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# taz.de -- Sozialleben in der Pandemie: Abschied vom Igeln
> Unsere Kolumnistin, eigentlich eine soziale Person, entwickelte in der
> Pandemie Panik vor dem Zusammensein. Und lernt das Lieben und Feiern
> wieder.
Bild: Mit echten Menschen anstoßen statt mit wackeligen Zoom-Kästchen
Ich bin gestern 33 geworden und habe mit einigen Freund*innen in meiner
Wohnung dazu angestoßen. Eine kleine Feier nach 1,5 Jahren Verwirrung und
Lockdowns hat mir so gut getan und mich wieder Dinge spüren lassen, die ich
schon lange nicht mehr gefühlt habe. Als meine Freund*innen im Wohnzimmer
um mich herum standen und Happy Birthday sangen, habe ich noch was anderes
gespürt als das Kribbeln in den Händen, weil man nie so recht weiß, was man
macht, wenn man besungen wird.
Ich habe in jedes Gesicht geschaut und so viel Liebe gespürt wie schon
lange nicht mehr. Und mit einem Moment wurde mir klar, [1][was mir und uns
in den letzten Jahren verwehrt geblieben ist]. Unsere Liebe zeigen wir auf
unterschiedliche Art und Weise, und eine Art ist das gemeinsame Feiern
kleinerer und größerer persönlicher Meilensteine. Das hat mir sehr gefehlt.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen und euch geht, aber in den letzten 1,5 Jahren
bin ich eine Maschine geworden, leider nicht im sportlichen Sinne, sondern
im Funktionieren. Alles abhaken, immer mehr und immer weiter, ein Projekt
jagt das nächste und dazwischen fehlt Zeit zum Durchatmen, Reflektieren und
Feiern.
Das war es nämlich gestern Abend auch: Stellvertretend für alle schönen
Ereignisse, die wir alleine im Wohnzimmer „gefeiert“ haben, konnte ich
jetzt endlich wieder in die Augen meiner Freund*innen schauen, meine
Schwester umarmen und mit echten Menschen anstoßen statt mit wackligen
Zoom-Kästchen.
Ich war vor der Pandemie eine ziemlich soziale Person, immer unterwegs und
ständig von Menschen umgeben, ein bisschen wie die Frauen in den
Tampon-Werbungen, die an einem Tag so viel erleben wie die meisten in einer
Woche nicht. Ich habe mich immer wohl gefühlt, wenn ich von Menschen
umringt war. Am Anfang der Pandemie machte mir [2][die Isolation] nicht
viel aus. Ich mochte es sogar, endlich wieder mehr Zeit für mich zu haben,
aber nach einer Weile bemerkte ich etwas eigenartiges: ich entwickelte eine
regelrechte Angst vor Menschen.
## Panik vor Zusammensein
Nach der Arbeit (meist im Home-Office) konnte ich es kaum erwarten, wieder
ins Bett zu fallen. Verabredungen mit guten Freunden konnte ich nicht
wahrnehmen, weil ich regelrecht Panikattacken hatte, bevor ich das Haus
verlassen wollte. Ich erinnere mich an eine Geburtstagsfeier eines sehr
guten Freundes, die draußen am Ufer stattfand. Nach zehn Minuten gab ich
vor, aufs Klo gehen zu müssen, weil mir das Zusammensein mit Menschen so
schwer fiel. Wann war ich so geworden, fragte ich mich?
Irgendwann gewöhnte ich mich daran, dass ich mich verändert hatte, und
igelte mich mehr ein. Soziale Situationen nahmen mir so viel Energie, dass
ich alles mied, was nicht Arbeit war. Ich feierte nichts mehr und fühlte
immer weniger. Ehrlich gesagt, hatte ich mich damit abgefunden, dass ich
das, was mir früher so leicht fiel, einfach nicht mehr könnte. Bis auf
gestern Abend: Mein Herz war so voller Liebe und Dankbarkeit, dass es sich
so anfühlte, als ob sich die alte Anna ihren Weg frei bahnt und sich
endlich mal wieder zeigt.
10 Oct 2021
## LINKS
[1] /Social-Distancing-und-Corona/!5759269
[2] /Ein-Jahr-Corona-in-Berlin/!5752344
## AUTOREN
Anna Dushime
## TAGS
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Covid-19
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Einsamkeit
Kinderrechte
Lesestück Recherche und Reportage
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