| # taz.de -- Generationenkonflikt ums Klima: Alles zu verlieren, keine Stimme | |
| > Können, ja müssen Eltern und Großeltern im Sinne ihrer Kinder und | |
| > Enkel:innen wählen? Oder wie sichert man sonst deren Teilhabe? | |
| Bild: Auf die Straße gehen ja, Wählen nein: Fridays-for-Future-Protest in Ber… | |
| Berlin taz | „Was wünschst du mir für meine Zukunft?“ Diese Frage, sagt | |
| Anne Risse, sei ein guter Einstieg in das Gespräch mit ihrer Mutter | |
| gewesen. [1][Anne Risse ist Jahrgang 1998, ihre Mutter 1960 geboren.] | |
| Politisch seien ihre Eltern schon immer gewesen, sagt die Studentin, aber | |
| nicht unbedingt interessiert an Umwelt- und Klimaschutz. Also hat sich die | |
| Fridays-for-Future-Aktivistin und Greenpeace-Praktikantin von ihrem | |
| zeitweiligen Arbeitsplatz ein Kartenspiel mitgenommen, Name: „Der | |
| Generationendialog“. | |
| Die Sozialwissenschaftlerin und Campagnerin Gianna Martini hat sich dieses | |
| Spiel ausgedacht. Greenpeace hat es nicht nur auf Anfrage verschickt, | |
| sondern ist damit auch durch 50 deutsche Städte getourt. Das Wichtigste | |
| dabei sei gewesen, sich gegenseitig zuzuhören, deutlich zu machen: „Das | |
| interessiert mich, was du zu sagen hast“, sagt Martini. Auch für die | |
| meinungsstarken Mitarbeiter:innen von Greenpeace sei die Idee neu | |
| gewesen: „Normalerweise hören wir ja nicht zu, sondern stellen | |
| Forderungen.“ Aber es sei eben ein Unterschied, ob man mit den Eltern oder | |
| Großeltern spreche [2][oder mit einem Ölkonzern]. | |
| Nicht nur Greenpeace hat sich in diesem Wahlkampf intensiv damit | |
| auseinandergesetzt, dass die vom Thema Klimawandel besonders betroffenen | |
| Jahrgänge deutlich weniger Wähler:innen stellen als die älteren. 14,4 | |
| Prozent der Wahlberechtigten sind unter 30 Jahre alt, 38,3 Prozent über 60. | |
| Der Youtuber Rezo hat deswegen in seinem [3][„Zerstörer-Video“] vor allem | |
| die Älteren beschworen, sie sollten bitte die Interessen der Jungen an mehr | |
| Klimaschutz wahrnehmen. Die Initiativen Fridays for Future und German Zero | |
| sind Partner der „Enkelkinderbriefe“, in denen Kinder sich mit | |
| Satzbausteinen an ihre Großeltern wenden können. Die Idee dahinter: „Mit | |
| dem Brief-Generator findest du die richtigen Argumente, um deine Großeltern | |
| um ihre Stimme zu bitten“ – so die Website. | |
| Die Umsetzung der Wahlprogramme der im Bundestag vertretenen Parteien | |
| bringe Deutschland derzeit nicht auf die 1,5-Grad-Linie, stellte das | |
| Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung jüngst fest, am nächsten kommen | |
| ihr nach der DIW-Analyse die Grünen. Wer also intensiv zu einer „Klimawahl“ | |
| aufruft – der wirbt indirekt für Baerbock und Co. Ist das ein legitimes | |
| Anliegen der Jüngeren oder schäbiger Agitprop? | |
| ## Die Sorgen der Kinder | |
| Der Enkeltrick sei „ein bewährtes Instrument aus dem Baukasten totalitärer | |
| Regime“, befand der Autor Alexander Grau in der konservativen Zeitschrift | |
| Cicero, und auch Zeit Online regte sich auf über die Aktion: „Kinder müssen | |
| gar nichts, schon gar nicht in einen politischen Dialog mit ihren | |
| Großeltern treten“, befand das Medium, es sei Zeit, die „Jüngsten der | |
| Gesellschaft einfach mal in Ruhe zu lassen“. | |
| Daniel Grein schnappt am Telefon hörbar nach Luft. „So kann nur reden, wer | |
| glaubt, dass Kinder keine Sorgen haben“, sagt der Geschäftsführer des | |
| Deutschen Kinderschutzbundes, „sie haben aber Sorgen.“ Kinderarmut sei ein | |
| gravierendes Problem. „Soll ich den betroffenen Kindern sagen, wartet mal | |
