# taz.de -- Regisseure über Hamburger Mitmachtheater: „Menschen, die nie jem… | |
> Eine Bühne für Bürger*innen: Das Stück „Citizenpark“ zu Migration, Re… | |
> und Teilhabe wurde durchweg mit jungen Betroffenen entwickelt. | |
Bild: Utopischer, offener Ort, an dem es keine Restriktionen gibt: der „Citiz… | |
taz: Herr Salihoglu, wenn Sie gefragt werden, woher Sie kommen: Was | |
antworten Sie? | |
Serkan Salihoglu: Aus der Türkei. Ich habe einen deutschen Pass, keinen | |
türkischen mehr, aber ich komme aus der Türkei. Aber ich finde die Frage | |
nach der Herkunft ein bisschen irrelevant, sie beschreibt nur eine | |
geografische Situation, nämlich die, wo ich geboren bin. Und sie sagt aus, | |
dass wir immer eine solche Besessenheit haben, uns auf die Vergangenheit zu | |
konzentrieren und nicht auf die Gegenwart. | |
Migration, Partizipation und Gleichberechtigung sind Thema der vierten | |
„Bürger*innenbühne“. Wie gehen Sie das in „Citizenpark“ an? | |
Salihoglu: Sidar Kurt und ich sind Immigranten, und unsere | |
Teilnehmer*innen sind, bis auf eine Person, auch Einwander*innen. Ich | |
bin erst 2003 nach Deutschland gekommen, aber da ich in der Türkei auf | |
einer deutschen Schule war, hatte ich schon vorher einen Bezug zu | |
Deutschland. Als ich zum Studium nach München gezogen bin, waren die | |
Diskussionen noch andere. Jetzt, vor diesem Projekt, habe ich mich noch mal | |
intensiver mit dem Thema Einwanderung befasst, auch um zu verstehen, wo wir | |
gerade stehen. Die Themen haben sich extrem geändert … | |
Inwiefern? | |
Salihoglu: Eigentlich sehe ich eine ganz, ganz positive Entwicklung. Viele | |
Themen, über die vor einigen Jahren nicht laut geredet wurde, sind jetzt – | |
vielleicht durch Social Media – stärker in den Massenmedien vertreten. Die | |
Einwander*innen der 3. oder 4. Generation sind besser ausgebildet und | |
dadurch mündiger geworden. Auch in der Literatur, im Theater, in der Kunst | |
ist die kulturelle Vielfalt größer geworden. Es ist keine schnelle und noch | |
nicht optimale Entwicklung, aber es ist eine Entwicklung. | |
Sidar Kurt: Die Definition von Migration hat sich verändert. In einem | |
Bilder-Wörterbuch könnte unter dem Begriff „Gastarbeiter“ jetzt ein Bild … | |
sehen sein, auf dem ein Gastarbeiter ein Foto von Serkan und mir in der | |
Hand hält, wie wir hier am Lichthof-Theater arbeiten. | |
Warum gehen Sie diese Themen gerade jetzt an? | |
Salihoglu: Nach 20 Jahren Merkel-Regierung befindet sich Deutschland an | |
einem Punkt, wo es sich entscheiden kann, in welche Richtung es gehen will. | |
Ob man sich als eine vielfältige, offene Gesellschaft bezeichnen oder ob | |
man zurück in die Vergangenheit gehen will. Dass die Jugendlichen jetzt das | |
Wort ergreifen, sei es durch Fridays for Future oder Black Lives Matter, | |
ist wichtiger denn je. | |
Arbeiten Sie deshalb mit jungen Migrant*innen? | |
Salihoglu: Ja, wir haben nach neuen Perspektiven auf das Thema „Migration“ | |
gesucht. Wir wollten mit jungen Menschen – unsere Teilnehmer*innen sind | |
zwischen 16 und 24 – darüber reden, und ihnen zuhören, wie sie sich fühlen, | |
wie sie ihre Situation beschreiben und wie ihre Zukunftsperspektive | |
aussieht. Die anstehenden Bundestagswahlen sind der Ausgangspunkt. Wenn man | |
darüber redet, kommt man schnell zu Fragen wie: Was ist Deutschland? Was | |
