| # taz.de -- Rolle des Geschlechts bei Krankheiten: Warum Frauen häufiger Covid… | |
| > Frauen erkranken häufiger an Covid-19 – und Männer schwerer. Auch bei | |
| > anderen Erkrankungen gibt es große Unterschiede zwischen den | |
| > Geschlechtern. | |
| Bild: Die Krankheitssymptome sind bei Frauen oftmals anders als bei Männern | |
| Wenn ein Virus geschlechtsspezifische Organe wie etwa die Gebärmutter | |
| einerseits oder die Prostata andererseits trifft, ist klar, dass er Männer | |
| und Frauen in unterschiedlichem Maße trifft. Doch gilt das auch für Viren, | |
| die über die Atemwege in den Körper gelangen? Gilt es also auch für | |
| Covid-19? Die Antwort darauf ist laut einer [1][Schweizer Studie] ein | |
| klares Ja. | |
| Das Forscherteam um Catherine Gebhard von der Universität Zürich sieht – | |
| nach Durchsicht des international zur Verfügung stehenden Datenmaterials – | |
| in der Coronapandemie einen abermaligen Beleg dafür, „dass das Geschlecht | |
| im Gesundheitsbereich eine bedeutende Rolle spielt“. So fand man in China | |
| bei Männern eine ums 2,4-fache höhere Covid-19-Sterberate als bei den | |
| Frauen. In der Schweiz ist sie 1,6-mal so hoch, und in Deutschland machen | |
| die Männer 53 Prozent aller Coronatoten aus, obwohl sie beim Anteil der | |
| positiven Fälle klar in der Minderheit sind. Was im Endeffekt heißt: Frauen | |
| erkranken zwar häufiger, und – wie die Forscher zudem ermittelt haben – | |
| langwieriger als Männer, doch die erkranken dafür schwerer und tödlicher an | |
| Covid-19. | |
| Die Ursachen für diese Unterschiede sind vielfältig. So ist schon länger | |
| bekannt, dass Männer einen ungesünderen Lebensstil pflegen, beispielsweise | |
| mehr rauchen, mehr Alkohol trinken und öfter übergewichtig sind, was sich | |
| generell auf ihre Widerstandskraft bei Infekten niederschlägt. Frauen | |
| hingegen hat die Evolution mit einer besonders starken Immunantwort | |
| ausgerüstet, weil sie als Schwangere und Stillende direkter und stärker in | |
| der Versorgung des Nachwuchses gefordert sind – und um den dreht sich | |
| bekanntlich in der Evolution fast alles. | |
| Eine Schlüsselrolle spielt beim weiblichen Immunitätsvorsprung, wie Gebhard | |
| ausführt, [2][das Östrogen]. „Es ist denkbar, dass das weibliche | |
| Immunsystem aufgrund dieser hormonellen Besonderheit schon in einem frühen | |
| Stadium von Covid-19 aktiv wird und es daher seltener zu schweren Verläufen | |
| kommt“, so die Kardiologin, die seit 2016 in Zürich zur [3][Gender-Medizin] | |
| forscht. | |
| Ihr Forschungsbereich, in dem es um die geschlechtsspezifischen | |
| Besonderheiten von Krankheiten geht, erfreut sich in den letzten Jahren – | |
| nach langem Schattendasein – einer zunehmenden Aufmerksamkeit in der | |
| Medizin. Denn Frauen erkranken anders als Männer, aber diagnostiziert und | |
| behandelt werden sie oft gleich. | |
| ## Östrogen schützt die Gefäße | |
| Das zeigt sich etwa beim Herzinfarkt, der lange Zeit als eine Männerdomäne | |
| galt. Was zwar immer noch stimmt, wenn es um die jüngeren Jahrgänge geht, | |
| weil Frauen in dieser Phase wegen ihres Östrogens über einen effektiven | |
| Gefäßschutz verfügen. „Doch mit den Wechseljahren endet dieser Schutz“, | |
| betont Hugo Katus, Direktor der Kardiologie am Universitätsklinikum | |
| Heidelberg. Frauen bekämen ihren Herzinfarkt deshalb etwa sieben Jahre | |
| später – doch am Ende sei bei ihnen das Risiko für den koronaren | |
| Gefäßverschluss ähnlich hoch wie beim Mann. | |
| Bei den Symptomen gibt es allerdings große Geschlechterunterschiede. | |
| „Frauen berichten seltener über Brustenge und den starken | |
| Vernichtungsschmerz im Brustraum“, berichtet Katus. „Stattdessen stehen bei | |
