# taz.de -- Putsch in Sudan: Das Drehbuch der Konterrevolution | |
> Sudans Generäle agieren wie zuvor ihre mächtigen Freunde in Ägypten. Sie | |
> haben die Bevölkerung und wichtige internationale Partner gegen sich. | |
Bild: 2010: Mubarak und Bashir verstanden sich prächtig. Ihre Nachfolger Sisi … | |
Kairo taz Es geht beim [1][Putsch in Sudan] um viel. Das | |
Machtteilungsabkommen, das die Protestbewegung den Militärs nach dem Sturz | |
des Diktators Omar El-Baschir vor zwei Jahren abgerungen hatte, war | |
einzigartig in der arabischen Welt. Erstmals, so stand es dort geschrieben, | |
sollte ein Militär tatsächlich freiwillig die Macht an eine zivile | |
Regierung übergeben. In einer dreijährigen Übergangszeit sollte ein aus | |
Zivilisten und Militärs bestehender Souveränitätsrat, ähnlich dem Amt eines | |
Präsidenten, die großen Weichenstellungen geben, während eine zivile | |
Regierung unter Premier Abdallah Hamdok das politische Tagesgeschäft | |
übernahm. Ein Konstrukt, das bis Ende nächsten Jahres Gültigkeit haben | |
sollte, bevor die Militärs sich dann endgültig aus der Politik zurückziehen | |
und Wahlen organisiert werden. | |
Die Herren mit den Waffen hatten offensichtlich andere Pläne. Schon seit | |
Monaten torpedierten sie die zivile Regierung, die vor allem mit der | |
schwierigen wirtschaftlichen Lage kämpft. Letzte Woche begann ein | |
Sitzstreik von Anhängern einer erneuten Militärherrschaft vor dem | |
Präsidentenpalast, sozusagen als Vorbote des jetzigen Putsches. Sie | |
forderten, die Macht wieder ganz in die Hände des Militärs zu übergeben. Es | |
war so etwas wie die Choreographie der Konterrevolution, bekannt aus dem | |
Drehbuch im benachbarten [2][Ägypten], wo der ehemalige Militärchef Abdel | |
Fatah El-Sisi nach den chaotischen Zeiten, die dem [3][Sturz des Diktators | |
Hosni Mubarak] folgten, mit seinem Militär die Macht übernahm. | |
Die Putschisten in Khartum dürften sich der Unterstützung aus Ägypten und | |
aus den [4][autokratischen Golfstaaten] sicher sein, denen das | |
sudanesischen Experiment im Übergang zu einer Demokratie von Anfang an ein | |
Dorn im Auge war. Denn sie betrachten das als eine Gefahr für die eigene | |
Machterhaltung. | |
International dürfte es für das sudanesische Militär aber nicht ganz so | |
einfach sein. Washington beispielsweise gab sich nach dem Putsch im Sudan | |
„zutiefst alarmiert“ und forderte die bedingungslose Wiedereinsetzung der | |
zivilen Regierung. Auch EU-Chefdiplomat Josep Borrell twitterte seine | |
“äußerste Besorgnis“. Die EU rufe alle Seiten und regionalen Partner auf, | |
Sudans Übergangsprozess wieder auf Schiene zu bringen, fuhr er fort. | |
## Der Machtkampf verlagert sich auf die Straße | |
Der größte Widerstand für Sudans Militärs dürfte allerdings von der eigenen | |
Bevölkerung kommen, die bereits beim Sturz Bashirs einen langen | |
Protest-Atem bewies. Der Machtkampf zwischen Militärs und Zivilisten wird | |
in den nächsten Stunden und Tagen auf der Straße ausgetragen. Dabei haben | |
die Militär die Waffen, aber die Protestbewegung hat einen politischen | |
Vorteil. | |
Der Putsch schließt die [5][Ränge der Demokratiebewegung], während sie | |
zuvor im Tagesgeschäft oft zerstritten war. Und je bestimmter und | |
einheitlicher die Protestbewegung auftritt, umso schneller könnten sich | |
auch wieder Risse innerhalb des Militärs auftun, das in Wirklichkeit auch | |
kein einheitlicher Block ist. Als sicher darf gelten, dass die reichen | |
arabischen Golfstaaten versuchen werden, mit ihrem Geld die Balance in | |
Richtung der erneuten vollen Machtübernahme des Militärs zu lenken. | |
Im Moment scheint hier noch alles offen. Sicher ist aber: Das sudanesische | |
Experiment, den Militärs friedlich die Macht abzuringen, steht auf seinem | |
bisher heftigsten Prüfstand. Für alle, die in der weiteren arabischen Welt | |
auf eine nachhaltige Veränderung hin zum Guten hoffen, steht viel auf dem | |
Spiel. | |
Seit über zwei Monaten bröselt vor ihren Augen [6][Tunesien], das einzige | |
demokratische Experiment, das aus dem Arabischen Frühling hervorgegangen | |
ist, wo Präsident Kais Saied de facto die Gewaltenteilung aufgehoben hat. | |
Mit Sudan droht nun der zweite arabische Hoffnungsträger verloren zu gehen. | |
26 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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