heißt es, ein Deutscher zu sein? Daraus ergeben sich Gespräche über | |
Identität, Passproblematik, Diskriminierung, Rassismus. | |
Wie sind Sie auf die sechs Mitwirkenden gekommen? | |
Salihoglu: Wir haben eine Ausschreibung gemacht und mit den Leuten, die | |
sich beworben haben, viele Gespräche geführt. | |
Kurt: Dabei war die Frage zentral: Wie kann man an einer Gesellschaft | |
teilhaben, obwohl man nicht dieselben Rechte hat wie alle anderen? | |
Was genau verbirgt sich hinter dem Titel „Citizenpark“? | |
Kurt: Er bezieht sich auf den Park als einen offenen Ort, an dem es keine | |
Restriktionen gibt. | |
Salihoglu: Im Stück heißt es: „Wenn sie uns nicht hören wollen da draußen | |
in ihren öffentlichen Gebäuden, werden wir unseren eigenen Freiraum | |
schaffen in unserem Park.“ | |
Was finden Sie an der Arbeit mit Nicht-Profis reizvoll? | |
Salihoglu: Die Authentizität. Wir wollen Menschen begegnen, denen | |
normalerweise niemand eine Frage stellen würde. Deswegen finde ich es | |
wichtig, was sie auf der Bühne zu sagen haben, aber vor allem auch, dass | |
sie überhaupt auf einer Bühne sichtbar werden. Unsere Mitwirkenden sind in | |
der Ukraine, in Frankreich, in Marokko, in Syrien, in Vietnam und in | |
Deutschland geboren. Und wenn wir über Demokratie reden, haben alle einen | |
anderen Begriff davon. Alle lernen voneinander. Das war eigentlich das | |
Hauptziel des Projekts. Für mich sind jetzt schon 90 Prozent meiner Ziele | |
erfüllt. | |
Sie brauchen das Publikum also nur für die restlichen 10 Prozent? | |
Salihoglu: Jetzt ist es an der Zeit, mit den Zuschauer*innen ins | |
Gespräch zu kommen. Es geht uns darum, dass wir bei den Aufführungen | |
zusammensitzen und über unsere Zukunft diskutieren. Hoffnung zu verbreiten | |
ist mir in meiner künstlerischen Arbeit sehr wichtig und dabei aber auch | |
das Bewusstsein zu haben, dass wir nur in ganz kleinen Schritten | |
vorankommen. | |
Wie erarbeiten Sie den Stücktext? | |
Kurt: Wir hatten am Anfang nur unser Konzept. Anschließend gab es | |
verschiedene Workshops und Treffen, bei denen ich mit allen lange Gespräche | |
geführt habe. Dabei wollte ich verstehen, was ihnen wichtig ist, und | |
herausfinden, welche Perspektiven und Erfahrungen sie haben – in Bezug auf | |
ihren Alltag, ihr Leben, ihre Meinung zu Demokratie. Daraus habe ich ein | |
Skript geschrieben, das sich über den Probenzeitraum immer weiterentwickelt | |
hat. | |
Aber irgendwann legt man den Text fest. | |
Kurt: Ja, aber für mich muss ein Text immer lebendig bleiben und sich | |
verändern dürfen. | |
Woran liegt es, glauben Sie, dass es zwischen den verschiedenen Kulturen | |
immer noch so wenige Berührungspunkte gibt? | |
Salihoglu: Es braucht keine Berührungspunkte. In einer Gesellschaft kann | |
und darf einfach einiges anders sein. Man kann miteinander reden, aber es | |
muss nicht alles gleich sein. | |
Was ist dann Integration? | |
Salihoglu: Die Integration ist tot. Integration ist Assimilation. Wir | |
brauchen unterschiedliche Menschen in einer Gesellschaft und den Respekt | |
voreinander. | |
Kurt: Es geht vielmehr um Akzeptanz und Verständnis und darum, jeden | |
Menschen als Individuum wahrnehmen. | |
3 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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