Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kriegsrecht im Kongo: Viel Krieg, wenig Recht
> Seit Mai regiert Kongos Militär die Provinzen Nord-Kivu und Ituri. Das
> sollte die Gewalt beenden und Frieden bringen. Das Gegenteil ist der
> Fall.
Bild: Wohnhaus, das von den Truppen der ADF im Nordosten Kongos im Mai angegrif…
Goma/Beni taz | Als Kongos Präsident Félix Tshisekedi Anfang Mai über die
Provinzen Nord-Kivu und Ituri [1][das Kriegsrecht verhängte], wurde das vor
Ort weithin begrüßt. „Es ging so nicht mehr weiter“, sagt der Abgeordnete
Kasereka Mangwenge aus Beni in Nord-Kivu. „Die Massaker, Entführungen und
andere Gräueltaten wurden immer schlimmer. Man musste das tun.“
Die gewählten Provinzregierungen wurden durch Militärverwaltungen mit
weitreichenden Vollmachten ersetzt, neue Armee- und Polizeikommandanten
wurden eingesetzt und große Militäroperationen gegen die bewaffneten
Gruppen der beiden Provinzen begannen.
Hauptgegner ist die ursprünglich ugandische [2][ADF (Allied Democratic
Forces)], die seit Jahrzehnten im Norden von Nord-Kivu aktiv ist. Sie wird
mittlerweile zum globalen „Islamischen Staat“ gezählt, hat ihre Aktivität…
auf Ituri ausgedehnt und allein im Distrikt Beni in Nord-Kivu hat sie seit
November 2019 über 1.300 Menschen getötet.
Drei Monate später überwiegt die Enttäuschung. „Blödsinn“ nennt Mosie
Kiputulu, Präsident der organisierten Zivilgesellschaften in Bashu in
Nord-Kivu, das Kriegsrecht. „Die Massaker sind größer geworden.“
Nach Zählungen lokaler Organisationen sind seit Verhängung des Kriegsrechts
in den beiden Provinzen über 485 Zivilisten getötet worden. Sogar auf den
normalerweise eher sicheren Fernstraßen reisen die Leute inzwischen im
Konvoi, eskortiert von den UN-Blauhelmen. „Man muss sagen, dass die Lage
sich rapide verschlechtert hat“, konstatiert der Politologe Muhindo
Mughanda. Die Politiker, sagen viele, hätten gedacht, nun sei alles Sache
der Armee; die Armee sei im Einsatz gegen Rebellen und vernachlässige den
Schutz der Bevölkerung.
## Kritik per Predigt
Kritik daran wird offen geäußert. „Ein guter Führer ist wie ein guter
Hirte, er schützt die Menschen, die er führt, er kümmert sich ums
Gemeinwohl, er sucht das Gesamtinteresse. Solche Führer braucht das Land“,
predigte der Erzbischof von Butembo-Beni, Sikuli Melchisédech, am 2. August
bei einer Messe zur Feier seiner 23 Jahre im Amt.
Als die zivile Oppositionsbewegung [3][Lucha] für den 16. und 17. August
zum Generalstreik in Beni und Butembo aufrief, wurde das befolgt, obwohl
ein striktes Versammlungsverbot gilt und obwohl Soldaten versuchten,
Händler zu verfolgen, die aus Solidarität ihre Läden geschlossen hielten.
Das Provinzparlament von Nord-Kivu verurteilte in einer Erklärung die
„Ineffektivität“ des Kriegsrechts – und prompt wurden die Abgeordneten v…
Sprecher der Militärbehörden per Armeeradio der Komplizenschaft mit
bewaffneten Gruppen bezichtigt: „Wir kennen sie. Sie verdienen 2.000 Dollar
im Monat und kritisieren uns? Wir wissen, wer den Jungs in Lume, die über
zehn Soldaten getötet haben, Motorolas gegeben hat. Wir werden sie
verhaften.“
In Reaktion explodiert der Provinzabgeordnete Jean Paul Ngahangondi: „Die
Militärs denken, sie können sich alles erlauben, weil Kriegsrecht ist.
Nein! Sie sind gescheitert und jetzt suchen sie Sündenböcke! Wir haben sie
nicht hergeholt, damit sie sich wie Könige benehmen, sondern um uns den
Frieden zu bringen. Sie bekämpfen uns statt die bewaffneten Gruppen?
