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# taz.de -- Profit als Maßstab im Gesundheitswesen: Die Krankheit Gier
> Die Pflegkräfte streiken nicht, weil sie mehr Geld haben wollen, sondern
> weil sie nicht mehr können. Das deutsche Gesundheitssystem ist am Ende.
Bild: Mehr Personal und ein TVöD wird von den Demonstrierenden in Berlin gefor…
Immer noch. Nach mehr als eineinhalb Jahren Pandemie, die die immensen
Probleme im deutschen Gesundheitswesen offengelegt hat, tun die meisten
Parteien im Wahlkampf immer noch so, als könne das alles so weitergehen.
Das mögen die meisten Bürger*innen glauben. Viele Ärzt*innen,
Patient*innen und Pflegekräfte glauben es nicht.
In Berlin sind [1][Pflegekräfte der Charité und der Vivantes-Kliniken seit
Anfang September im Ausstand.] Sie streiken nicht für eine bessere
Vergütung. Eine streikende Pflegerin der Charité fasst es so zusammen: „Wir
streiken hier nicht, weil wir mehr Geld haben wollen, [2][sondern weil wir
nicht mehr können.]“ Die Pflegekräfte streiken unter anderem für einen
besseren Personalschlüssel. Sie weigern sich, Patient*innen weiter so
zu versorgen, dass es die Kranken gefährdet.
Eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 stellte fest,
dass Deutschland im internationalen Vergleich beim Personalschlüssel
besonders schlecht wegkommt. In Deutschland kümmert sich eine Pflegekraft
im Schnitt um 13 Patient*innen; in Großbritannien sind es 8,6, in den
Niederlanden 6,9.
Aber es geht nicht nur um Pflegekräfte. Im Gesundheitssystem wird Profit
zum Maßstab. Der damalige Präsident der Bundesärztekammer, Frank
Montgomery, fasste diesen Umstand 2019 so zusammen: „Inzwischen versuchen
alle durch eine Steigerung der Arbeitsbelastung mehr Arbeit aus ihren
Mitarbeitern herauszuholen, um damit Geld zu sparen oder Gewinne
einzufahren.“
## Schlechtes Nahtmaterial
Das hat Folgen. Klinikärzt*innen beschweren sich, dass ihnen
Geschäftsführer*innen vorgesetzt werden, die Anfang 30 und
Betriebswirt*innen sind – aber von Krankenversorgung nicht viel
verstehen. Das Vergütungssystem ist so ausgerichtet, dass Gerätemedizin und
Operationen, also gewinnbringende Behandlungen, besser vergütet werden als
nicht lukrative, dafür aber im Zweifel eher am Patient*innenwohl
ausgerichtete Therapien. Anonyme Befragungen von Ärzt*innen ergeben das
Bild, dass auf der einen Seite schlechtes Nahtmaterial eingekauft wird und
auf der anderen Seite vom Vorstand vorgeschlagen wird, allen
Patient*innen über 65 Jahren ein Röntgenbild der Hüfte zu verpassen. Es
bringt halt mehr Geld. Es ist, man kann es nicht anders sagen, pervers.
Während allein die Linkspartei echte strukturelle Veränderungen fordert,
begnügen sich die anderen Parteien mit lächerlichen Schräubchendrehungen.
Das Traurige ist, dass dieses System derart komplex ist, dass die meisten
Bürger*innen einfach nicht durchblicken. Das nutzt die Politik aus. Der
Widerstand hält sich in Grenzen; Patient*innen und medizinisches
Personal müssen für sich selbst kämpfen. In solch einem System ist es
zwangsläufig, dass die Mitarbeitenden regelrecht verheizt werden. Ein
System, das nicht den Menschen, sondern den Gewinn in den Mittelpunkt
stellt, kann gar nicht anders funktionieren.
20 Sep 2021
## LINKS
[1] /Arbeitskampf-des-Klinikpersonals/!5791153
[2] /Streik-an-Berliner-Krankenhaeusern/!5794072
## AUTOREN
Gilda Sahebi
## TAGS
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