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# taz.de -- Aalfischerei in Nordirland: Ohne Fang kein Geld
> Der Brexit, die Pandemie und der Klimawandel – die Aalfischer in
> Nordirland haben es schwer. Ein Angelausflug mit einer Quereinsteigerin.
Bild: Anne Marie McStocker auf ihrem Fischerboot
Belfast taz | Man sieht das Ufer nicht, wenn man mitten auf dem See ist.
Der nordirische Lough Neagh ist 400 Quadratkilometer groß, er ist der
größte See der Britischen Inseln. Aber er ist ziemlich flach, im Schnitt
gerade mal zwölf Meter tief.
Anne Marie McStocker ist nicht bis in die Mitte gefahren, sie zeigt auf
eine Stelle in Ufernähe: Aale. Sie schwimmen im Schatten des überhängenden
Gebüschs. Heute, am Sonntag, hat McStocker frei. Die 44-jährige zierliche
Frau ist eine von nur vier Aalfischerinnen auf dem Lough Neagh. „Als mein
Schwiegervater sich zur Ruhe setzte, fand mein Mann keinen Ersatz für ihn“,
erzählt sie. „Da bin ich eingesprungen.“ Man müsse mit dem Bootsmann auf
derselben Wellenlänge liegen, sonst funktioniere es nicht, sagt McStocker.
„Wenn du etwas fängst, verdienst du Geld. Fängst du nichts, verdienst du
nichts.“
Die letzten Jahre seien schwierig gewesen: „Erst kam der Brexit, und wir
wussten jahrelang nicht, wie es für uns weitergehen würde“, sagt McStocker.
„Dann kam die [1][Pandemie], und wieder stand unsere Zukunft auf der
Kippe.“ Obendrein macht den Fischern der Klimawandel zu schaffen. Die
langen Trockenperioden entziehen dem See und den Aalen den Sauerstoff.
Hoffnung macht McStocker nur das Nordirland-Protokoll, eine Klausel im
Brexit-Abkommen, das die Folgen für die Region abfedern und auch die
Aalfischer retten soll. Doch in der nordirischen Regierung wollen manche
die Sonderregelung am liebsten wieder abschaffen.
Die Arbeit als Aalfischerin ist hart, McStocker fängt schon um vier Uhr
morgens an, zusätzlich hat sie noch einen Job als Lehrerin. „Die jungen
Leute haben keine Lust auf so einen Lebensstil“, sagt sie. „Deshalb liegt
das Durchschnittsalter der Fischer bei über 60, einer ist sogar schon 80.
Vielleicht sind wir die letzte Generation von Aalfischern auf dem Lough
Neagh.“
## Der Streit um die Fischereirechte zog sich über Jahrhunderte
Ihr Mann Gary McErlain ist Fischer in der siebten Generation. Dem
48-Jährigen sieht man die körperliche Arbeit nicht an, er ist eher
schmächtig. „Die McErlains fischen seit zweihundert Jahren an derselben
Stelle“, sagt er. „Meine Vorfahren mussten viele Kämpfe auf dem Wasser
überstehen.“
Seit der Kolonialisierung des Nordostens Irlands im 17. Jahrhundert gehörte
der See den englischen Grafen von Shaftesbury. Der Streit um die
Fischereirechte zog sich über Jahrhunderte hin. 1925 pachtete die Toome Eel
Fishery die Fischereirechte, und in den folgenden Jahrzehnten tobte ein
Krieg auf dem Wasser: Die lokalen Fischer ignorierten das Fischereiverbot,
die Gerichtsvollzieher konfiszierten mit Hilfe der Polizei die
Ausrüstungen, nicht selten versenkten sie die Boote.
1959 kaufte ein niederländisch-englisches Konsortium die Rechte. Als einer
der fünf Aktionäre 1965 seine Anteile verkaufen wollte, gründeten die
Fischer vom Lough Neagh mit Hilfe des örtlichen Pfarrers Oliver Kennedy
eine Kooperative und nahmen einen Bankkredit auf. Sechs Jahre später
konnten sie die restlichen 80 Prozent kaufen. Heute betreiben sie die
größte Wildaalfischerei in Europa. Seit 2011 sind Lough-Neagh-Aale nach
EU-Recht eine geschützte geografische Angabe.
