| # taz.de -- Studiengebühren in Baden-Württemberg: Ausländische Studis sollen… | |
| > In Baden-Württemberg zahlen ausländische Studierende enorme Gebühren. Die | |
| > könnten jetzt sogar noch erhöht werden – und Fachkräfte verschrecken. | |
| Bild: Hat nicht für alle einen billigen Sitzplatz: Bibliothek der Stuttgarter … | |
| Könnte Natalia Vergara die Zeit um ein Jahr zurückdrehen, würde sie sich | |
| wohl anders entscheiden. Die Kolumbianerin aus Bogotá studiert seit | |
| vergangenem Dezember im Master International Business and Economics an der | |
| Universität in Hohenheim, Baden-Württemberg. Sie hat den weiten Weg auf | |
| sich genommen, in der Hoffnung auf bessere Studienbedingungen und eine | |
| aussichtsreiche Karriere. Von der anfänglichen Begeisterung ist nicht mehr | |
| viel zu spüren, erzählt die 24-Jährige via Zoom. Heute würde Vergara von | |
| einem Studium in dem Bundesland abraten. | |
| Grund sind [1][die hohen Studiengebühren], die Baden-Württemberg von seinen | |
| internationalen Studierenden verlangt, die sich Vergara kaum leisten kann. | |
| Denn ihre Mutter ist alleinerziehend, einen Teil des Geldes erhält sie von | |
| ihr und ihrer Schwester, den Rest von der Bank. „Ich mache überall | |
| Schulden. Das ist für mich sehr belastend“, sagt Vergara. | |
| ## Über 10.000 Euro für 6 Semester | |
| 1.500 Euro kostet ein Semester in Baden-Württemberg für Studierende aus | |
| Nicht-EU-Ländern, zuzüglich des Semesterbeitrags. An der Universität | |
| Hohenheim liegt dieser derzeit bei 185 Euro im Semester. Wer als | |
| EU-Ausländer*in hier einen Bachelor in der Regelstudienzeit von sechs | |
| Semestern ablegt, zahlt also über 10.000 Euro allein an Studiengebühren. | |
| Hinzu kämen noch Krankenversicherung und Lebenshaltungskosten. | |
| Jetzt könnte das Studium für Studierende aus Nicht-EU-Ländern noch teurer | |
| werden: Am 7. Oktober empfahl der Finanzausschuss des Landtags, die | |
| Studiengebühren um 10 Prozent anzuheben. Auf Anfrage der taz distanzierte | |
| sich Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zwar von einer Erhöhung mit den | |
| Worten, „das Thema steht nicht auf der Agenda“. Gleichzeitig sagte Bauer | |
| aber auch, dass die Regierung „den Prüfauftrag bis Ende 2022 zur Kenntnis | |
| nehmen und dann entsprechend antworten“ werde. Folgt also eine Erhöhung im | |
| kommenden Jahr? | |
| Bislang ist Baden-Württemberg das einzige Bundesland in Deutschland, das | |
| Studiengebühren für Nicht-EU-Bürger*innen verlangt. Entsprechende Pläne gab | |
| es allerdings auch schon in Nordrhein-Westfalen, welches diese jedoch nach | |
| massiver Kritik wieder einstampfte. Auch Niedersachsen erwägt derzeit auf | |
| Anraten des Landesrechnungshofs die Einführung solcher Gebühren. | |
| Klar ist: Deutsche Universitäten brauchen Geld. Die [2][Unterfinanzierung | |
| der Hochschulen] ist eklatant: In Bayern erreicht der Sanierungsstau an | |
| Hochschulgebäuden einige Milliarden Euro, bundesweit sollen es nach | |
| Schätzungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gar 50 | |
| Milliarden sein. Durch das zusätzliche Geld wollen die Hochschulen sich | |
| sanieren. „Eine bessere Betreuung ist der Schlüssel, um die | |
| Studienerfolgschancen zu verbessern“, heißt es hierzu aus dem | |
| Wissenschaftsministerium in Stuttgart. „Dies erfordert zusätzliche Mittel | |
| im System.“ | |
| Fraglich ist bloß, ob sich die Finanzierungslücke auf dem Rücken | |
| internationaler Studierender austragen lässt. Für Ramazan Eren, | |
| Vorsitzender der Ausländer*innen-Vertretung der RWTH Aachen, ist klar, | |
| dass Studierende durch die Studiengebühren aufgrund ihrer Herkunft | |
| diskriminiert werden. „Schon jetzt stehen Studierende aus Nicht-EU-Staaten | |
| vor ausreichend Herausforderungen, ihren Lebensunterhalt und das Studium zu | |
| finanzieren“, betont Eren. „Eine zusätzliche Belastung würde den | |
| Studienerfolg nur mehr erschweren.“ | |
| ## Abschreckende Wirkung | |
