# taz.de -- Fischereistreit in Großbritannien: Im Pub wird gepoltert | |
> Der Konflikt um Fischereirechte beschäftigt auch die Londoner. Die einen | |
> bleiben cool, die anderen sorgen sich um den Lebensunterhalt. | |
Bild: Der festgesetzte britische Fischkutter Cornelis Gert Jan in Le Havre am 2… | |
LONDON taz | „Wir sollten den Eiffelturm sprengen, dann wird endlich Ruhe | |
sein“, scherzt Mark Johnson, Postmitarbeiter im Ruhestand, über einem Pint | |
Bitterbier in einem Pub mitten im Londoner Stadtviertel Kings Cross. Sein | |
Trinkkumpane Erik, 75, stimmt zu: „Es ist immer das Gleiche mit Frankreich. | |
Wenn die nicht kriegen, was sie wollen, stimmen sie das Geheule an!“ | |
Die beiden sprechen über die Nachricht, dass Frankreichs Gendarmerie am | |
Donnerstagmorgen zwei britische Fischerboote aus dem Verkehr gezogen hat. | |
Eines wurde verwarnt, ein anderes festgesetzt, denn beide sollen sich ohne | |
Erlaubnis in französischen Gewässern aufgehalten haben. | |
Frankreichs Ministerin für Meeresangelegenheiten, Annick Girardin, sagte | |
dem Radiosender RTL daraufhin, es handele sich „nicht um einen Krieg, | |
dennoch um einen Kampf“. Denn der aktuelle Bootsstreit ist ein weiteres | |
brisantes Detail in einem durchaus [1][größeren Konflikt]: Großbritannien | |
und die Europäische Union haben ein Fischereiabkommen für die Zeit nach dem | |
Brexit geschlossen. Dieser Vertrag sieht vor, dass europäische Fischer in | |
britischen Gewässern nur weiter auf Fang gehen dürfen, wenn sie dafür eine | |
Genehmigung erhalten. | |
Frankreich fordert nun von Großbritannien, die Anzahl der seit dem Brexit | |
zugelassenen französischen Fischerboote zu erhöhen. Die Ministerin spricht | |
davon, dass französische Fischer systematisch benachteiligt würden, und | |
weist britische Angaben zurück, nach denen 98 Prozent der von EU-Fischern | |
verlangten Lizenzen längst erteilt worden seien. Dies sei „falsch“, sagte | |
Girardin – und rechnet genau nach: „Die Europäer haben 2.127 Lizenzen | |
gefordert, die Briten haben 1.913 gegeben, das macht 90 Prozent.“ Die 10 | |
Prozent abgelehnten Lizenzen beträfen fast ausnahmslos Boote aus | |
Frankreich. Die Hälfte aller französischen Anträge sei abgelehnt worden. | |
## London bestellt Frankreichs Botschafterin ein | |
Sollte sich das bis zum 2. November nicht ändern, will Frankreich im | |
Gegenzug alle britischen Fischerboote an seinen Häfen abweisen und | |
gründliche Kontrollen aller aus dem Vereinigten Königreich kommenden | |
Ladungen an der Grenze durchführen. Der französische Europaminister Clément | |
Beaune verkündete, die Maßnahmen seien als „Sprache der Stärke“ zu | |
verstehen – die einzige Sprache, die Großbritannien verstehe. | |
London wiederum ließ wissen, dass es die französischen Drohungen als | |
potenziellen Bruch internationalen Rechts verstehe. Das Vereinigte | |
Königreich werde entsprechend antworten, hieß es. [2][Für Freitag hatte die | |
britische Regierung bereits Frankreichs Botschafterin einbestellt]. Der | |
britische Fischereiverband sieht den Grund für die Eskalation bei den | |
bevorstehenden französischen Nationalwahlen. | |
Bei Omar Najimi, 25, den Manager des Londoner Fischgeschäfts Ocean Catch im | |
Stadtteil Islington, rufen solche Nachrichten verständlicherweise Besorgnis | |
hervor: „Wir sind ein Familienbetrieb und in den letzten vier Wochen, aber | |
auch schon seit dem Brexit, haben sich die Kosten für alles immer weiter | |
nach oben geschraubt.“ | |
Neben den Energietarifen seien auch die Preise für Fisch und Meeresfrüchte | |
um einiges gestiegen. Es werde immer schwerer, den Kund*innen gegenüber | |
die steigenden Preise zu rechtfertigen, sagt Najimi. „Eine weitere Krise | |
brauchen wir nicht.“ Kundin Laura, 40, kauft gerade Lachs. Das sei doch | |
alles nur ein politisches Spielchen, sagt sie. Und dass sich die | |
französische Seite genauso schlimm verhalte wie die britische. | |
## „Die wollen alle unseren Fisch“ | |
Leo, ein Weinverkäufer in einem französischen Weinladen im Londoner | |
Stadtbezirk Clerkenwell, hält die Reibereien ebenfalls für ein übliches | |
Kräftemessen. Beide Seiten positionierten sich nun eben vor weiteren | |
Verhandlungen, sagt der 25-Jährige, der in Frankreich geboren ist. | |
Im Pub hat der frühere Postmitarbeiter Mark Johnson inzwischen die | |
Zustimmung aller. Vom Nebentisch ruft ein Mann: „Die wollen alle unseren | |
Fisch! Frankreich, Spanien, die Niederlande. Das geht doch nicht!“ | |
Biertrinker Erik sagt: „Eigentlich ist es wie immer: Die Franzosen schieben | |
die Schuld auf andere. Bei Waterloo war es auch nicht ihre Schuld, sondern | |
das Wetter!“ Zumindest die Alten sind sich also einig: Nachgeben darf das | |
Vereinigte Königreich nicht, auch nicht bei den Heringen. | |
30 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Fischereirechte-im-Aermelkanal/!5773356 | |
[2] /Fischereistreit-zwischen-London-und-Paris/!5811735 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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