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# taz.de -- Grünen-Gesundheitsexperte zu Impfpflicht: „Sie haben ein Recht a…
> Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen will eine Impfpflicht in
> wenigen Einrichtungen. Auch für lokale Lockdowns spricht er sich aus.
Bild: Seniorenheim in Brandenburg: Eine Einrichtung, wo Menschen für Andere ve…
taz: Herr Dahmen, sind Sie für eine [1][allgemeine Corona-Impfpflicht]?
Janosch Dahmen: Nein. Eine allgemeine Impfpflicht ist im Moment kein
geeignetes Instrument, um eine höhere Impfquote zu erreichen. Sie würde bei
den Ungeimpften eher eine Abwehrhaltung hervorrufen und die Debatte
polarisieren.
Ist Furcht vor [2][Polarisierung] das entscheidende Argument? Die Zahl der
Neuinfektionen schießt in die Höhe, die Corona-Situation eskaliert.
Als Politiker muss ich mir immer überlegen, mit welchem Instrument ich ein
Ziel am besten erreiche. Wir müssen die Impflücken in der Bevölkerung
schließen und massiv das Boostern stärken, also die Auffrischungsimpfung
für derzeit als vollständig geimpft geltende Menschen. Würde das
Ampelbündnis jetzt eine Impfpflicht ins Spiel bringen, würde sich die
Debatte wochenlang darum drehen – und dadurch auf der Stelle treten.
Aber die Regierung in spe ist dazu verpflichtet, die Gesundheit der
Bevölkerung zu schützen. Warum nimmt sie so viel Rücksicht auf Menschen,
die erwiesenermaßen falsche, für andere gefährliche Positionen vertreten?
Verfassungsrechtlich könnte man eine allgemeine Impfpflicht gut begründen,
keine Frage. Aber ungeimpfte Menschen sind nicht alle verbohrte Spinner.
Als Arzt tausche ich mich eng mit KollegInnen auf mehreren
Intensivstationen aus. Die Ungeimpften, die da gerade in kritischem Zustand
liegen, sind mehrheitlich keine Hardcore-Coronaleugner, sondern Menschen
mit wenig Geld, wenig Bildung und schlechtem Zugang zum Gesundheitswesen.
Außerdem ist auch ein relevanter Teil der Geimpften gegen eine allgemeine
Impfpflicht.
Das heißt: Es braucht nur eine bessere Informationskampagne, damit die
Impfquote steigt?
Die Menschen in Deutschland waren in den vergangenen eineinhalb Jahren mit
einem undurchsichtigen Regelwerk konfrontiert, das sich ständig änderte.
Außerdem war es zu lange möglich, trotz der Gefährdung Anderer, problemlos
ungeimpft durch den Alltag zu kommen. Es fehlte also das Wissen, aber auch
der Druck, sich mit dem Thema Impfen ernsthaft auseinanderzusetzen. Beides
muss sich ändern. Andere Länder in der EU beweisen, dass hohe Impfquoten
auch ohne Pflicht erreichbar sind. [3][In Österreich scheinen die
Einschränkungen für Ungeimpfte] nun ebenfalls die Impfquote anzukurbeln.
Ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kündigte am Montag eine
Impfpflicht in Pflegeheimen und Kitas an – und musste sich wenig später
korrigieren, weil SPD und FDP protestierten. Wie kann so etwas passieren?
Das besprechen wir intern. Wir werden über diese und andere Maßnahmen mit
unseren Partnern in der Ampel reden. Sie müssen in einem weiteren
Gesetzgebungsverfahren auf den Weg gebracht werden.
Warum sind Sie für eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen – aber
gegen eine allgemeine Impfpflicht?
Eine einrichtungsspezifische Impfpflicht ist etwas anderes und besonders
sinnvoll, weil sie vulnerable Gruppen schützt. Sie muss für das Personal in
Pflegeheimen, aber etwa auch in Kindertagesstätten, in Schulen oder in
Krankenhäusern gelten. Überall dort, wo Menschen für andere Menschen
beruflich Verantwortung tragen, ist die Impfentscheidung keine rein
individuelle. Es geht dann auch um den Schutz der ihnen Anvertrauten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein 25-jähriger Pfleger, der in einer Altenpflegeeinrichtung arbeitet, hat
ein geringeres Risiko, ernsthaft an Corona zu erkranken, weil er jung und
gesund ist. Als Individuum könnte er glauben, dieses Risiko für tragbar zu
halten. Aber die hochbetagten Menschen, die er pflegt, vertrauen unserer
Gesundheitsversorgung und begeben sich in dessen Obhut – sie haben ein
Recht auf Schutz. Deshalb bin ich in bestimmten Einrichtungen für die
Impfpflicht.
Wie soll das technisch funktionieren? Was passiert mit dem Pfleger, wenn er
die Impfung verweigert?
Die ArbeitgeberInnen wären dafür verantwortlich, den Impfstatus bei ihren
Angestellten zu erfragen – und bei Neueinstellungen zu überprüfen. Wenn
jemand nicht geimpft ist, bekommt er eine Frist, in der er die Impfung
nachweisen muss. Tut er das nicht, kann er freigestellt oder auch gekündigt
werden.
