# taz.de -- Urteil des Europäischen Gerichts: Westsahara-Abkommen sind nichtig | |
> Das Gericht verteidigt das Recht der sahrauischen Bevölkerung auf | |
> Selbstbestimmung. Rechtskräftig ist das Urteil aber noch nicht. | |
Bild: Ruinen eines durch Bomben zerstörten Hauses in der umkämpften Region We… | |
FREIBURG taz | Die EU kann mit Marokko keine Abkommen schließen, die die | |
von Marokko annektierte Westsahara betreffen. Solche Abkommen brauchen | |
vielmehr die Zustimmung der sahrauischen Bevölkerung. Das Europäische | |
Gericht (EuG) in Luxemburg hat deshalb zwei entsprechende Verträge für | |
nichtig erklärt. | |
Die Westsahara ist eine wüstengeprägte Region südlich von Marokko, in der | |
nur rund 600.000 Menschen leben. Bis in die 1970er Jahre war sie eine | |
spanische Kolonie. Anschließend annektierte das Königreich Marokko weite | |
Teile der Region. Nur im Landesinnern beherrscht die Organisation der | |
Sahrauis – die Polisario-Front – zwei größere Territorien. [1][Rund 165.0… | |
Sahrauis leben in Flüchtlingslagern in Algerien]. Ein UN-Friedensplan von | |
1991 sieht ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara vor. | |
Marokko und [2][die Polisario] können sich jedoch nicht darüber einigen, | |
wer dabei stimmberechtigt sein soll. Inzwischen hat Marokko in den | |
annektierten Gebieten Hunderttausende Marokkaner angesiedelt. Seit Ende | |
2020 wird wieder militärisch gekämpft. | |
Die Frage, ob Marokko völkerrechtliche Verträge schließen kann, die auch in | |
der besetzten Westsahara gelten, hat schon mehrfach den Europäischen | |
Gerichtshof (EuGH) beschäftigt. 2016 entschied der EuGH, dass ein zwischen | |
der EU und Marokko geschlossenes Handelsabkommen wegen des | |
völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht in der | |
Westsahara gilt. 2018 urteilte der EuGH entsprechend für das | |
Fischereiabkommen der EU mit Marokko. Es gelte nicht für die Gewässer vor | |
der Westsahara. | |
Daraufhin hat die EU 2019 zwei Abkommen mit Marokko geschlossen, die | |
versuchten, diese Lücke zu schließen. Produkte aus der Westsahara sollten | |
in das Handelsabkommen einbezogen werden und die Fischgründe vor der | |
Westsahara in das Fischereiabkommen. Damit erkenne die EU aber keineswegs | |
die Annektion der Westsahara durch Marokko an, heißt es in den Verträgen. | |
Die Abkommen seien vielmehr für die Bevölkerung der Westsahara von großem | |
Nutzen. | |
Die Polisario klagte sofort gegen die Zustimmung der EU zu beiden Abkommen. | |
Diese verstoße nicht nur gegen Völkerrecht, sondern auch gegen die | |
EuGH-Urteile von 2016 und 2018. Das erstinstanzliche EU-Gericht entschied | |
zunächst, dass die Klagen der Polisario zulässig waren (was der | |
EU-Ministerrat bestritten hatte). Die Polisario sei die international | |
anerkannte Vertretung des Volkes der Westsahara und könne vor Gericht | |
dessen Recht auf Selbstbestimmung vertreten. | |
Auch sei die Klage der Polisario in der Sache berechtigt, so das | |
Europäische Gericht. Verträge, die das Gebiet der Westsahara betreffen, | |
benötigen auch die Zustimmung der dortigen Bevölkerung, die hier aber | |
fehlte. Bloße „Konsultationen“ genügten nicht. | |
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig; der EU-Ministerrat kann binnen | |
zwei Monaten noch Berufung zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) einlegen. Es | |
ist aber nicht damit zu rechnen, dass der EuGH im Ergebnis anders | |
entscheiden wird. Bisher hat das Gericht die Rechte der Sahrauis | |
verteidigt. Allerdings bleiben die für nichtig erklärten Abkommen zunächst | |
in Kraft, bis entweder das EuG-Urteil rechtskräftig wurde oder bis der EuGH | |
entschieden hat. | |
Die Interessen in der EU sind nicht einheitlich. Während Frankreich eher | |
die Seite Marokkos unterstützt, drängt Deutschland auf eine | |
völkerrechtskonforme Behandlung der Westsahara. Das diplomatische | |
Verhältnis zwischen Deutschland und Marokko ist dementsprechend angespannt. | |
(Az.: T-279/19 u. a.) | |
29 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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