# taz.de -- Proteste gegen die EU-Politik: Solidarität mit denen, die frieren | |
> Hunderte demonstrieren in Berlin für die Aufnahme der Flüchtlinge an der | |
> polnisch-belarusischen Grenze – auch Städte stünden in der Pflicht. | |
Bild: Demo für sofortige Aufnahme von Flüchtlingen am Brandenburger Tor | |
„Wir sind sauer!“, ruft eine Frau am Sonntagnachmittag vom | |
Lautsprecherwagen auf dem Pariser Platz. „Wir stehen hier, und es ist sehr | |
kalt, aber jetzt stellt euch mal vor, wie kalt es an der Grenze zwischen | |
Polen und [1][Belarus] ist!“ Applaus kommt von rund 500 Menschen, die sich | |
vor dem Brandenburger Tor versammelt haben, einige von ihnen schwenken | |
Fahnen aus gold-silbern glänzenden Thermofolie, wie sie zur Rettung | |
Unterkühlter verwendet wird. | |
Zu der Demonstration gegen die EU-Politik und für die Aufnahme der | |
Flüchtlinge, die seit Wochen versuchen, von Belarus nach Polen und weiter | |
nach Deutschland zu gelangen, haben mehrere Organisationen aufgerufen, | |
darunter das Aktionsbündnis Antira, Seebrücke Berlin und We’ll Come United | |
Berlin und Brandenburg. Nach der Anfangskundgebung auf dem Pariser Platz | |
soll es zum Auswärtigen Amt gehen. Einige TeilnehmerInnen sind enttäuscht, | |
dass der Aufruf in den sozialen Medien nicht mehr Menschen mobilisiert hat: | |
„Als Moria gebrannt hat, sind Zehntausend gekommen“, sagt einer. | |
Die Vertreterin des polnischen queerfeministischen Kollektivs | |
„Constellation of Liberation“ verliest einen Brief, den mehrere Gruppen an | |
den Berliner Senat geschickt haben. „Die Menschen an der Grenze sterben vor | |
Erschöpfung“, heißt es darin, „es ist ein dunkles und hässliches Kapitel, | |
das da vor unseren Augen geschrieben wird.“ Berlin habe die Pflicht, | |
Menschen aufzunehmen und habe das ja auch schon geäußert – jetzt komme es | |
darauf an, zusammen mit BürgermeisterInnen anderer Städte von der | |
Bundesregierung diese Möglichkeit einzufordern. Bundesinnenminister Horst | |
Seehofer (CSU) hatte in der Vergangenheit Initiativen Berlins zur Aufnahme | |
von Flüchtlingen unter anderem aus dem griechischen Lager Moria verhindert. | |
Auf dem Pariser Platz berichtet Tareq Alaows vom Bündnis Mauerfall von | |
einer Fahrt, die er kürzlich in das Grenzgebiet unternommen hat, um sich | |
ein Bild von der Lage zu machen: „Die deutsche Politik stellt die Menschen | |
als Waffen dar, die der Diktator Lukaschenko gegen die EU einsetzt.“ Er | |
aber habe Menschen gesehen, die Schutz suchten und frören, die weder vor | |
noch zurück könnten. „Nur bei den GrenzschützerInnen habe ich Waffen | |
gesehen. Wir stellen uns auf eine Stufe mit dem Diktator, wenn wir in | |
Europa so weitermachen!“ Die Menschen auf dem Platz skandieren: „We are | |
here and we will fight, freedom of movement is everybody's right!“ | |
## Schnelle Einigung ist gefragt | |
Währenddessen drohte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag allen | |
Airlines, die sich weiter am Transport von Flüchtlingen nach Belarus | |
beteiligten, mit dem Entzug von Überflugrechten und Landegenehmigungen in | |
der EU. Sie sollten dem Beispiel von Turkish Airlines folgen, so Maas. | |
Die evangelische Theologin Margot Käßmann zeigte sich entsetzt über die | |
Lage der Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze. Sie könne die | |
Bilder der Menschen, die an der Außengrenze Europas bei eisigen | |
Temperaturen schutzlos in Wäldern kampierten, kaum ertragen. Die neue | |
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) appellierte an die Europäische | |
Union, sie „müsse sich schnell einigen, wie diesen Menschen geholfen werden | |
kann“. Sie halte allerdings den Bau befestigter Grenzanlagen ausnahmsweise | |
für vertretbar. Eigentlich sei sie für einen Abbau aller Zäune und Mauern | |
an Grenzen. Doch: „Leider ist dies angesichts der Politik Lukaschenkos | |
nicht denkbar.“ | |
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ging noch weiter: | |
„Wir dürfen diese Migranten weder in der EU noch in Deutschland aufnehmen“, | |
sagte er. Wenn man das wollte, müssten sie nicht den Umweg über Minsk | |
nehmen, sondern könnten direkt nach Deutschland fliegen, sagte er der Bild | |
am Sonntag. Man müsse [2][Lukaschenko] zeigen, dass er mit dieser Maßnahme | |
keinen Erfolg habe. Die Bilder notleidender Menschen müsse die Gesellschaft | |
„aushalten“. | |
14 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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