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# taz.de -- Jubiläum von taz nord: Zeitung selbst gemacht
> Vor 40 Jahren erschien die erste taz hamburg, vor 35 Jahren die erste taz
> bremen. Manches aus der Vergangenheit klingt erstaunlich aktuell.
Bild: Düsterer Ort: Hamburger taz-Redaktion im Nernstweg
Hamburg taz | Sich in [1][die Geschichte der vergangenen 40 Jahre]
hineinzuarbeiten – und die historischen Wegmarken und Wendungen zu erkennen
und zu verstehen –, ist ein schlimmes Unterfangen, wenn es sich um
Tageszeitungen handelt. Die Quellenlage ist ein Graus. Sie ist hier
konkret: viel zu üppig. Denn es erscheinen nun seit 40 Jahren in Hamburg
und seit 35 Jahren in Bremen Lokalausgaben der taz. Tausende Seiten sind
gedruckt worden, die am Tag nach ihrem Erscheinen in aller Regel schon
wieder wertlos wurden. „In die Zeitung von gestern wickelt man den Fisch
von heute“, passt ja gerade, wenn es um Hafenstädte geht.
Hinzu kommt: Das waren ganz schön viele Menschen, die daran mitgewirkt
haben. Autor:innen, klar. Aber eben auch: Fotograf:innen, Korrektor:innen,
Setzer:innen, Anzeigenleute … Und sie alle haben ganz eigene Erfahrungen
und eigene Blicke auf die Geschichte der Hamburger und der Bremer taz.
Drum, das vorneweg, [2][ist dies eine kleine Kollektivgeschichte – die auf
die Namen Einzelner verzichtet].
„Eigentlich ist es doch ein Wunder, dass es die taz noch immer gibt“, sagte
mir, angesprochen auf die runden Geburtstage der beiden Lokalausgaben, eine
Kollegin kürzlich. Nach kurzer Verwunderung erschloss sich mir, seit einem
Jahr Volontär in Hamburg, dieses Fazit doch recht gut.
[3][Das geht ja schon bei den 1980ern los], in denen sich die beiden
Lokalteile gründeten: Viel später kann man nun wirklich nicht auf die Idee
kommen, eine täglich gedruckte Zeitung auf die Beine zu stellen. Während
Auflagen zu sinken beginnen und die ersten Verlage Redaktionen
zusammenlegen, beschließen jene, die die ersten Bremer und Hamburger
tazler:innen werden sollten, etwas Gegenläufiges: Zeitung selbst zu
machen.
Denn hüben wie drüben war das offenbar ganz dringend nötig. Es brauchte
schnellstens eine linke Alternative zum Presseeinerlei aus Weser-Kurier
und, bis auf die Titelseite, identischen Bremer Nachrichten, zu Springers
Quasi-Monopol aus Abendblatt, Bild und Welt, ja sogar zur Mopo, die nur an
der Oberfläche des Boulevards scheinbar dagegen hielt.
„Die ausgehenden 70er waren wilde Zeiten mit vielen Nachrichten, die die
bürgerlichen Zeitungen nicht interessierten“, erklärt es einer, der in
Hamburg von Anfang an dabei war. Da war die Anti-AKW-Bewegung, da waren
Arbeitskämpfe, Besetzungen und die Nazis, über die man für die lokalen
Leser:innen berichten musste – weil die Konflikte bei den Etablierten
doch immer ganz falsch dargestellt wurden!
Im Oktober 1981 war es dann so weit, nach ein paar Nullnummern: Jeden Tag
sollte auf gedruckten Seiten stehen, was das Redaktionskollektiv für
wirklich wichtig hielt. Wer das war? „Ein Haufen Individualisten“,
schildert es der eine, „furchtlose Dilettanten“ beschreibt ein anderer, der
damals dabei war, die ersten Hamburger tazler:innen.
In Bremen, Anfang Oktober 1986, sah es kaum anders aus. Engagierte
Bremer:innen hatten 150.000 Mark zusammengelegt, um damit einen eigenen
Lokalteil zu erzwingen. Die taz-Initiative in Hannover hatte das Nachsehen.
Auf dem Bett des fest angestellten Bremen-Korrespondenten der taz wurden
die ersten Ausgaben produziert, ehe sie auf Floppy-Discs am Bahnhof einem
Lokführer in die Hand gedrückt wurden. Die Texte schrieben auch freie
Autor:innen – weniger fürs Geld als für die Sache, natürlich.
Und es lief, zumindest journalistisch. Selbst Bremer
Sozialdemokrat:innen bekannten, dass das, was in der taz über sie
stand, gewichtiger war als bei der Konkurrenz. Dabei war der Masterplan
hinter dem Projekt doch gerade gewesen, die ewige Mehrheit der Beton-SPD zu
brechen.
Ironie der Geschichte, dass dann ausgerechnet die taz die „Piepmatz“-Affäre
lostrat und damit dem zarten Pflänzchen Ampelkoalition den Garaus machte.
Was folgte, waren bleierne Jahre unter einer Großen Koalition, die aber
immerhin journalistisch ergiebig waren. Hochtrabende Pläne von Henning
Scherfs Senat – kennt noch irgendwer den Space Park? – lieferten genug
Anlass, sich die Finger wund zu schreiben.
In Hamburg gab es mit Dioxin-Skandalen, Hafenstraße, Flora-Besetzung und
später den Bedrohungen durch den CDU/Schill-Senat ohnehin genug Themen, für
die sich die taz als Berichterstatterin mit der größten Expertise sah. „Wir
waren in vielen politischen Spektren verankert“, sagt ein früherer Autor.
