# taz.de -- Inflation in Argentinien: Millionen für einen Kleinwagen | |
> In Argentinien steigt die Inflationsrate auf mehr als 48 Prozent. Preise | |
> für Konsumgüter explodieren, Wohnungen und Häuser werden unbezahlbar. | |
Bild: Für 500 Pesos bekommt man in Argentinien nicht mehr viel | |
BUENOS AIRES taz | Geld verliert in Argentinien dramatisch an Wert. Wer | |
heute bei der staatlichen Banco Nacíon 10.000 Peso für ein Jahr fest | |
anlegt, bekommt zwar einen Zinssatz von 37 Prozent und also nach 365 Tagen | |
13.700 Peso ausgezahlt. Doch bei einer zu erwarteten Inflationsrate von | |
über 50 Prozent ist das trotzdem ein Verlustgeschäft. | |
Nur fünf Länder hatten in den vergangenen zehn Jahren stets eine | |
Inflationsrate von über 20 Prozent. Argentinien belegt mit einer | |
geschätzten Inflation von 48,4 Prozent für das laufende Jahr in der | |
IWF-Weltrangliste Platz vier. [1][Auf eins rangiert mit 2.700 Prozent | |
unangefochten Venezuela]. In weitem Abstand folgt der Sudan (115,5 | |
Prozent), danach Surinam mit 48,6 Prozent, so der Internationale | |
Währungsfonds. | |
Inzwischen könnte Argentinien auf den dritten Platz vorgedrungen sein. Im | |
Land selbst wird die Inflationsrate bis Jahresende auf über 52 Prozent | |
prognostiziert. Im September beschleunigte sich der Preisanstieg mit 3,5 | |
Prozent gegenüber dem Vormonat, so die nationale Statistikbehörde Indec. | |
Statt Festgeldanlagen bevorzugen deswegen viele den Kauf von langlebigen | |
Konsumgütern. Doch auch diese Strategie wird immer schwieriger. Konnte vor | |
zehn Jahren ein preiswerter Kleinwagen noch mit 46.000 Peso gekauft werden, | |
kostet er inzwischen 1,8 Millionen Peso. Ähnliches gilt für Haushaltsgeräte | |
wie Waschmaschinen, Kühlschränke, Fernsehern oder Handys. | |
Auch das „Sparen in Backsteinen“ ist nur noch für wenige eine Alternative. | |
Weil die Reallöhne seit Jahren sinken, ist der Traum vom eigenen Haus oder | |
der eigenen Wohnung unerreichbar geworden. Die Faustregel, nach der für den | |
Kauf einer 60-Quadratmeter-Wohnung 100 Durchschnittslöhne ausreichen, gilt | |
schon lange nicht mehr. Heute bedarf es dazu mindestens 400 | |
Durchschnittslöhne. Von Januar 2016 bis Juli 2021 lagen die | |
Lohnsteigerungen stets unter der Inflationsrate, errechnete das Indec. | |
Während die Löhne in diesem Zeitraum zwar um sagenhafte 446,5 Prozent | |
stiegen, lag die Inflation mit 591,6 Prozent klar vorne. So stieg der | |
durchschnittliche Monatslohn eines abhängig Beschäftigten in absoluten | |
Zahlen von knapp 16.000 Peso auf knapp über 90.000 Peso und verlor dennoch | |
16 Prozent seiner Kaufkraft. | |
## Die Armut steigt mit der Inflation | |
Die Konsequenzen aus hoher Inflationsrate und sinkenden Reallöhnen | |
[2][treiben immer mehr Menschen in die Armut]. 42 Prozent der rund 45 | |
Millionen Argentinier:innen leben bereits unterhalb der Armutsgrenze. | |
Gegenwärtig liegt der monatliche Mindestlohn weit unter dem Wert des | |
Grundnahrungsmittelkorbs für eine vierköpfige Familie, der derzeit 68.359 | |
Peso beträgt. Im September war eine erneute Anhebung des monatlichen | |
Mindestlohns um 52,7 Prozent vereinbart worden. Bis Februar 2022 soll er | |
schrittweise bis auf 33.000 Peso steigen. | |
„Die Erhöhung stärkt die gesamte Gehaltsstruktur und verbessert die | |
Kaufkraft der Arbeitseinkommen“, gab sich Wirtschaftsminister Martín Guzmán | |
optimistisch. Zudem hat die Regierung einen Preisstopp für mehr als 1.400 | |
Basisprodukte für 90 Tage verfügt. Seit Jahren werden solche Preisstopps | |
ausgehandelt oder schlicht angeordnet. Kurzfristig zeigen sie meist | |
mittleren Erfolg, da viele Produkte in den Regalen der Supermärkte oft gar | |
nicht zu finden sind. Langfristig wirken sie im besten Fall verzögernd. | |
Wem dennoch am Monatsende etwas übrig bleibt, tauscht seine Peso meist in | |
Dollar. „Wir Argentinier besitzen US-Banknoten im Wert von 200 Milliarden | |
US-Dollar“, versicherte kürzlich der ehemalige leitende Mitarbeiter der | |
argentinischen Zentralbank, Nicolás Gadano. Das sind 10 Prozent der global | |
im Umlauf befindlichen, physisch vorhandenen Dollarnoten, so Gadano. | |
Durchschnittlich besitze jeder Argentinier 4.400 Dollar an Scheinen, | |
während ein US-Bürger lediglich auf 3.083 Dollar kommt. | |
Nur 200 Dollar darf jeder Normalbürger monatlich legal kaufen. Und die auch | |
nicht zum offiziellen Kurs von 105 Peso pro Dollar, sondern mit einem | |
65-prozentigen Steueraufschlag. Jeder dieser 200 Dollar kostet also 173,25 | |
Peso. In den Höhlen, wie die geheimen Wechselstuben genannt werden, hat der | |
Schwarzmarktpreis in den vergangenen Tagen kräftig angezogen. Wer sich | |
bereits vor zwei Jahren auf dem Schwarzmarkt eingedeckt hat, hat Gewinn | |
gemacht. Damals kostete ein Dollar nur 66 Peso – aktuell sind es 194 Peso. | |
## Sorgen über Energiepreise | |
Dennoch ist der Dollarkauf für viele die einzige Alternative, um dem | |
laufenden Kaufkraftverlust ihrer Peso schnell und einfach zu entkommen. | |
Zumal die Aussichten finster sind. Sollte die Regierung die seit Jahren | |
hochsubventionierten Tarife für Strom, Gas und Transportmittel anheben, | |
könnte Argentinien auf dem Inflationsranking des IWF auf Platz 2 | |
emporschießen. | |
27 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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