Die Ampel-Partner wollen 3G am Arbeitsplatz durchsetzen. ArbeitnehmerInnen
müssen also geimpft, genesen oder getestet sein. Wer nicht mitzieht, darf
dann auch gekündigt werden?
Es ist das gleiche Prinzip, ja. 3G soll für alle Berufe mit Personenkontakt
gelten, also für fast alle. Wenn ein Arbeitnehmer in Zukunft sagt, ich bin
nicht geimpft und genesen, und ich habe keine Lust, mich jeden Tag zu
testen, dann hat er kein Recht mehr, sich in der Anonymität zu bewegen –
weil er andere Menschen gefährden kann.
Was ist aus Ihrer Sicht das entscheidende, was in der Pandemiebekämpfung
jetzt noch passieren muss?
Der Faktor Zeit ist enorm wichtig. Wir verlieren viel zu viel Zeit. Im
Moment streiten wir über Regeln, die ab Dezember gelten. Mich besorgt sehr,
dass wir darüber aus dem Blick verlieren, was man sofort und in den
nächsten zwei Wochen tun kann. Zwei Wochen sind angesichts der rasant
steigenden Zahlen eine Ewigkeit. Es geht hier übrigens nicht nur um
medizinische, sondern auch um Fragen der politischen Kultur.
Wie meinen Sie das?
Ich glaube, dass hier eine Ursache für den verbreiteten Frust in der
Bevölkerung über die Coronapolitik liegt. Nicht-Handeln in der
Vergangenheit, zu spätes Handeln in der Gegenwart und emotional
aufgeladener Streit über künftiges Handeln – der Eindruck der
Handlungsunfähigkeit nagt am Grundvertrauen der Menschen in den Staat.
Was muss aus Ihrer Sicht jetzt sofort passieren?
Das hochgefährliche Infektionsgeschehen in manchen Regionen muss gebrochen
werden. In Bayern oder Sachsen müssten regionale Lockdowns durchgesetzt
werden, um das lokale Geschehen besser unter Kontrolle zu bringen. Dort
müssen Kontakte beschränkt werden.
Ihr Parteichef Robert Habeck schlägt generell Kontaktbeschränkungen für
Ungeimpfte vor. Sind Sie seiner Ansicht?
Im vom grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann regierten
Baden-Württemberg ist das geplant, dort sollen bei anhaltender Belastung
Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte angeordnet werden. Dieser Kurs ist
richtig. Eine große Gefahr liegt gerade darin, dass die vielen ungeimpften
CoronapatientInnen in den Krankenhäusern unsere Notfallversorgung ins
Wanken bringen. Zugespitzt: Der geimpfte Autofahrer, der einen schweren
Unfall hat, bekommt kein Intensivbett mehr, weil alle durch Ungeimpfte
belegt sind.
Taugt die Unterscheidung in Geimpfte und Ungeimpfte überhaupt noch, wenn
der Schutz der Geimpften stetig abnimmt, weil sie noch nicht geboostert
wurden?
Das ist ein wichtiger Punkt. Irgendwann geht diese Logik nicht mehr auf.
Schon bald wird eine große Zahl von doppelt Geimpften wieder anfällig für
Infektionen sein, weil ihr Schutz nachlässt – und wir mit dem Boostern
nicht hinterher kommen. Es wurde verpennt, im Sommer das Boostern
vorausschauend zu organisieren.
Die Ampel will die epidemische Notlage von nationaler Tragweite aufheben.
Ist das angesichts der Lage nicht schlicht verantwortungslos?
Unterm Strich kommt es auf die konkreten Maßnahmen an. Aber die
Kommunikation war verbesserungswürdig. Ich finde gut, dass wir nach der
Empörung jetzt zu der Debatte kommen, was besser laufen muss.
Nur schlechte Kommunikation? Die Ampel wollte den Bundesländern das Recht
nehmen, Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren zu verhängen. Wie
konnte es zu dieser Fehleinschätzung kommen?
Wir haben nun nachgeschärft. Ich gehöre zu den Menschen, die immer gewarnt
haben, dass die Pandemie nicht vorbei sei – und dass die vierte Welle im
Herbst kommt. Das Bewusstsein für diese Tatsache ist bei Manchen erst in
den vergangenen zwei Wochen gewachsen.
Aber Corona spaltet die Ampel. FDP-Chef Christian Lindner verspricht in der
Bild-Zeitung, dass es keinen weiteren Lockdown geben wird. Sie erzählen mir
gerade das Gegenteil.
Erstens hat uns die Pandemie bisher gelehrt, dass man absolute
Versprechungen besser sein lassen sollte. Zweitens befinden wir uns noch
mitten in Koalitionsverhandlungen. Wenn die Ampel regieren sollte, dann
wäre es sinnvoll, bessere Strukturen für das Krisenmanagement einzurichten
als die letzte Regierung.
Verzeihung, der Konflikt ist doch offensichtlich.
Es geht mir für die Zukunft um einen neuen Modus des Krisenmanagements. Wir
brauchen ein konstituiertes, an die Regierung angedocktes Gremium, das
wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Medizin in die Politik einspeist.
Ein solches muss die Ampel einrichten. Dann erledigen sich manche Debatten
von selbst.
16 Nov 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Ulrich Schulte
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