| Ahmad El Sabbagh spielt bereits mit dem Gedanken, sein Studium an der | |
| Universität Hohenheim abzubrechen. Der 23-Jährige kommt aus Sidon, einer | |
| Stadt im Süden Libanons. Er studiert wie Vergara seit dem Wintersemester | |
| 2020/2021 den Master International Business and Economics in Hon aus dem | |
| Libanon. Bloß steckt das Nahostland seit vergangenem Jahr tief in einer | |
| Wirtschaftskrise; irgendwann stoppten die libanesischen Banken den | |
| Geldtransfer, und die Zahlungen von El Sabbaghs Eltern blieben aus. | |
| Der Libanese hat zwar einen Nebenjob, als Student darf er jedoch maximal 20 | |
| Stunden die Woche arbeiten, ohne seine Krankenversicherung zu gefährden. | |
| „Ich spare fast alles, was ich verdiene, um mir irgendwie die | |
| Studiengebühren am Anfang des nächsten Semesters leisten zu können“, | |
| erzählt der Libanese. Damit ist die Lage jetzt schon prekär für ihn; wenn | |
| die Studiengebühren weiter anziehen, könnte das Studium unbezahlbar werden. | |
| Studienanfänger*innen wiederum – vor allem aus schwächeren | |
| Einkommensverhältnissen – dürften sich erst recht zweimal überlegen, ob sie | |
| ein Studium in Baden-Württemberg aufnehmen wollen. Hohe Kosten sind für | |
| [3][Kinder aus ärmeren Verhältnissen] oft ein Grund, nicht zu studieren, | |
| betont Katja Urbatsch, Gründerin des Netzwerks Arbeiterkind, in der Zeit. | |
| Wie abschreckend die Studiengebühren tatsächlich wirken, zeigen neueste | |
| Berechnungen des Aktionsbündnisses gegen Bildungs- und Studiengebühren | |
| (ABS): Mit der Einführung der Studiengebühren im Wintersemester 2016/2017 | |
| ist die Anzahl internationaler Studierender in Baden-Württemberg um fast 40 | |
| Prozent zurückgegangen. Wohingegen laut Statistischem Bundesamt in allen | |
| anderen Bundesländern die Zahl der internationalen Studienanfänger um rund | |
| 13 Prozent stieg. | |
| ## Verheerende Auswirkungen | |
| Für Baden-Württemberg als internationaler Studienstandort ist das ein | |
| Armutszeugnis. „Die Gebühr hat gezeigt, dass sie dem Hochschulstandort | |
| Baden-Württemberg irreparablen Schaden zufügt und Interessierten ein | |
| Studium im Land verwehrt“, sagt Nathalie Schäfer vom Aktionsbündnis gegen | |
| Bildungs- und Studiengebühren. Dass engagierte Studierende aus | |
| Nicht-EU-Ländern ihr Studium abbrechen oder direkt fernbleiben, | |
| konterkariert jegliches Streben der Hochschulen, ausländische Talente zu | |
| gewinnen. | |
| „Die Universitäten haben sich in den letzten Jahren verstärkt um | |
| Internationalisierung bemüht. Diese Aktivitäten sollten nicht ausgebremst | |
| werden“, sagt Gerhard Sagerer, Direktor der Universität Bielefeld. Nicht | |
| umsonst forderten die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm „Studium und | |
| Ausbildung für Menschen aus dem Ausland zu erleichtern“. | |
| Dass die grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg hingegen ihr eigenes | |
| Süppchen kocht, ist für jegliche Chancengleicheit verheerend, scheint so | |
| manchem aber gelegen zu kommen. | |
| Der amtierende Direktor der Universität Stuttgart, Wolfgang Ressel, etwa | |
| sprach sich schon im Jahr 2016 gegen die wachsende Zahl internationaler | |
| Studierender an seiner Uni aus. Zu der Zeit kam in Stuttgart noch rund ein | |
| Fünftel aus dem EU-Ausland. „Das ist zu viel, um ehrlich zu sein“, | |
| kommentierte Ressel die Zahl. Insbesondere der Zuwachs chinesischer | |
| Studierender schien ihn zu stören. „Sie neigen zur Ghettobildung, bleiben | |
| unter sich, das wirkt sich auf die Sprachqualität aus“, sagte der Direktor | |
| damals in einer öffentlichen Sitzung von Senat und Unirat. | |
| 28 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Petition-zu-Studiengebuehren-in-BaWue/!5368885 | |
| [2] /Nach-der-Exzellenz-Entscheidung/!5607717 | |
| [3] /Arbeiterkinder-an-Universitaeten/!5629182 | |
| ## AUTOREN | |
| Marilena Piesker | |
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| Katharina Fegebank | |
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