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# taz.de -- Krise bei Großbritanniens Konservativen: „Tories raus“ im Tory…
> Boris Johnson durchläuft ein Tief. Bei den Nachwahlen in einem
> Stammwahlkreis der Konservativen steht viel auf dem Spiel.
Bild: Beschaulichkeit in Whitchurch, bisher unerschütterlich konservativ
Shropshire North taz | Hohe Hecken an schmalen Landstraßen verbergen große
grüne Weiden mit Kühen, Schafen und Pferden. Ein Viertel der rund 80.000
Einwohner sind über 60, sie sind verstreut in vielen Dörfern und sechs
Kleinstädten. Der Wahlkreis North Shropshire im Westen Englands an der
Grenze zu Wales ist eine Hochburg der Konservativen, seit es sie gibt. Doch
am 16. Dezember könnte North Shropshire für den konservativen
Premierminister Boris Johnson das Aus einläuten.
Denn am Donnerstag findet hier eine Nachwahl statt – in einer Zeit, in der
Johnsons Regierung von einer Kontroverse zur nächsten stürzt. Aktuell ist
es der Skandal um [1][illegale Weihnachtspartys in 10 Downing Street] vor
einem Jahr, mitten im Corona-Lockdown. „Diese Wahl fühlt sich anders an, so
als könnten die Tories hier ihren sicheren Sitz verlieren“, glaubt die
29-jährige Sophie Padgett aus der kleinen Marktstadt Market Dreyton.
Dass es die Nachwahl überhaupt gibt, hängt bereits mit Fehlentscheidungen
der Johnson-Regierung zusammen. Der bisherige Wahlkreisabgeordnete Owen
Paterson, ein ehemaliger Nordirland- und Umweltminister, ließ sich vom
nordirischen Phamaunternehmen Randox für ein paar Stunden pro Monat
Beratung gut bezahlen, was Randox pandemiebedingte Staatsaufträge
einbrachte.
Die Gesprächsnotizen darüber mit dem damaligen Gesundheitsminister sind
angeblich nicht mehr auffindbar. Die unabhängige Prüfstelle für
parlamentarische Standards untersuchte den Fall und empfahl, Paterson für
einen Monat vom Parlament zu suspendieren, wie es die Regeln vorsehen.
Stattdessen aber [2][paukte Johnson mit seiner Mehrheit im Parlament] die
Auflösung der Prüfstelle durch – nur um das einen Tag später wieder
zurückzunehmen, weil so ein Beschluss gar nicht ohne Zustimmung aller
Parteien gefällt werden kann. Die Tory-Abgeordneten fühlten sich
vorgeführt, und Paterson legte sein Mandat nieder. Nun braucht North
Shropshire einen neuen Abgeordneten, und selbst loyale Tories zweifeln an
ihrem Parteiführer und seiner Entourage.
## Charmant auf dem Podium
Den Sitz für die Konservativen retten: das soll Neil Shastri-Hurst, 38,
ehemaliger Chirurg – ein Handleiden beendete seine Karriere – und
Rechtsanwalt sowie britischer Armeeveteran. Auf der Rednerbühne gibt er
sich charmant und interessiert.
Dem 75jährigen Tony Jones aus St. Martins gefällt das: „Ich habe den Neuen
bei einer konservativen Veranstaltung getroffen und war beeindruckt von
seiner Kenntnis der Landwirtschaft“, schildert Jones vor einigen seiner
1.000 Kühe. Auf Paterson und die Skandale angesprochen, antwortet Jones,
dass Paterson kein schlechter Mensch gewesen sei. „Er stand auf der Seite
von uns Farmern. Das ist einfach die generelle Haltung unter Landwirten.“
Doch während eines dreitägigen Aufenthalts in diesem ländlichen Wahlkreis
denken viele anders. In der 3.000-Seelen-Gemeinde Prees, wo niemand mit
Namen genannt werden könnte – „was sollen denn die Nachbarn denken“ –
herrscht allgemeine Verärgerung, allerdings mit einem lokalen Dreh.
Besonders unverschämt sei es, dass die Tories einen Kandidaten nach North
Shropshire geschickt hätten, der gar nicht von hier kommt, sondern aus der
Millionenstadt Birmingham 100 Kilometer entfernt.
Am wichtigsten sei doch, dass der zukünftige Vertreter im Parlament die
Probleme vor Ort kenne, sagt ein 66-jähriger Computerfachmann. Jetzt will
er nicht mehr konservativ wählen. Eine 52jährige Sozialarbeiterin tendiert
zu den Liberaldemokraten, zum ersten Mal in ihrem Leben.
## Eine Liebeserklärung, die ausbleibt
Bei einer Wahlveranstaltung in Whitchurch wird Shastri-Hurst gefragt, ob er
in North Shropshire bleiben würde, falls er verliert, um es beim nächsten
Mal wieder zu versuchen. Er antwortet, dass das von seiner Frau und der
Partei abhänge – nicht die Liebeserklärung zur Gegend, die die Menschen
hören wollen.
