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# taz.de -- Antisemitismusvorwürfe von Gil Ofarim: Wider die Schlammschlacht
> Egal ob Sänger Gil Ofarim beleidigt worden ist oder nicht: Antisemitismus
> zeigt sich aktuell deutlich demaskierter.
Bild: Demonstration gegen Antisemitismus vor dem Leipziger Hotel „Westin“ A…
Es steht Aussage gegen Aussage. Der Sänger Gil Ofarim bleibt dabei, dass
ihn ein Leipziger Hotelmitarbeiter antisemitisch beleidigt habe. Ofarim hat
eine Strafanzeige gestellt. Der Hotelmitarbeiter erklärt Ofarims Erklärung
für falsch und hat seinerseits eine Anzeige gegen den Sänger gestellt.
[1][Eine von dem Hotel beauftragte Kanzlei kommt nach Zeugenbefragungen zu
dem Schluss, dass niemand Ofarims Darstellung bestätigen kann]. Die
Videoaufnahmen sind uneindeutig. Sie sind ohne Ton, und es ist nicht genau
zu erkennen, ob Ofarim eine Kette mit Davidstern trug, mit der er als
jüdisch zu erkennen gewesen sein soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und
äußert sich zum Stand ihrer Erkenntnisse vorläufig nicht.
Ist Ofarim Opfer eines Antisemiten? Oder hat der Sänger die Geschichte
erfunden? Es wäre weise, wenn die Öffentlichkeit sich nun gedulden würde,
bis sie zu einer Bewertung des Vorfalls kommt. Doch in Zeiten der sozialen
Medien ist so ein Ratschlag wohl weltfremd. Allein der Verdacht – und mehr
ist es bisher eben nicht –, dass Ofarim eine judenfeindlichen Angriff
erfunden haben könnte, reicht aus, damit Twitter, Facebook & Co
überschäumen.
Zunächst einmal gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung. In
Anbetracht der divergierenden Darstellungen ist es richtig, dass die
Staatsanwaltschaft den Vorfall prüft. Es ist allerdings angesichts der
Indizienlage durchaus vorstellbar, dass sie zu keiner eindeutigen
Beweislage kommt. Das hat in solchen Fällen meist eine Einstellung des
Verfahrens zur Folge.
Viele der fasziniert gaffenden Zuschauer der nun aufgeführten veritablen
Schlammschlacht meinen, allein die Vorstellung, dass Ofarim Antisemitismus
herbeifantasiert haben könnte, sei eine Ungeheuerlichkeit. Die einen kommen
zu dem Schluss, dass dies der Sache, also dem Kampf gegen den Judenhass,
[2][wenig dienlich sei, sollte dies stimmen.] Die anderen konstruieren,
dass der Antisemitismus in Deutschland ja gar nicht so schlimm sein könne,
wenn er schon erfunden werden müsste.
## Täter- und Opfertausch
Dazu ist zu sagen: Die Imagination judenfeindlicher Attacken oder
verwandter Behauptungen kommt vor, selten immerhin, aber so etwas gibt es.
Vor Jahren machte eine Jugendliche mit der Geschichte auf sich aufmerksam,
[3][Neonazis hätte ihr ein Hakenkreuz in die Haut eingeritzt. Die Story war
gelogen], sie hatte es selbst geritzt. Von einem ganz anderen Kaliber ist
die Geschichte eines Schweizer Autors, der sich als Holocaust-Überlebender
tarnte und damit Bekanntheit gewann. Und erst im letzten Jahr behauptete
ein Nebenkläger in einem Prozess gegen den NS-Wachmann D. in Hamburg, er
sei als Jude im KZ Stutthof gefoltert worden. Nichts davon entsprach der
Wahrheit.
All diese Imaginationen folgen der Logik, dass der Antisemitismus –
glücklicherweise – so stark tabuisiert ist, dass sich daraus Aufmerksamkeit
generieren lässt. Die Täter wollen Opfer sein, um ihre gesellschaftliche
Aufwertung zu erreichen, und sei es, indem man sich als Verfolgter von
judenfeindlichen Nazis präsentiert.
Die Vorfälle unterscheiden sich prinzipiell aber nicht von anderen
Vorkommnissen der Selbstsucht, etwa, in dem man sich als Opfer einer schwer
kriminellen Tat präsentiert, die es nicht gegeben hat, oder wenn man mit
intimen Beziehungen zu Prominenten prahlt, die nicht vorhanden sind.
Solche Erfindungen vertauschen Täter und Opfer. Sie lassen daher den
Beobachter zweifelnd zurück. In diesem Fall heißt das: Sind die Juden
ehrlich? Ist der Judenhass wirklich so schlimm?
## Man kommt immer raus beim Ressentiment
Diese Legenden setzen sich gerade in vielen Köpfen fest, obwohl keineswegs
bewiesen ist, dass Ofarim nicht die Wahrheit sagt. Die erste Frage
impliziert, dass Juden in irgendeiner Weise „anders“ sind. Das entspricht
einem antisemitischen Ressentiment. Womit wir beim zweiten Punkt sind,
nämlich der Leugnung eines weit verbreiteten Antisemitismus in der
deutschen Gesellschaft.
Hier ist es freilich nur zu offensichtlich, dass den Protagonisten dieser
Erzählung Vorfälle wie die genannten nur allzu willkommen sind, um etwas zu
leugnen, was angesichts der Statistiken von Polizei und Opferverbänden
offensichtlich ist: Antisemitismus ist ein Alltagsphänomen, das sich in
jüngster Zeit deutlich demaskierter zeigt. Vertreter diese These stehen
daher in dem begründeten Verdacht, selbst Antisemiten zu sein.
28 Oct 2021
## LINKS
[1] /Interne-Ermittlung-im-Fall-Gil-Ofarim/!5811607
[2] /Antisemitismusvorwurf-von-Gil-Ofarim/!5805808
[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/mittweida-die-dubiose-geschichte…
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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