| ihnen unspezifische Symptome wie Schwitzen, Bauchschmerzen und Übelkeit im | |
| Vordergrund.“ Der Grund: Weil sie ja bei ihrem Infarkt in der Regel schon | |
| älter sind, gelangen bei ihnen weniger Schmerzsignale zum Gehirn. „Außerdem | |
| finden wir bei ihnen, wenn sie mit den typischen Beschwerden einer Angina | |
| pectoris zu uns kommen, deutlich seltener eine Durchblutungsstörung im | |
| Herzen als bei Männern“, betont der Kardiologe. „Warum das allerdings so | |
| ist, wissen wir nicht.“ | |
| Deutlicher öfter findet man bei Frauen allerdings Autoimmunerkrankungen. | |
| Bei der rheumatischen Erkrankung Lupus kommen auf jeden männlichen | |
| Patienten neun weibliche, und bei der Multiplen Sklerose ist das Verhältnis | |
| eins zu vier. Die Ursache ergibt sich aus der bereits erwähnten Immunstärke | |
| der Frauen: Ihre Immunabwehr ist generell aggressiver – und greift dadurch | |
| auch öfter körpereigenes Gewebe an. Bei der Gicht ist es hingegen | |
| umgekehrt: Sie trifft in vier von fünf Fällen einen Mann. Der Grund: Zu den | |
| Hauptauslösern dieser Gelenkerkrankung zählen Fleisch und Alkohol, und die | |
| werden von Männern in deutlich größeren Mengen verzehrt. | |
| Der Hang zum Alkohol bedingt zwangsläufig, dass Männer etwa viermal so | |
| häufig eine Abhängigkeit von ihm entwickeln. Bei Depressionen und Ängsten | |
| ist es wiederum umgekehrt, sie treffen das weibliche Geschlecht mehr als | |
| doppelt so häufig wie den Mann. Wobei der bei einer Depression oft durch | |
| Reizbarkeit, Aggressionen oder ein Suchtverhalten mit Zigaretten und | |
| Alkohol auffällt, während Frauen eher in Niedergeschlagenheit, | |
| Essstörungen, Freudlosigkeit oder Antriebsmangel versinken. Dieser | |
| Unterschied hat viel mit traditionellen Rollenerwartungen zu tun: Dem | |
| angeblich so starken Geschlecht wird eher ein aggressiv-expansives | |
| Verhalten zugestanden als der Frau. | |
| Bei den Therapien für ihre Krankheiten zeigen Mann und Frau ebenfalls | |
| deutliche Unterschiede. „Einige Medikamente wirken bei Frauen deutlich | |
| schlechter, außerdem treten unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei ihnen | |
| häufiger auf“, sagt [4][Vera Regitz-Zagrosek, die an der Berliner Charité | |
| das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin gegründet hat]. So | |
| bringen die bei Bluthochdruck und Herzinsuffizienz eingesetzten ACE-Hemmer | |
| dem Mann einen Überlebensvorteil, während Frauen dabei eher mit dessen | |
| Nebenwirkungen zu kämpfen haben, wie etwa Reizhusten und | |
| Herzrhythmusstörungen. Was nicht heißen soll, dass diese Mittel bei ihnen | |
| unwirksam sind. | |
| Aber Regitz-Zagrosek rät Frauen ausdrücklich, dass sie ihren Arzt nach | |
| frauenspezifischen Erfahrungen mit Medikamenten sowie nach Empfehlungen für | |
| eine angepasste Dosierung befragen. | |
| Der behandelnde Mediziner wiederum darf damit rechnen, dass seine | |
| Patientinnen ihn öfter aufsuchen und bereitwillig seinen Therapien folgen, | |
| während Männer unkooperativer sind und im Zweifelsfall einfach nicht mehr | |
| in die Praxis kommen. Andererseits greifen Frauen – über die verordneten | |
| Medikamente hinaus – etwa doppelt so oft zu Arzneimitteln, die man | |
| rezeptfrei in den Apotheken bekommt. Dadurch werden sie am Ende für den | |
| Arzt dann doch ähnlich unberechenbar wie der Mann. | |
| 1 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2021.08713 | |
| [2] /Geschlechtsspezifische-Virenvermehrung/!5267203 | |
| [3] /Forschung-zu-Zahnmedizin-und-Gender/!5079215 | |
| [4] /Gendermedizin/!5156359 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Zittlau | |
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