# taz.de -- Weltklimagipfel in Glasgow: Vier weit verbreitete Irrtümer | |
> Die Fachbegriffe der Klimapolitik sind oft kryptisch, die Konflikte | |
> schwer überschaubar. Wir klären über die wichtigsten Fehleinschätzungen | |
> auf. | |
Bild: Date trotz Klimakatastrophe: Der Qualm der sibirischen Waldbrände stört… | |
## Irrtum 1: Klimagipfel geht um Klimaschutz | |
Klimaschutz ist Sinn und Zweck von Klimakonferenzen. So weit, so richtig. | |
Aber das heißt nicht, dass die Zehntausenden Besucher:innen dieser | |
Veranstaltungen darüber diskutieren, wo demnächst ein Windrad gebaut und | |
ein Kohlekraftwerk abgestellt wird – dass es also im praktischen Sinn darum | |
geht, wie die Emissionen rapide auf null kommen. | |
In diesem Jahr beginnt das wie üblich zweiwöchige Programm mit einem | |
politischen Punkt: dem World Leaders Summit. Gleich am Montag und Dienstag | |
reisen zahlreiche Staatschef:innen an, um die neuen Klimaziele ihrer | |
Länder vorzustellen. Es ist ein bisschen wie die Stunde der Wahrheit für | |
das Paris-Abkommen, das auf Freiwilligkeit aufbaut, also jedem Staat seinen | |
Beitrag zum globalen Klimaschutz freistellt. | |
Im Konferenzjargon ist die Rede von NDCs, was für „nationally determined | |
contributions“ steht. Diese nationalen Klimaziele müssen alle fünf Jahre | |
aktualisiert werden. Das war gerade dran. Zur Debatte steht der Inhalt der | |
präsentierten NDCs dann allerdings nicht. Dabei ist schon klar, dass sie | |
gegenüber vorindustriellen Zeiten auf eine viel zu starke Erderhitzung von | |
2,7 Grad bis zum Jahr 2100 hinauslaufen. | |
Verhandelt wird hingegen an den letzten Fragen eines Regelwerks zum | |
Paris-Abkommen. In diesem stehen zum Beispiel Vorgaben zur Transparenz: | |
Welche Daten zu Wirtschaft und Emissionen müssen Länder in welcher Form | |
erheben und offenlegen? Welche Informationen müssen die NDCs enthalten? Die | |
große offene Frage geistert unter dem Schlagwort „Article 6“ durch die | |
Klimawelt. Es geht dabei um Regeln für den Handel mit Klimaschutz, den der | |
Artikel 6 des Paris-Abkommens grundsätzlich erlaubt. Sprich: Ein Land darf | |
prinzipiell in einem anderen Land Klimaschutz finanzieren und sich den | |
Effekt selbst anrechnen. Im Idealfall würden reiche Länder das in Betracht | |
ziehen, wenn ihnen zu Hause wirklich nichts mehr zum Verbessern einfällt – | |
und in armen Ländern würden sie so das Geld für teure Maßnahmen | |
bereitstellen, die dort sonst nicht stattfinden können. | |
Dieses Prinzip ärgert viele Klimaschützer:innen, denn sie bezweifeln, dass | |
es je zu diesem Idealfall käme. Stattdessen befürchten sie, dass sich | |
Regierungen sich ihre Klimabilanzen mit Handelsspielchen schön rechnen | |
wollen. Es gibt auch durchaus Länder, die offen Interesse an Schlupflöchern | |
bekunden: Brasilien will beispielsweise Doppelzählungen erlauben. Beide | |
beteiligten Länder könnten sich den gekauften Klimaschutzerfolg dann | |
anrechnen. Mit dieser Forderung steht das Land zwar allein da, es gibt aber | |
weitere Verwässerungsvorschläge, die auf mehr Unterstützung rechnen können. | |
Und: Bei den Klimaverhandlungen muss alles einstimmig beschlossen werden. | |
Das führt dazu, dass auch ein einzelnes Land den Prozess blockieren kann. | |
## Irrtum 2: Seit Paris gilt das 1,5-Grad-Ziel | |
Jedes Zehntelgrad zählt: Ob die Erde sich gegenüber vorindustriellen Zeiten | |
um 1,5 oder um 2 Grad aufheizt, macht einen großen Unterschied. Es ist mehr | |
und heftigeres Extremwetter zu erwarten, es drohen mehr Hungersnöte, mehr | |
tödliche Hitzewellen, und es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wichtige | |
Elemente des Erdsystems unwiederbringlich zusammenbrechen. Auch im | |
Paris-Abkommen steht es deshalb drin. Oder? Ja und nein. | |
Tatsächlich gibt es in dem Dokument die Formulierung, man werde | |
Anstrengungen unternehmen, die Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen. | |
Hauptziel ist aber das schon länger anerkannte 2-Grad-Ziel oder, wenn man | |
es genau nimmt: das Ziel, die Erderhitzung bei „deutlich unter“ 2 Grad zu | |
stoppen. | |
Während sich die 1,5 Grad im öffentlichen Diskurs schnell verbreitet haben, | |
sind etliche Regierungen auf der Weltklimakonferenz sehr darauf bedacht, | |
dass das nicht zum internationalen Standard wird. Auf der COP24 im | |
polnischen Katowice blockierten die Ölländer USA, Russland, Kuwait und | |
Saudi-Arabien die Verhandlungen, um durchzusetzen, dass der Sonderbericht | |
des Weltklimarats zum 1,5-Grad-Ziel im Beschluss der Konferenz nur „zur | |
Kenntnis genommen“ statt „begrüßt“ wird. | |
