# taz.de -- Alkohol und Gesellschaft: Warum trinkst du nicht? | |
> Alkoholkonsum ist hierzulande so normal, dass eher das Nicht-Trinken | |
> auffällt. Suchterkrankungen bleiben dagegen oft unbemerkt. | |
Bild: Alkohol – hierzulande vergleichweise günstig und niedrig besteuert | |
Ich war in meinem ganzen Leben noch nie betrunken. Ich habe mich noch nie | |
aufgrund von Alkohol übergeben müssen. Ich hatte noch nie einen Filmriss | |
oder einen „Kater“ am Tag danach. Ich habe noch nie unter Alkoholeinfluss | |
dumme Entscheidungen getroffen, am Disco-Klo geweint oder Ex-Partner | |
angerufen. | |
Wenn das andere über mich erfahren, geben sie mir das Gefühl, etwas | |
verpasst zu haben, mein Leben nicht richtig gelebt zu haben. Als wäre ich | |
langweilig, spießig oder konservativ. So als wäre der Spaß, den man ohne | |
Alkohol haben kann, nicht vergleichbar mit dem mit Alkohol. Eine | |
Rechtfertigung für meinen Alkoholverzicht wird selbstverständlich auch | |
erwartet. Warum trinkst du nicht? Liegt es an deinem Glauben? Bist du | |
schwanger? | |
Wenn in einem beruflichen Kontext angestoßen wurde, habe ich bisher immer | |
so getan, als würde ich mittrinken, ich hatte keine Lust auf intime | |
Rechtfertigungen. Schade um die Liter Alkohol, die meinetwegen unberührt im | |
Glas blieben, aber es scheint bisher niemandem aufgefallen zu sein. Ich | |
will daraus wirklich kein Geheimnis machen, aber selbst wenn ich wollte, | |
ich hätte keine wirkliche Rechtfertigung. Ja, ich bin Muslima und im Islam | |
ist Alkohol verboten. Aber ich bin auch gebürtige Bosnierin, da wird das | |
nicht so streng genommen. | |
Ich bin einfach nicht mit Alkohol als Genussmittel aufgewachsen. Meine | |
Eltern sind nicht abends mit einem Glas Wein am Balkon gesessen. Ich habe | |
auch überhaupt keine Ahnung, was ein guter Wein ist und welchen man zu | |
welchem Gericht trinkt. Alkohol verbinde ich mit kriegstraumatisierten | |
Onkeln, die ständig eine Fahne haben. Ich wage zu behaupten, dass es | |
zumindest einen solchen alkoholkranken Onkel in den meisten Familien am | |
Balkan gibt, und der Umgang mit Suchtkranken ist in unserem Kulturkreis | |
nach wie vor ein Tabu. | |
## Branche fördert Sucht | |
Wobei Alkohol auch in Deutschland und Österreich „Volksdroge Nummer eins“ | |
ist, Familien und Existenzen vernichtet, Tausende Tote bei Verkehrs- und | |
Gewaltdelikten fordert und trotzdem oft als Suchterkrankung unbemerkt | |
bleibt. Gerade wenn Betroffene ihren Alltag erfolgreich bewältigen. | |
Wie viele das in unserer Kreativbranche betrifft, ist mir erst durch die | |
Bücher der Autor*innen [1][Nathalie Stüben („Ohne Alkohol“ )] und | |
[2][Daniel Schreiber („Nüchtern“)] klar geworden. Beide berichten über ih… | |
eigene Alkoholsucht und wie sie jahrelang unbemerkt damit leben konnten. | |
Wie die Branche und die Gesellschaft ihre Sucht gar gefördert haben. | |
Alkohol ist im EU-Schnitt hierzulande vergleichsweise günstig und niedrig | |
besteuert. Viele progressive Werbeagenturen würden zwar niemals Werbung für | |
Tabak machen, aber sehr wohl für Alkohol. Nicht falsch verstehen, das ist | |
natürlich jedem selbst überlassen und ich würde niemals irgendwen für | |
seinen Alkoholkonsum verurteilen. Darüber zu reden, wie normalisiert es | |
immer noch ist, betrunken zu sein, finde ich aber schon wichtig. | |
8 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/alkoholsucht-wie-nathalie-stuebe… | |
[2] https://www.derstandard.at/story/2000008458107/daniel-schreiber-ueber-das-t… | |
## AUTOREN | |
Melisa Erkurt | |
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