Der Kooperative gehören 220 Fischer und vier Fischerinnen an, die
Verwaltung residiert in einem modernen Gebäude in Toomebridge am Nordufer
des Sees. „Ich habe von vielen Aspekten der Fischerei nicht die geringste
Ahnung“, sagt Pat Close, der nach dem Tod von Father Kennedy 2013
Vorsitzender der Kooperative wurde. Der 66-Jährige stammt von einem
Bauernhof fünf Meilen nördlich vom See. Er studierte Landwirtschaft an der
Queen’s University in Belfast und arbeitete nach seinem Abschluss als
staatlicher Berater für Bauern. „Zu den Aalen bin ich erst später
gestoßen“, sagt er. „Damals war man in der Gegend entweder Fischer oder
Farmer. Ich wusste zwar, dass es eine Fischereiindustrie gab, aber das war
auch alles.“ Die Fischer hingegen hätten ihr Wissen über viele
Generationen weitergegeben, sagt er.
Aber vieles ist immer noch nicht erforscht, Aale sind ein Mysterium. Die
jungen Fische werden vom Golfstrom aus ihren Laichgründen in der
Sargassosee durch den Atlantik gespült, bis zum Lough Neagh. Dort müssen
sie sich zunächst akklimatisieren und den Übergang vom Salzwasser zum
Süßwasser bewältigen. Das Geschlecht der Aale hängt dabei vom Bestand im
jeweiligen Gewässer ab: Gibt es viele Aale, werden mehr Aale männlich. Ist
der Bestand knapp, so werden mehr Aale weiblich. Aalmännchen verbringen bis
zu 14 Jahre im See, Weibchen bis zu 25 Jahre. Dann schwimmen sie über den
Atlantik zurück in die Sargassosee. Dort laichen sie und sterben dann.
## Früher holten Fischer rund zwölf Millionen Aale jedes Jahr
„Aale sind eine stark gefährdete Art“, sagt Pat Close. „Deshalb ist der
Konsum in Europa zurückgegangen. Vor allem junge Leute sind wegen der
Arterhaltung besorgt. Aber wir haben eine Sondergenehmigung der EU, sie ist
an strenge Auflagen gebunden.“ Die Fangquote ist begrenzt, die Zahl der
Boote ist es auch, und es muss sichergestellt sein, dass 40 Prozent der
Aale in ihre Laichgründe in der Sargassosee zurückkehren können.
Am Fluss Erne versperrt ihnen ein Wasserkraftwerk den Weg, weshalb man die
Aale hier einsammelt und in Lastwagen am Kraftwerk vorbeitransportiert und
wieder aussetzt. Die Lkws müssen dabei die innerirische Grenze überqueren,
und das geht nur dank des Nordirland-Protokolls. Seit dem [2][Brexit]
dürfen nämlich lebende Tiere eigentlich nicht aus einem Nicht-EU-Land in
die EU importiert werden. Das Protokoll regelt jedoch, dass Nordirland Teil
des EU-Binnenmarkts bleibt und sich an die EU-Zollregeln halten muss.
Dadurch soll eine harte Grenze in Irland vermieden werden, stattdessen
wurde eine Zollgrenze zwischen Nordirland und Großbritannien errichtet.
„Wir haben schon Mitte der achtziger Jahre den Rückgang der Aalpopulation
bemerkt“, sagt Close. „In der EU hat man das erst viel später festgestellt.