## Irrtum 3: Ist doch klar, wo es hingehen muss! | |
Auf Einladung der Weltwetterorganisation trafen sich 1979 | |
Meteorolog:innen in Genf zu einer Fachkonferenz, um über den | |
besorgniserregenden Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu | |
diskutieren. „Schneestürme, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen – nicht … | |
das Wetter, sondern das gesamte Klima scheint in Unordnung geraten“, hieß | |
es damals in der „Tagesschau“. Die Welt weiß schon sehr lange, wo die | |
Klimakrise herkommt und was dagegen zu tun ist. Die Forschung ist seitdem | |
immer tiefenschärfer geworden. Klimawissenschaftler:innen können | |
mittlerweile alles Mögliche. Gerade haben sie sogar das [1][Klima auf dem | |
Wüstenplaneten Arrakis aus dem Sci-Fi-Blockbuster „Dune“ modelliert]. | |
Das große Aber: Den politischen Knackpunkt kennen wir nicht. Wer wann was | |
macht, legt das Paris-Abkommen nicht fest. In ihren NDCs sollen die Staaten | |
zwar auch begründen, warum ihre freiwillige Zielsetzung ein fairer Beitrag | |
zum Gesamtwerk des globalen Klimaschutzes ist. Auf Kriterien dafür, was | |
fair ist, konnte man sich bisher aber nicht einigen. | |
Jede:r, der schon mal mit Mitbewohner:innen oder (Ehe-) | |
Partner:innen über den Haushalt diskutiert hat, weiß: Es ist nicht damit | |
getan, dass alle Beteiligten bekräftigen, dass die Wohnung sauber sein | |
soll. Putzt die Person mehr, die mehr Zeit hat, die mehr Dreck macht, der | |
Sauberkeit am wichtigsten ist – oder machen trotz unterschiedlicher | |
Voraussetzungen alle das Gleiche? Ohne klare Zuständigkeiten fängt die | |
emotionale Buchführung an, in der man selbst immer gute Gründe für das | |
eigene akribische oder nachlässige Verhalten hat. In diesem Sinn ist das | |
Pariser Weltklimaabkommen vielleicht der schlechteste Putzplan der Welt. | |
## Irrtum 4: Klimakonferenzen bringen nichts | |
Nun findet also wieder eine Weltklimakonferenz statt, während die globalen | |
Emissionen weiter steigen. Das bringt auch die Stirnen mancher | |
Befürworter:innen des globalen Konferenzwesens langsam zum Runzeln. | |
Denn die Konzentration von CO2 in der Amosphäre ist das einzig wahre Maß | |
für Klimaschutz – nicht etwa die Anzahl von Abkommen und Gipfelbeschlüssen. | |
Zwar haben die Klimakonferenzen das Senken der Emissionen in die nationale | |
Freiwilligkeit ausgelagert, doch sind sie Foren für das Schmieden | |
strategischer Allianzen. Als Großbritannien und Kanada 2017 am Rande der | |
COP23 in Bonn ein Bündnis vorstellten, dem alle Länder beitreten durften, | |
die sich zu einem Kohleausstieg verpflichten, war das für Deutschland | |
extrem peinlich. Das Vorreiterbündnis wuchs schnell, aber Kanzlerin Angela | |
Merkel konnte in ihrer Rede als Gastgeberin nur von „harten Diskussionen“ | |
beim Klimaschutz berichten – nicht von Erfolgen. | |
Zu dem Druck für den Kohleausstieg, den die deutsche Klimabewegung schon | |
jahrelang aufgebaut hatte, kam nun die internationale Isolation hinzu, die | |
so gar nicht zu Deutschlands gutem Klima-Image passen wollte. Kurz darauf | |
setzte die Bundesregierung die Kohlekommission ein, die ein – natürlich zu | |
spätes und für die Steuerzahler:innen teures – Ende der Kohle in | |
Deutschland einläutete. | |
Zudem sind die Weltklimakonferenzen das einzige Forum für ein wichtiges | |
Thema: die Klimafinanzierung. Die Industriestaaten haben versprochen, dass | |
sie Geld für Klimaschutz und -anpassung in armen Ländern bereitstellen. | |
Auch in Glasgow wird es um dieses Thema gehen. Eigentlich sollte im Fokus | |
stehen, wie es damit nach 2025 weitergeht, denn bis dahin gab es einen | |
Plan: Von 2020 an haben die reichen Staaten jährlich 100 Milliarden | |
US-Dollar versprochen. Sie sind aber im Zahlungsverzug, und noch ist nicht | |
klar, ob und wie sie die Lücke des vergangenen Jahres auffüllen. Während | |
kein Land zwingend eine Weltklimakonferenz braucht, um die eigenen | |
Emissionen zu senken, kann dieses Thema nicht jede Regierung einzeln | |
bearbeiten. | |
Dasselbe gilt für den internationalen Umgang mit Schäden und Verlusten | |
durch die Klimakrise: Wer kommt auf, wenn ein Sturm ganze Landstriche mit | |
Häusern, Straßen und Ernten vernichtet oder wenn der Ozean durch seinen | |
steigenden Spiegel gar ganze Inseln schluckt? Zurück zu Irrtum 1: | |
Klimakonferenzen sind kein Ort der Öko-Romantik. Auf ihnen geht es um die | |
großen Fragen, um globale Verantwortung, Fairness und Verteilung. | |
29 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://theconversation.com/dune-we-simulated-the-desert-planet-of-arrakis-… | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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