Unmöglich! Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
## Covidmaßnahmen werden ausgenutzt
Ngahangondi kritisiert auch wahllose Verhaftungen durch Soldaten und Folter
in Militärhaft mit Todesfolge. Denn auch die Gerichte der beiden Provinzen
wurden mit dem Kriegsrecht zunächst unter Militärkontrolle gestellt. „Wir
mussten enormen Druck ausüben, damit die zivilen Gerichte wieder zivilen
Richtern unterstellt wurden“, sagt der Anwalt Giscard Munguluma. Und die
Militärverwalter auf Distriktebene „mischen sich in lokale Konflikte ein
und bringen das kulturelle und soziale Gleichgewicht durcheinander“, sagt
Menschenrechtsaktivist Nguru Muhayirwa.
„Das sind Verleumdungen, die die Wiederherstellung des Friedens
untergraben“, empört sich der Distriktverwalter von Lubero, Oberst Donat
Ndonda Mandonga. „Wir führen den Befehl aus, die Autorität des Staates
wiederherzustellen und es ist wichtig, dass die Bevölkerung uns
unterstützt.“
Aber das ist schwer angesichts der zunehmenden Übergriffe. Polizisten
nutzen die Vorschriften der Covid-19-Bekämpfung aus, um die Bevölkerung zu
schikanieren. Am 22. Juli wurde ein junger Mann in einer Zelle tot
aufgefunden, nachdem er am Vorabend wegen Nichttragens einer Gesichtsmaske
verhaftet worden war. „Ist das das Kriegsrecht?“, empört sich
Parlamentarier Ngahangondi.
In drei Monaten sind außerdem in den beiden Provinzen drei Journalisten und
ein Radiomitarbeiter [4][getötet] worden. Die Medien beklagen mangelnden
Schutz.
Das Kriegsrecht wird alle 15 Tage vom Parlament in Kongos ferner Hauptstadt
Kinshasa erneuert – nun schon fünfmal. In ihrer letzten Evaluierung
stellten die nationalen Abgeordneten „erhebliche Fortschritte“ fest. Lokale
Abgeordnete verlangen nun von ihnen, sich besser vor Ort zu informieren.
„Bevor der Verteidigungsausschuss dem Plenum seinen nächsten
Evaluierungsbericht vorlegt, muss es in den betroffenen Provinzen eine
Konsultation der Bevölkerung geben, in die die Provinzabgeordneten, die
Zivilgesellschaft, die Frauen und alle sozialen Schichten eingebunden sind,
um zu einer umfassenden Beurteilung des Ausnahmerechts zu kommen“, fordert
Jean Paul Lumbulumbu, Vizepräsident des Provinzparlaments von Nord-Kivu.
29 Aug 2021
## LINKS
[1] /Neue-Gewalt-im-Ostkongo/!5775755
[2] https://www.csis.org/blogs/examining-extremism/examining-extremism-allied-d…
[3] http://www.luchacongo.org/
[4] https://rsf.org/en/news/intruders-stab-community-radio-director-death-north…
## AUTOREN
Leon Simba
## TAGS
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Ostkongo
Ituri
Felix Tshisekedi
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Schwerpunkt Demokratische Republik Kongo
Afrobeat
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Krieg im Ostkongo: Massenflucht nach Rebellenattacke
An Kongos Grenze zu Uganda fallen alte Stellungen der einstigen
M23-Rebellen an neue Angreifer. Zahlreiche Zivilisten sind auf der Flucht.
Sexuelle Ausbeutung im Kongo: „Wegen des Geldes hielt ich es aus“
WHO-Mitarbeiter, die im Kongo gegen Ebola kämpften, beuteten lokale
Mitarbeiterinnen systematisch sexuell aus. Das gesteht die WHO in einem
Bericht.
Islamistischer Terror in Afrika: Kabul ist angeblich überall
Immer mehr Rebellen in Afrika werden als Ableger des „Islamischen Staat“
designiert. Die Antiterrorkriege führen zu ungewöhnlichen Konstellationen.
Covid-Vakzin in Afrika: Impfquote vier Prozent
Malawis Präsident geißelt die global ungleiche Verteilung von
Covid-Impfstoff. Er übernimmt den Vorsitz der Gemeinschaft des südlichen
Afrika SADC.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.