| 20 Jahre, dann seid ihr groß und könnt das angehen?“, fragt Grein. Mit dem | |
| Klimawandel sei es das Gleiche. „[4][Das betrifft die Kinder und | |
| Jugendlichen], und sie haben keine Möglichkeit, politisch etwas dagegen zu | |
| tun.“ | |
| Max Schulte befasst sich am Institut für Politikwissenschaften der | |
| Universität Münster mit sozialen Bewegungen. Die Erzählung von der | |
| Klimakrise als einem übergroßen Problem, die Idee, „wir müssen etwas | |
| machen, sonst gehen wir unter“, sei nicht neu, sagt Schulte. [5][Auch die | |
| Umwelt- und Friedensbewegung der 70er und 80er Jahre kannte diese Erzählung | |
| als Angst vor einem Atomkrieg oder einem atomaren Unfall]. „Das birgt immer | |
| die Gefahr, ein Problem als absolut zu setzen und es gegen andere | |
| auszuspielen, etwa Klima- gegen Sozialpolitik“, sagt Schulte. Darum sei es | |
| ein großer Fortschritt in der Debatte, dass das Thema Klimagerechtigkeit | |
| bei Fridays for Future und auch in der Umweltbewegung insgesamt stärker | |
| geworden sei. | |
| ## Wie misst sich Erfolg? | |
| Mit seinen Studierenden hat der 40-jährige Sozialwissenschaftler die jungen | |
| Klimademonstrant:innen interviewt und sie nach ihrer Motivation | |
| gefragt. „Vor allem sind sie empört“, sagt Schulte, „weil sie die | |
| wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel sehen und finden, da | |
| muss man doch was machen.“ Das Moment des „Wie könnt ihr das nur | |
| ignorieren“ sei ganz stark. | |
| Der Einfluss der Jugendlichen, die zum Klimastreik gingen, bemesse sich | |
| auch daraus, wie sie auf andere Personengruppen wirkten. „Sie haben dem | |
| Thema Klimaschutz in der Gesamtbevölkerung eine neue Bedeutung verliehen“, | |
| sagt Schulte, „Erfolg bemisst sich ja nicht nur daran, ob eine soziale | |
| Bewegung die politische Programmatik von Parteien beeinflusst oder ob ihre | |
| Mitglieder Einzug in die Parlamente halten.“ | |
| Das sieht Daniel Grein vom Kinderschutzbund ganz anders. „Die Kinder und | |
| Jugendlichen haben in den vergangenen Jahren ausführlich von ihrem | |
| Demonstrationsrecht Gebrauch gemacht“, sagt er. Wenn das irgendjemand in | |
| Parlament oder Regierung ernst nehmen würde, „sähe die Politik doch anders | |
| aus, oder?“, fragt er. | |
| Am Ende sei es eben doch entscheidend, wer im Parlament sitze und in der | |
| Regierung die Entscheidungen treffe. Daher müsse das Wahlalter abgesenkt | |
| werden auf 14 Jahre. In diesem Alter würden die Jugendlichen | |
| religionsmündig, „darauf können sich viele einigen“, sagt Grein. Außerdem | |
| gehörten Kinderrechte ins Grundgesetz. „Man sieht ja, was das Staatsziel | |
| Umweltschutz bewirken konnte“, sagt Grein. | |
| [6][Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung dazu verurteilt], | |
| ihre Klimaschutzgesetzgebung zu verschärfen. Es begründete seine | |
| Entscheidung mit der in der Verfassung festgeschriebenen Pflicht, die | |
| natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu sichern. „Hätten | |
| auch Kinderrechte Verfassungsrang“, sagt Grein, „könnte das eine ähnliche | |
| Wucht entfalten.“ SPD, Grüne und Linkspartei seien dafür, Kinderrechte so | |
| festzuschreiben, CDU und FDP würden das Thema in ihren Wahlprogrammen nicht | |
| explizit erwähnen, die AfD sei dagegen. | |
| ## Wo sie Einfluss nehmen können | |
| Es gehe darum, den Jugendlichen die Möglichkeit zu politischer Teilhabe zu | |
| geben und ihnen zu zeigen, wo überall sie Einfluss nehmen können, sagt | |
| Oliver Wagner. Wagner ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Energiepolitik | |
| am Wuppertal Institut und leitet das Projekt Schools for Future. „Viele | |