Früher haben die Fischer rund zwölf Millionen Aale jedes Jahr aus dem See
geholt. Heute sind es nur noch zwei Millionen. Wir sind, wirtschaftlich
gesehen, nur ein kleiner Fisch in der Region.“
Um den Bestand zu erhalten, hat die Kooperative seit 1984 rund 100
Millionen Jungtiere, sogenannte Glasaale, im Lough Neagh ausgesetzt. Früher
kamen sie aus Gloucester in England, doch seit dem Brexit ist das jetzt
nicht mehr möglich. „Wir importieren die Glasaale seitdem aus Frankreich,
aber die Hälfte sterben beim Transport, denn ihre Reise dauert 36 Stunden.“
## „Wenn es beim EU-Importverbot geblieben wäre, hätten wir dichtmachen
können.“
Der Brexit hat Pat Close viele schlaflose Nächte bereitet. „Es war ein
Rückschritt, und Nordirland hat klar und deutlich dagegen gestimmt“, sagt
er. „Jede Woche gab es neue Regeln, und wenn es beim EU-Importverbot
geblieben wäre, hätten wir dichtmachen können.“ 80 Prozent der Aale gehen
nämlich nach Holland. 20 Prozent wurden bis zum Brexit im Londoner East End
zu Aal in Aspik verarbeitet und auf dem Billingsgate Fish Market verkauft –
50 Tonnen jährlich.
„Ja, das Nordirland-Protokoll hat uns vorerst gerettet“, sagt auch Anne
Marie McStocker. Sie glaubt nicht, dass es aufgehoben wird. Nur die
Democratic Unionist Party (DUP) wolle es rückgängig machen, sagt sie, die
Mehrheit möchte, dass es bestehen bleibe. „Und die DUP ist laut Umfragen
auf 13 Prozent abgestürzt, sie ist nur noch viertstärkste Partei in
Nordirland“, sagt McStocker.
Aber bis zu den Wahlen im nächsten Jahr ist sie im Regionalparlament die
stärkste Kraft und stellt mit Jeffrey Donaldson den Regierungschef. Der hat
jetzt damit gedroht, die Koalitionsregierung im November zu stürzen, sollte
das Protokoll nicht umgehend geändert werden. Vor allem stören ihn die
Kontrollen von Waren, die aus Großbritannien nach Nordirland geliefert
werden. Dadurch werde Nordirland anders behandelt als die restlichen Teile
des Vereinigten Königreichs. Sollte das so bleiben, werde das Konsequenzen
haben, drohte Donaldson.
Als ob es wegen der Pandemie nicht schon genug Probleme gäbe, stöhnt
McStocker. „Die Regierung in Belfast hat im Frühjahr 2020 Entschädigungen
angeboten, wenige Tage vor Beginn der Fangsaison“, sagt sie. „Wer sie
angenommen hat, durfte fortan nicht mehr fischen. Diese Kollegen warten bis
heute auf ihr Geld. Wir haben die Entschädigung damals abgelehnt und haben
weiter gefischt.“
## Inzwischen steht im Osten des Sees ein riesiger Bagger
Anne Marie McStocker schreibt in ihrer knappen Freizeit manchmal Gedichte,
inspiriert vom Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney. „Er wurde nicht
weit vom See geboren“, sagt sie, „und seine Frau stammte aus einer
Fischerfamilie.“ In seinem Gedicht „Eelworks“ kommt die
Lough-Neagh-Fischerkooperative vor, und ihr Sitz in Toomebridge ist eine
von sieben Stationen auf dem Seamus-Heaney-Wanderweg.
Im Osten des Sees, in Ufernähe, ist inzwischen ein riesiger Lastkahn in
Sichtweite gekommen. Er baggert Sand vom Grund des Sees ab, ein wichtiger
Rohstoff für die Bauindustrie. Der Grund gehört nach wie vor dem Grafen von
Shaftesbury. Als die Lastkähne eines Tages am Nordwestufer, wo die Glasaale
leben, anfingen zu baggern, protestierten die Fischer. Erst als sich eine
Umweltschutzorganisation einschaltete, stellte das Unternehmen das Baggern
an dieser Stelle ein.
Die Iren machen sich leider nichts aus Aal, bedauert Pat Close: „Mit dem,
was wir an einem Tag fangen, könnten wir den gesamten irischen Markt ein
Jahr lang versorgen.“ Er selbst isst drei bis vier Mal Aal im Jahr. Bei
Gary McErlain kommt er drei bis vier Mal pro Woche auf den Tisch. Seine
Frau hat noch nie Aal gegessen. „Ich bin Vegetarierin, seit ich 13 bin“,
sagt Anne Marie McStocker, und: „Viele Iren finden Aale gruselig, weil sie
Schlangen so ähnlich sind.“
Der Legende nach hat Saint Patrick, Irlands Nationalheiliger, im fünften
Jahrhundert die Schlangen ins Meer getrieben, wo sie sich in Aale
verwandelten. Schlangen haben sich seitdem nie wieder auf der Grünen Insel
blicken lassen.
8 Oct 2021
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## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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