Die taz hamburg war ein Bewegungsblatt. Das zahlte sich aus: Mit und in der
taz sprachen viele, die sonst kaum in der Presse vorkamen. Die
Enttäuschung, wenn in der taz etwas Kritisches über sie stand, war dann
umso größer. 1982 wurden die Redaktionsräume im Nernstweg verwüstet. Die
taz hatte das Gebaren des Publikums im Prozess gegen zwei Atomkraftgegner
kritisiert, die in Brokdorf einen Polizisten mit Schaufel und Spaten
geschlagen haben sollen.
## Beweise im Handschuhfach
Drei Jahre später wiederholte sich das Schauspiel, diesmal wegen eines
Interviews mit dem Verfassungsschutzchef über die Hafenstraße.
Ähnlich großes Interesse an den Räumen der Redaktion – vor allem an dem,
was dort so herumliegt – hatten auch die Ermittlungsbehörden: Bei der taz
eingegangene Bekennerschreiben waren besonders begehrt – doch derlei
sensibles Material lagerte im Auto eines Hamburger tazlers im
Handschuhfach.
Weniger gut lief: die Finanzierung – woran sich bis heute nicht viel
geändert hat. Und das sorgte für viel Stress mit der Berliner „Zentrale“,
wie heute noch immer manche ältere Kolleg:innen latent distanziert die
Entscheidungsgremien im Berliner taz-Haus bezeichnen. Empörte
Leser:innenbriefe füllten 1994 eine ganze Seite der taz, als eine
Schließung der Hamburger Redaktion im Raum stand.
Doch den 20. Hamburger und 15. Bremer Geburtstag im neuen Jahrtausend
erreichten die beiden Lokalteile locker. Danach jedoch ging es ans
Eingemachte: „Teilfusion“ war das Stichwort der Stunde – und sorgte in
Bremen wie in Hamburg für Entsetzen.
Die taz nord wurde, so schrieb es vor zehn Jahren ein Kollege, „nicht aus
heroischer Auflehnung oder Euphorie heraus geboren, sondern aus
Berechnungen“.
Die Verluste waren einfach immer größer geworden, obwohl doch die
Hamburger:innen und Bremer:innen viel unternahmen, um Geld zu
sparen: In Hamburg musste immer erst das Plenum basisdemokratisch über die
Notwendigkeit einer neuen Kugelschreiberbestellung debattieren; und war ein
zweites Telefon in der Redaktion wirklich notwendig? In Bremen beschlossen
sie sogar eines Tages eine kollektive Gehaltskürzung – obwohl das
Lohnniveau schon unter dem in Berlin und Hamburg lag.
„Wir haben uns mit Händen und Füßen gewehrt“, erzählt rückblickend ein
Bremer Redakteur zu der von oben verordneten Fusion. Das lag auch am
Sparzwang, dem einige Kolleg:innen zum Opfer fielen: Die beiden
Fotoredaktionen wurden abgewickelt. Und dann gab es gefühlte Vorbehalte in
beiden Städten – die lokalpatriotische Abneigung zwischen Hamburg und
Bremen machte auch vor tazler:innen nicht Halt. „Die Bremer haben uns,
ehrlich gesagt, einen Scheiß interessiert“, fasste es mir kürzlich ein
Kollege zusammen.
Schleichend schwand das Lokale und wuchs der Norden: Erst eine, dann zwei,
schlussendlich drei Seiten taz nord. Und damit ist jetzt noch ein
Geburtstag zu nennen – nachträglich: In diesem Frühjahr ist die taz nord in
ihrer gerade noch existierenden Form 15 Jahre alt geworden.
Dass alles mal ganz anders war, ist bei den Redaktionssitzungen oder in den
Mittagspausen immer mal wieder eine Bemerkung wert – von den
Redakteur:innen, die schon länger dabei sind. Aber die herzhafte Abneigung
scheint verschwunden.
Manch anderes dagegen nicht ganz: Was geht denn so in Hannover? Und in
Kiel? Und an den Küsten und im Harz? Für mich, der es ja gar nicht anders
kennt, ist diese Denkweise bei der Arbeit völlig normal. Für manch andere
nicht. Was ist denn dieser Norden? Welche Großstädter:innen
interessiert denn schon, was zehn Kilometer hinter der Stadtgrenze
passiert? Und wen das Thema aus dem tiefsten Süden Niedersachsens? All das
müssen letztlich die Leser:innen entscheiden. Gestritten – oder
mindestens leidenschaftlich diskutiert – wird darüber in der
Redaktionskonferenz jedoch fast immer.
## V-Leute und Kohlekraftwerke
Und so gab es doch seit dem Start der taz nord genug Themenfelder gemeinsam
zu beackern – den Bremer „Bamf-Skandal“, das Vor- und Nachspiel des
G20-Gipfels in Hamburg – und eben auch, wie es um das Wattenmeer steht oder
wo sich gerade eine neue rechte Szene bildet.
Ein Blick in die Anfangszeiten zeigt: Thematisch hat sich gar nicht so viel
verändert. Gleich in den ersten Wochen der taz hamburg ging es um V-Leute
in der linken Szene, um die bundesweiten Umtriebe Hamburger Neonazis und um
eine Demo gegen die vermieterfreundliche Politik des Senats. In der taz
bremen ging es schnell los mit Energiepolitik: Braucht es wirklich ein
neues Kohlekraftwerk?
Kommt Ihnen das nicht alles verdammt aktuell vor? Gleichzeitig hat sich
vieles verändert – personell und strukturell, natürlich. Aber eben auch die
Grundlage für die Arbeit: Die Auflagen gedruckter Tageszeitungen sind immer
schneller gesunken. Deshalb: Ja, es verwundert doch, dass es hier im Norden
immer noch eine taz für die lokalen und regionalen Geschichten gibt.
12 Oct 2021
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## AUTOREN
André Zuschlag
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