ist ihr
Schweigen“ von 1980 ließen sich weibliche Perspektiven früherer Jahrzehnte
wiederentdecken.
## Überregional relevant
Daran wollen Keilholz und sein Programmteam anschließen und aus
Mannheim-Heidelberg wieder ein überregional relevantes Festival machen, das
innovativ und aufregend sein soll. Dabei bringen sie zum einen ästhetisch
interessante Entdeckungen der großen A-Festivals, meist als deutsche
Premieren.
Aus Cannes liefen mit Arnolds „Cow“ und dem neuen Spielfilm von
Achitpatpong Weerasethakul, „Memoria“ mit Tilda Swinton als Exilantin in
Kolumbien, die immer wieder von einem Geräusch hochschreckt, das nur sie zu
hören scheint, zwei kontemplative Filmkunstwerke, die erst auf der großen
Leinwand ihren Sog entfalten.
In diese Reihe gehört auch der Venedig-Beitrag „Il buco“ von Michelangelo
Frammartino, der mit faszinierendem Langmut den Erstabstieg in eine
Hunderte Meter tiefe Höhle in Kalabrien nachstellt und zu einer immersiven
Reflexion über Wahrnehmung von Raum und Zeit macht. Den Preis der Jungen
Jury erhielt Rodrigo de Oliveiras beeindruckendes Drama „The First Fallen“
über das Aufkommen der Aids-Krise im Brasilien der frühen 1980er Jahre,
eine echte Entdeckung, das Festival zeigte den Film als Weltpremiere.
Das IFFMH strebt so im zweiten Jahr nach Neustart einen Spagat zwischen
regionalem Publikumsevent und Treffpunkt der internationalen cinephilen
Community an und orientiert sich mit seiner innovativen, diversen und junge
Talente fördernden Auswahl deutlich Richtung europäischer A-Festivals wie
Locarno. Inhaltlich ist das bereits hervorragend gelungen. Mögen sich in
den kommenden Jahren auch die Umstände fügen.
23 Nov 2021
## LINKS
[1] /Filmfestival-Mannheim-Heidelberg-online/!5725632
[2] /Vierter-Tag-Filmfestival-Berlinale/!5750957
[3] /Filmfestival-San-Sebastian/!5800229
## AUTOREN
Thomas Abeltshauser
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