# taz.de -- Wahlen in Argentinien: Niederlage für Cristina Kirchner | |
> In Argentinien verliert die linksprogressive Regierungsallianz ihre | |
> Mehrheit. Neue Bündnisse sollen nun die Wirtschaftskrise bewältigen. | |
Bild: Stimmzettelabgabe in Buenos Aires: Schlappe für Argentiniens Regierung | |
BUENOS AIRES taz | Argentiniens linksprogressive Regierungsallianz Frente | |
de Todos (Gemeinsame Front) hat bei den Teilwahlen zum Kongress eine | |
schwere Niederlage erlitten. Landesweit konnte sie nur 33 Prozent der | |
Stimmen erringen. Nicht nur in der Hauptstadt Buenos Aires musste sie | |
kräftig Federn lassen, auch in ihrer Hochburg Provinz Buenos Aires landete | |
sie, wenn auch knapp, auf dem zweiten Platz. Im Senat verlor sie erstmals | |
seit 1983 die Mehrheit. | |
Klare Gewinnerin ist die rechtsliberale Koalition Juntos por el Cambio | |
(Gemeinsam für den Wechsel) des ehemaligen Präsidenten [1][Mauricio Macri], | |
die landesweit 42 Prozent der Stimmen vereinigen konnte. Ihr bestes | |
Ergebnis erzielte sie mit knapp 47 Prozent in der Hauptstadt. Mit wenigen | |
Ausnahmen wurde somit das [2][Ergebnis der Vorwahlen vom September] | |
bestätigt. | |
Gewählt wurden die Hälfte der 257 Delegierten des Abgeordnetenhauses und | |
ein Drittel des 72-köpfigen Senats. Da Wahlpflicht herrscht, waren alle | |
rund 34 Millionen Wahlberechtigten aufgefordert, zu den Urnen zu kommen. | |
Dennoch gaben nur 72 Prozent der Wahlpflichtigen ihre Stimmen ab – nur | |
wenig mehr als bei den Vorwahlen im September. | |
Der Verlust der Senatsmehrheit ist ein schwerer Schlag für Vizepräsidentin | |
[3][Cristina Kirchner], die zugleich Senatspräsidentin ist. Der nach den | |
Vorwahlen in der Regierungsallianz entbrannte Richtungsstreit hatte sich | |
zwar durch eine Kabinettsumbildung und eine Serie von sozialpolitischen | |
Maßnahmen in einen Burgfrieden verwandelt. Doch selbst in der Regierung | |
glaubte kaum jemand daran, dass sich damit das Blatt noch wenden ließ. Wie | |
lange der Friedensschluss jetzt noch hält, ist fraglich. | |
## Pandemie verstärkte wirtschaftliche Probleme | |
Entscheidend für die Niederlage ist die wirtschaftliche und soziale | |
Situation. Die seit Jahren anhaltende [4][Rezession der Wirtschaft] wurde | |
durch den pandemiebedingten Lockdown dramatisch verschärft. Zugleich | |
galoppiert die [5][Inflation]. Allein im Oktober betrug der Preisanstieg | |
gegenüber dem Vormonat 3,5 Prozent, meldete die Statistikbehörde Indec. | |
Seit Oktober des Vorjahres sind es damit über 52 Prozent. | |
Die neuen Armen kommen vor allem aus jenem Teil Bevölkerung, dessen | |
Einkommen trotz festem Arbeitsplatz nicht mehr bis zum Monatsende reicht, | |
da die Inflation deren Kaufkraft zerbröselt. 42 Prozent der rund 45 | |
Millionen Argentinier*innen leben unterhalb der Armutsgrenze. | |
In einer Fernsehbotschaft erklärte Präsident Alberto Fernández am Wahlabend | |
seine Dialogbereitschaft für eine „nationale Übereinkunft“ und kündigte | |
einen Vorschlag zur Neuregelung der Verschuldung des Landes an, den er dem | |
neuen Kongress vorlegen werde. Konkret sind es die [6][Verbindlichkeiten] | |
in Höhe von 18 Milliarden Dollar, die im kommenden Jahr beim | |
Internationalen Währungsfonds fällig werden und deren Tilgung nicht zu | |
realisieren ist. | |
Doch es geht um weit mehr als nur verlängerte Tilgungsfristen. Der IWF | |
erwartete ein schlüssiges Maßnahmenkonzept, mit dem die für den | |
