| # taz.de -- Jagd auf Migranten in Libyen: Mit Stöcken und Peitschen | |
| > Eine Woche nach den Massenfestnahmen in Libyen werden Fluchtversuche mit | |
| > Gewalt niedergeschlagen. Verzweifelte Proteste vor dem UNHCR-Gebäude. | |
| Bild: Ausweglos: Migranten suchen Schutz vor dem UNHCR-Büro in Tripolis, Samst… | |
| Tunis taz | Die Lage der mehreren Tausend vor gut einer Woche inhaftierten | |
| Migrantinnen in Libyen spitzt sich zu. Mindestens sechs Menschen kamen am | |
| Freitag beim Ausbruchversuch aus einem Gefängnis in der libyschen | |
| Hauptstadt Tripolis ums Leben. 22 wurden mit Schusswunden in Krankenhäuser | |
| eingeliefert, berichtete die UN-Migrationsorganisation IOM (Internationale | |
| Organisation für Migration). | |
| „Die Wachen haben auf die flüchtenden Menschen geschossen haben, die in dem | |
| überfüllten Al-Mabani-Zentrum zusammengepfercht waren“, berichtet Frederico | |
| Soda, Leiter der [1][Libyen-Mission der IOM]. | |
| Autofahrer auf einer Schnellstraße filmten mit ihren Mobiltelefonen Szenen | |
| einer Massenflucht aus der Lagerhalle, in der Tausende Menschen | |
| festgehalten wurden. Gruppen von dunkelhäutigen Migranten steigen in den | |
| auf sozialen Medien verbreiteten Clips über Betonabsperrungen, rennen über | |
| die mehrspurige Straße und verschwinden in verwinkelten Straßen, mehrere | |
| werden von Fahrzeugen erfasst und verletzt. | |
| In der Vorwoche hatte Libyens Regierung in einer völlig überraschenden | |
| [2][Verhaftungsaktion] Tausende Flüchtlinge und Migrantinnen aus ihren | |
| Wohnungen, auf offener Straße und aus Massenunterkünften zusammentreiben | |
| lassen. In Bussen und auf Pick Ups wurden nach offiziellen Angaben 4000 | |
| Menschen in Lager gebracht, doch Anwohner im betroffenen Hauptstadtbezirk | |
| Gargaresch gehen gegenüber der taz von weit mehr Verhafteten aus. | |
| ## Keine Nahrung, kein Wasser | |
| Der Sudanese Ahmed Bol wurde aus seiner Wohnung verschleppt. „Maskierte | |
| Männer in Uniform nahmen uns Handy, Geld und Dokumente ab, obwohl wir alle | |
| Arbeit auf einer Baustelle haben und gemeinsam eine Wohnung mieten“, | |
| berichtet der 25jährige der taz am Telefon. | |
| Auch er wurde mit per Plastikfessel hinter dem Rücken zusammengebundenen | |
| Händen nach Al-Mabani gebracht. Der Lagerhallenkomplex wird in Kooperation | |
| mit der UNO betrieben und ist für 1000 Migranten ausgelegt. IOM-Chef Soda | |
| geht nun von 3000 Menschen aus, die dort auf dem Boden schlafen und | |
| hungern. | |
| Einige Verhaftete konnten mit eingeschmuggelten Handys filmen, wie | |
| Uniformierte mit Stöcken und Peitschen auf am Boden hockende Menschen | |
| einschlagen. Aus Verzweiflung über den Mangel an Wasser, Nahrung und Platz | |
| begannen dann am Freitag in mehreren Gefängnissen Aufstände, berichtet | |
| Ahmed Bol. | |
| ## „Ein nicht endender Strom humpelnder Menschen“ | |
| Der libysche Student Osama Al-Ghmg lebt in Gargaresch und hat alles | |
| mitbekommen: die Abriegelung der Migrantenviertel, die Razzia, nun das | |
| Herumirren von Tausenden Migranten, die ins Viertel zurückwollen. „Auch | |
| heute am Sonntag zieht ein nicht endender Strom von humpelnden oder sich | |
| gegenseitig stützenden Menschen durch die Stadt, ich habe auch viele Frauen | |
| mit Kindern auf dem Arm gesehen“, sagt er. | |
| Während einige Ladenbesitzer und Passanten Wasser und Lebensmittel | |
| verteilen, schließen andere aus Angst vor Plünderungen ihre Geschäfte. Auf | |
| von Anwohnern gefilmten Aufnahmen rufen junge Männer „Freiheit“ und | |
| „Somalia“, „Sudan“ oder „Ägypten“. | |
| Die libyschen Behörden hatten versprochen, die Mehrheit der Verhafteten | |
| schnell in ihre Heimat zurückzufliegen. „Doch die Repatriierung ist ohne | |
| Papiere und Hilfe von IOM oder UNHCR kaum möglich“, berichtet der libysche | |
| UNHCR-Mitarbeiter Meftah Lawel. „Wir versuchen, Lebensmittel | |
| heranzuschaffen, weil viele nur noch besitzen, was sie am Leibe tragen.“ | |
| ## Regierung entschuldigt sich | |
| Vor dem [3][UNHCR-Hauptquartier in Tripolis] suchen viele Schutz, die | |
| Behandlung ihrer Verletzungen oder schlicht eine Mahlzeit. „Wir wollen den | |
| besonders Betroffenen helfen, kommen aber wegen den Massen vor dem Gebäude | |
| nicht an sie heran“, berichtet ein anderer UNHCR-Angestellter. | |
| So langsam schwant es auch libyschen Offiziellen, dass die ehemaligen | |
| Milizen im Dienst der Regierung diesmal zu weit gegangen sind. | |
| Regierungschef Dbaiba hatte sich noch am Tag nach der Razzia persönlich bei | |
| ihnen bedankt. Am Sonntag besuchte nun Moussa Kouni, Mitglied des | |
| dreiköpfigen Staatsrates, eine Gruppe von obdachlosen Migranten. Der Tuareg | |
| aus dem Süden Libyens entschuldigte sich und versprach die Freilassung | |
| ihrer Angehörigen. | |
| 10 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://libya.iom.int/ | |
| [2] /Gefluechtete-in-Libyen/!5801435 | |
| [3] https://www.unhcr.org/libya.html | |
| ## AUTOREN | |
| Mirco Keilberth | |
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