Ein paar Tage später sagt der Tory-Kandidat im BBC-Regionalradio zu den
Weihnachtsfeiern in 10 Downing Street die Standardantwort der Regierung:
„Wenn Regeln gebrochen wurden, ist es völlig unakzeptabel.“ Und er stehe
unabhängig auf seinen eigenen zwei Beinen, sagt er, als wäre er kein
Kandidat der Tories.
Shastri-Hurst konnte sich im Wahlkampf von Boris Johnsons Oberflächlichkeit
überzeugen, als in der Vorwoche die Schlagzeile im Lokalblatt Shropshire
Star über den Besuch des Premierministers im Wahlkreis hervorhob, dass
Boris Johnson den Namen Shastri-Hursts zu „Shastri-Hughs“ verdreht habe.
Obwohl Labour bei den letzten beiden Wahlen in North Shropshire
zweitstärkste Partei war, allerdings mit weitem Abstand zu den
Konservativen, glauben viele, dass die liberaldemokratische Kandidatin
Helen Morgan die größten Chancen hat, die Konservativen zu schlagen. Die
46-Jährige wiederholt beständig, dass sie die einzige unter den
Kandidat:innen sei, die in North Shropshire leben und arbeiten würde.
„Es ist Zeit, den Tories ein Zeichen zu setzten“, betont die bisherige
Kommunalpolitikerin. Bei ihren Auftritten vermeidet sie jedoch den
Augenkontakt mit dem Publikum und sie wirkt angespannt, mit verkrampften
Schultern und übermüdetem Gesichtsausdruck.
## Zeichen gegen Selbstbereicherung
Unter den Spitzenkandidat:innen ist sie dennoch die einzige Frau.
Andere Frauen gibt es bei den kleineren Parteien, darunter die Kandidatin
der Partei Reform UK, Nachfolgepartei von Nigel Farges Brexit Party. Deren
Kandidatin, die 39 Jahre alte Kristy Walmsly, war jahrelang Konservative.
Seit dem Skandal um Weihnachtsfeiern lief kein Geringerer als der bisherige
Vorsitzende der Konservativen der Stadt Market Dreyton zu ihrer Partei
über. „Es ist unmöglich für mich, den nicht aus der Region kommenden
Shastri-Hurst mit null Wissen über Shropshire“ zu unterstützen“, begründ…
er seine Entscheidung.
Auf Rednerbühnen nehmen am Ende sogar die anderen Kandidat:innen
Shastri-Hurst in Schutz: Wichtig sei, was jemand erreicht habe, nicht wo er
herkomme, sagt Duncan Kerr von den Grünen.
Der 61-jährige Kerr ist keine Randfigur. Er war 2020-21 Bürgermeister des
Städtchens Oswestry, wo die Grünen 12 von 18 Sitzen im Gemeinderat halten.
Stolz erzählt er von Solarpanels auf öffentlichen Gebäuden und kostenlosem
Nahverkehr am Samstagen, die es seit dem grünen Wahlsieg im Mai in Oswestry
gibt. Falls er ins Parlament einzieht, will Kerr nur ein Drittel seiner
Abgeordnetendiät annehmen, was dem britischen Durchschnittsgehalt
entspreche – als Zeichen gegen Selbstbereicherung in der Politik.
Trotzdem haben außerhalb Oswestrys nur wenige die Grünen auf dem Radar.
Labour-Stammwähler sagen, sie werden Labour wählen, wie immer. Doch der
24-jährige Labour-Kandidat Ben Wood aus Oswestry wirkt unerfahren, obwohl
er auf der Rednerbühne in Whitchurch bei einer Bemerkung zu den
Weihnachtsfeiern sogar raren Applaus ergattert.
Hinter den Kulissen ist Wood das Resultat einer Ausgliederung des letzten
Labour-Kandidaten Graeme Currie, der Corbyn nahe stand – er wirft Labour
jetzt „Stalinismus“ vor, führt das Vorgehen gegen ihn auf seine
Unterstützung Palästinas zurück und hat die Partei verlassen. Viele
Befragte halten Labour trotzdem weiterhin für [3][nicht von Corbyn
rehabilitiert] und für nicht wählbar.
Rentner:innen Jonathan Abbatt und Valentine Davis loben nach einer
Wahlveranstaltung in Oswestry vor allem den Grünen Kerr. Dennoch wird ihre
Stimme an die Liberaldemokratin gehen – um die Tories loszuwerden. Am Ende,
fügt ein dritter Rentner, John Pinfold, hinzu, wird North Shropshire so
oder so gewinnen. „Alle Kandidat:innen der großen vier Parteien sind
besser als der, den wir vorher hatten, und die, die jetzt an der Regierung
sind.“
15 Dec 2021
## LINKS
[1] /Lockdown-Feiern-in-10-Downing-Street/!5817042
[2] /Tumult-bei-britischen-Konservativen/!5813289
[3] /Antisemitismusvorwuerfe-gegen-Corbyn/!5724741
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
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