Schuldendienst notwendigen Überschüsse erzielt werden können. Im Fall | |
Argentiniens wären dies: Einsparungen im Staatshaushalt, Subventionsabbau | |
bei den Tarifen von Energie, Wasser und Transport, Lockerung der | |
Finanzrestriktionen, sprich Abwertung des Peso. Maßnahmen, die die | |
Inflation anheizen und die Zahl der Armen weiter in die Höhe treiben würden | |
und die bisher vor allem Cristina Kirchner verhindert hat. | |
Allerdings muss jedes Abkommen mit dem IWF auch vom Kongress gebilligt | |
werden. Möglich ist, dass sich bei der vom Präsidenten vorgeschlagenen | |
„nationalen Übereinkunft“ neue politische Allianzen herausbilden. Denn | |
sollte eine Neuregelung mit dem IWF beispielsweise für zehn Jahre gelten, | |
dann wäre nicht nur die gegenwärtige Regierung in ihrer noch verbleibenden | |
zweijährigen Amtszeit, sondern auch die zwei darauf folgenden | |
Präsidentschaften den Vereinbarungen mit dem IWF unterworfen. Dafür muss | |
eine neue Mehrheit organisiert werden. | |
15 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlen-in-Argentinien/!5636360 | |
[2] /Vorwahl-fuer-den-Kongress-in-Argentinien/!5800579 | |
[3] /Argentiniens-Ex-Praesidentin/!5597440 | |
[4] /Inflation-in-Argentinien/!5811334 | |
[5] /Inflation-in-Argentinien/!5811334 | |
[6] /Debatte-um-Klimahilfen-fuer-arme-Laender/!5809379 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
## TAGS | |
Argentinien | |
Cristina Kirchner | |
Parlamentswahlen | |
Verschuldung | |
Inflation | |
IWF | |
Wirtschaftskrise | |
Schwerpunkt Armut | |
Argentinien | |
Argentinien | |
Argentinien | |
Türkei | |
Argentinien | |
Klimakonferenz in Scharm al-Scheich | |
Argentinien | |
Argentinien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Attentat auf Cristina Kirchner: „Der Hass bleibt draußen“ | |
In Argentiniens gehen regierungsnahe Menschen für Cristina Kirchner auf die | |
Straße. Oppositionelle sind kaum unter den Demonstrierenden zu finden. | |
Dauerkrise in Argentinien: Schulden ohne Ende | |
Argentinien ist Rekordschuldner des IWF – und mal wieder in der Krise. Die | |
Aussichten sind übel, auch weil Regierung und Opposition nicht an einem | |
Strang ziehen. | |
Umweltproteste in Argentinien: Umstrittener Tagebau gestoppt | |
Die Provinz Chubut setzt nach Umweltprotesten die umstrittene Zulassung | |
eines Tagebaus aus. Jetzt soll eine Volksbefragung entscheiden. | |
Demonstrationen in der Türkei: Erdoğan soll gehen | |
Die Preise explodieren, die Löhne stagnieren: Die wirtschaftliche Lage in | |
der Türkei ist desolat. Die Menschen nehmen das nicht länger hin. | |
Wahlen in Argentinien: Sprengstoff für das linke Lager | |
Die linke Regierung erleidet eine herbe Niederlage bei den Kongresswahlen | |
in Argentinien. Eine Neuordnung der Parteienlandschaft steht bevor. | |
Debatte um Klimahilfen für arme Länder: Naturschutz gegen Schuldenerlass | |
Argentinien hat einen Vorschlag. Wenn reiche Staaten das Klimageld für arme | |
Staaten nicht zahlen wollen, könnten sie es mit deren Schulden verrechnen. | |
Inflation in Argentinien: Millionen für einen Kleinwagen | |
In Argentinien steigt die Inflationsrate auf mehr als 48 Prozent. Preise | |
für Konsumgüter explodieren, Wohnungen und Häuser werden unbezahlbar. | |
Vorwahl für den Kongress in Argentinien: Klatsche für die Regierungspartei | |
Die linksprogressive Allianz „Gemeinsame Front“ erreicht nur 31 Prozent der | |
Stimmen. Das ist vor allem ein Denkzettel für Präsident Fernández. |