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# taz.de -- Netflix, Halloween und Facebook: Squid mit Nüsschen
> Der Nachwuchs findet die koreanische Serie „Squid Game“ brutal, aber auch
> ein bisschen cool. Und wie scheinheilig sind die Erwachsenen denn bitte?
Bild: Koreanische Jugendliche zu Halloween in Kostümen des Serie „Squid Game…
Pünktlich zu Halloween, Spielwiese und Spiegel aktueller Kinderfantasien,
schwappte wieder eine Erregungswelle durchs Land. Horrorclowns sind
offenbar abgemeldet – das neue Ding, das Erwachsene alarmiert, weil es die
Jugend verderbe, heißt „Squid Game“.
Die Netflix-Serie, in der eine Gruppe hochverschuldeter Menschen in ein
perverses Spiel um Leben und Tod gelockt wird, ruft Psychologinnen und
Pädagogen auf den Plan: menschenverachtend, brutal, amoralisch. Und auf
keinen Fall für Kinder geeignet. Dennoch werden auf deutschen Pausenhöfen
massenweise Spiele wie „Rotes Licht, Grünes Licht“ nachgespielt, die
Kostümindustrie verdient prächtig an roten Ganzkörperanzügen. In Hamburg
sollen sie in einer Kita Massenerschießung gespielt haben.
Da dachte ich, ich frage doch zu Hause mal nach, ob …
Na, guten Morgen! „Schon brutal. Aber auch cool“, lautete das knappe Fazit
der fast 13-Jährigen. Natürlich hatte sie die Serie schon gesehen, mit
ihren Freundinnen Fragen der Moral (zwiespältig) wie der Ästhetik (ganz
geil) diskutiert, koreanische Keksrezepte studiert – und das Nachbacken
verworfen, weil das alle machen und schmeckt vermutlich eh nicht. „Mir
geht’s gut damit, wirklich“, versicherte sie mir. „Und dem kleinen Bruder
hab ich's im Profil gesperrt.“
Autsch, das saß. Während wir Eltern in unseren Homeoffice-Zooms saßen oder
über die angebliche Löschung der [1][Gesichtserkennung bei Facebook]
sinnierten („ist doch wieder eine reine Imagekampagne“), sitzt der
Nachwuchs nebenan und hat ungeschützten Zugriff zu jugendgefährdendem Zeug,
weil die Eltern es nicht auf die Reihe kriegen, die Altersfreigabe am
Tablet individuell einzustellen?
## Glotz- und daddelsüchtig
Laut einer aktuellen [2][Studie hat die Mediennutzung] bei Kindern und
Jugendlichen in der Pandemie drastisch zugenommen: Beim Gaming beträgt die
durchschnittliche Spielzeit an einem Werktag knapp zwei Stunden, 31 Prozent
mehr als vor der Pandemie. Und auf Social Media verbringen 10- bis
17-Jährige an den Wochentagen aktuell knapp 140 Minuten. Mit der
Nutzungszeit steigt auch der Anteil derer, die ein Suchtverhalten
entwickelt haben.
Arme Jugend! Glotz- und dadddelsüchtig und dank ständigen Bombardements mit
Hochglanzbildern vom guten, reichen und schönen Leben der anderen total
konsumgeil und komplexbeladen! In den Anrufungen von uns Erwachsenen steckt
ebenso viel echte Sorge wie Scheinheiligkeit.
Denn wie mündig ist unser eigener Medienkonsum? Wie bereitwillig geben wir
unsere Daten an Luca, an Zoom, WhatsApp, Zalando oder Google, weil sie uns
den Alltag erleichtern? Und wie viele Nachrichten, die dieser Tage in den
Qualitätsmedien verhandelt werden, stammen aus den viel gescholtenen
Social-Media-Filterblasen? Professorin in Großbritannien im Clinch mit
Trans*-Aktivist*en, Peter Altmaier sagt „sorry für Fehler“ – es
interessiert alle, weil alle mittwittern. Oder wenigstens so tun, als ob.
Der wahre Luxus ist, sich aus all dem rauszuhalten. Aber dazu muss man
schon sehr souverän sein, am besten auch arriviert und am allerbesten
reich. Das arbeitende Volk aber, vor allem die Jüngeren, müssen den ganzen
Scheiß mitmachen, denn es ist ihre Welt.
## Spiel der reichen Jungs
Eine Welt, die, wenn man es kulturpessimistisch betrachtet, dem Setting von
„Squid Game“ gar nicht so unähnlich ist: 90 Prozent der Bevölkerung ist
gefangen in einem Spiel reicher Jungs – vor allem der Tech-Milliardäre.
Laut einer [3][Oxfam-Studie] sind die reichsten 10 Prozent der
Weltbevölkerung für mehr als die Hälfte der Treibhausgas-Emissionen
verantwortlich. Megajachten, Learjets, Weltraumreisen … Dem Rest bleibt
die Hoffnung und das Internet.
Apropos: Mit Nüsschen bewaffnet, habe ich mir jetzt „Squid Game“ angeschaut
und kann mich der Tochter nur anschließen. Ein Weihnachtsgeschenk für sie
habe ich auch schon: [4][Im Science-Fiction-Klassiker „Snow Crash“ ist das
Metaverse], das Mark Zuckerberg aufbauen möchte, schon beschrieben. Sie
sollte zumindest eine Ahnung haben, was auf sie zukommt.
6 Nov 2021
## LINKS
[1] /Facebook-schafft-Gesichtserkennung-ab/!5809449
[2] https://www.dak.de/dak/bundesthemen/gaming-studie-2443586.html#/
[3] /Klimagerechtigkeit-beim-Flugverkehr/!5768259
[4] /Zukunftsideen-der-Tech-Konzerne/!5789527
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kolumne Der rote Faden
Netflix
Korea
Kinder
Social Media
Oxfam
Netflix
Whistleblower
Schwerpunkt Armut
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