# taz.de -- Solar- und Windkraft: Die Energiewende läuft an | |
> Immer mehr Solar- und Windkraftwerke finanzieren sich am Markt. Das liegt | |
> unter anderm daran, dass der CO2-Preis zuletzt stark gestiegen ist. | |
Bild: Die Zeichen stehen auf Wachstum | |
FREIBURG taz | Meldungen wie diese werden immer mehr zur Normalität: Der | |
Energiekonzern Vattenfall teilte unlängst mit, er habe mit der Errichtung | |
„des größten und ersten subventionsfreien Offshore-Windparks der Welt“ | |
begonnen. Vor der niederländischen Küste entsteht in den nächsten zwei | |
Jahren das Projekt Hollandse Kust Zuid mit 140 Anlagen – frei am Markt | |
finanziert. | |
Möglich wird das durch gestiegene Preise von Erdgas und Kohle auf dem | |
Weltmarkt, aber vor allem durch den gestiegenen und nach Einschätzungen von | |
Branchenkennern weiter steigenden CO2-Preis. Der nämlich verteuert den | |
fossil erzeugten Strom inzwischen spürbar – und macht so Erneuerbare auch | |
ohne gesetzlich garantierte Einspeisevergütungen konkurrenzfähig. | |
Auf diese Weise ist der europäische Emissionshandel nach einer langen | |
Anlaufphase erstmals zu einem wichtigen Treiber der Energiewende geworden. | |
Die Tonne CO2, die im Jahr 2020 noch durchschnittlich 24,52 Euro kostete, | |
steht aktuell bei rund 60 Euro. Macht die EU Ernst mit ihrem „Green Deal“, | |
werden die CO2-Preise abermals deutlich steigen. | |
Da die fossilen Energien noch immer die Strompreise an den Terminmärkten | |
prägen, schlagen die Kosten der Emissionszertifikate und auch die | |
gestiegenen Gas- und Kohlepreise direkt auf die Notierungen im Stromhandel | |
durch. So wurde am Montag dieser Woche erstmals in der Geschichte der | |
Strombörse EEX ein Jahreskontrakt zur Stromlieferung (Baseload 2022 | |
genannt) für mehr als 100 Euro je Megawattstunde gehandelt. Das ist mehr | |
als eine Verdopplung binnen eines Jahres. Am gestrigen Mittwoch wurden | |
zeitweise sogar 108 Euro bezahlt. | |
Für Produzenten von CO2-freiem Strom sind das gute Nachrichten, denn ihre | |
Erlöse steigen entsprechend. Damit nähert sich die Energiewelt einem Punkt, | |
den die Urväter der Energiewende stets als Langfristziel im Blick hatten: | |
weg von der Förderung von Solar- und Windstrom, hin zu auskömmlichen | |
Marktkonditionen. | |
In der Energiewirtschaft tragen solche marktbasierten Lieferverträge heute | |
das Kürzel PPA (Power Purchase Agreement). Dabei schließt ein | |
Stromabnehmer – das kann ein (grüner) Energieversorger sein oder ein | |
gewerblicher Energieverbraucher – einen langfristigen Liefervertrag mit | |
einem Solar- oder Windstromerzeuger. Der Abnehmer sichert sich auf diese | |
Weise Stromkontingente, die keinem CO2-Preis-Risiko mehr unterliegen. | |
Zudem hat das Konzept für die Firmen den angenehmen Nebeneffekt, dass sie | |
sich das Image des Klimaschützers anheften können. Das nutzen auch große | |
Unternehmen: Beim jüngsten Offshore-Windpark von Vattenfall zum Beispiel | |
ist der Chemiekonzern BASF mit im Boot. | |
## Die Zeichen stehen auf Wachstum | |
Seit Anfang 2019 seien in der EU förderfreie Erneuerbaren-Projekte mit | |
einem Volumen von rund 37 Gigawatt gebaut oder mit PPA-Abschlüssen | |
angekündigt worden, rechnete die Beratungsgesellschaft Enervis Energy | |
Advisors vor. „In Deutschland sehen wir derzeit eine solide Entwicklung bei | |
Photovoltaik-Neubauprojekten“, sagt deren Marktanalyst Nicolai Herrmann. Im | |
laufenden Jahr würden wohl an die 500 Megawatt PPAs neu abgeschlossen. Auch | |
für den Weiterbetrieb von Windkraftanlagen, die nach 20 Jahren aus der | |
Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfallen, stünden | |
„die Zeichen auf Wachstum“. Für solche Altanlagen würden „PPAs zur | |
wesentlichen Rückfalloption“. | |
Michael Claußner von der Beratungsgesellschaft Energy Brainpool sieht das | |
ähnlich: „Das aktuelle Strom- und CO2-Preisniveau dürfte sich | |
beschleunigend auf den PPA-Markt auswirken.“ Da das Konzept nicht an eine | |
nationale Förderung gebunden ist, setzt es sich europaweit durch. | |
Auswertungen von Energy Brainpool zeigen, dass in Spanien 90 Prozent der | |
Projekte die Solarenergie betreffen, in Großbritannien 70 Prozent die | |
Offshore-Windkraft, in Skandinavien 90 Prozent die Onshore-Windkraft. In | |
Deutschland ist es ein Mix: 45 Prozent Onshore-Wind, 35 Prozent Solar, 20 | |
Prozent Offshore-Wind. | |
Fast täglich gibt es nun Meldungen über neue Projekte. Vor Kurzem | |
verkündete Greenpeace Energy einen bis Ende 2026 laufenden Vertrag über den | |
Bezug von jährlich 11 Gigawattstunden Sonnenstrom aus | |
Mecklenburg-Vorpommern. Dafür wurden die beiden betreffenden Anlagen aus | |
der EEG-Förderung genommen. Der Schweizer Energiekonzern Axpo berichtete, | |
er habe in Spanien ein PPA für ein Solarkraftwerk abgeschlossen, beliefert | |
werde ein Hersteller von Kunststoffverpackungen. Das Handelsblatt schrieb, | |
ein „Wettrennen um grünen Strom“ habe begonnen. | |
16 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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