| Gemeindeordnungen erlauben es Jugendlichen, Anträge an den Gemeinderat zu | |
| stellen“, sagt Wagner, „das wissen häufig weder die Schüler noch die | |
| Lehrer.“ | |
| Die Schulen hätten im Rahmen der politischen Bildung häufig nur den | |
| Bundestag, höchstens noch den Landtag im Blick. Doch auch auf der Ebene der | |
| Kommunen könnten Bürger:innen viel für den Klimaschutz erreichen. „Die | |
| Jugendlichen sollten in die Gemeinderatssitzungen gehen“, sagt Wagner. Für | |
| ihre Interessen, glaubt der Vater zweier Töchter, müssten die Jugendlichen | |
| schon selbst einstehen. „ ‚Opa, gib mir deine Stimme?‘ – ich glaube nic… | |
| dass da viel bei rauskommt.“ | |
| Allerdings, wendet Schulte von der Uni Münster ein, wählten „Menschen ja | |
| nicht nur im Hinblick auf ihre eigene Betroffenheit“. Man könne reich sein | |
| und trotzdem Parteien wählen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, | |
| und genauso könne man auch alt sein und sich für Klimaschutz interessieren. | |
| Jana Rosenbaum aus Osnabrück hat das Greenpeace-Kartenspiel mit ihren | |
| Großeltern gespielt. Je länger es gedauert habe, desto mehr Spaß habe es | |
| gemacht, sagt die 15-Jährige, „unsere Antworten sind immer länger | |
| geworden“. Ob Oma, Ende 50, und Opa, Mitte 60, nach dem Gespräch ihre | |
| Kreuzchen am Sonntag bei einer anderen Partei machen, hat sich die Enkelin | |
| nicht zu fragen getraut. Sie hoffe, dass es eine Partei ist, die | |
| „nachhaltige Politik macht und Klimaschutz ernst nimmt“, sagt Jana | |
| Rosenbaum. Aber eigentlich, sagt sie, hätte sie gerne selbst gewählt: | |
| „Warum muss ich andere überzeugen, für mich abzustimmen? Ich möchte selbst | |
| entscheiden, das ist meine Zukunft.“ | |
| 24 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Jung-und-alt-im-Wahlkampf/!5797878 | |
| [2] /Keine-Bohrungen-vor-Groenland/!5781585 | |
| [3] https://www.youtube.com/watch?v=rIj3qskDAZM | |
| [4] /Unicef-schlaegt-Alarm/!5792399 | |
| [5] /Kritik-an-Boomern/!5782260 | |
| [6] /Anwalt-ueber-erfolgreiche-Klimaklagen/!5765073 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Generationen | |
| GNS | |
| Schwerpunkt Klimaproteste | |
| Medien | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Schwerpunkt Fridays For Future | |
| Schwerpunkt AfD | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimathemen für Kinder: Behutsames Berichten | |
| Viele Kinder wünschen sich Umweltthemen in den Medien. Die meisten Angebote | |
| setzten auf Selbstermächtigung – nicht ohne Grund. | |
| Internationaler Klimaprotest: Globale Erhitzung | |
| Fridays for Future sind zurück: Nach monatelanger Coronapause protestieren | |
| weltweit wieder Hunderttausende für eine bessere Klimapolitik. | |
| Parteiprogramme zum Klima: 1,5 Grad? Kein Plan! | |
| Keine Partei nimmt sich genug für den Klimaschutz vor. Trotzdem gibt es | |
| deutliche Unterschiede. Die Parteiprogramme im Überblick. | |
| FFF-Sprecherin über die Bundestagswahl: „Eltern wählen für ihre Kinder“ | |
| Beim globalen Klimastreik will „Fridays for Future“ am Freitag auch im | |
| Norden streiken. Ältere Wähler*innen seien nun in der Pflicht. | |
| Junge Klimaaktivisten geben zu Protokoll: „Läuft auf Öko-Diktatur hinaus!“ | |
| Drei junge Menschen aus dem Klimacamp geben Auskunft über ihre Hoffnungen | |
| und Ängste, und darüber, dass die Zukunft alles andere als bequem wird. | |
| Ergebnisse der U-18-Wahl: Klimawahl? Nicht für alle! | |
| Bundesweit würden Jugendliche am häufigsten Grüne wählen – in Sachsen und | |
| Thüringen sieht das aber gänzlich anders aus. |