| # taz.de -- Wahlkampf mit Wagenknecht: Selfies mit Sahra | |
| > Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht machen in Weimar Wahlkampf. Dies | |
| > ist das Ergebnis einer heiklen diplomatischen Mission. | |
| Bild: Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht | |
| Weimar taz | Evelin und Reinhold Schiller sind an diesem Mittwoch extra aus | |
| Apolda und eine gute Stunde früher gekommen. Wegen der Linken und vor allem | |
| wegen der Sahra Wagenknecht. Die gefällt den beiden Rentnern gut. „Wie sie | |
| redet, so verständlich, da brauchste kein Lexikon“, sagt Schiller, der auch | |
| Genosse ist. Seinen Rollator hat er vor sich geparkt, das | |
| Herrenhandtäschchen am Griff. „Sie ist einfach ein Mensch“, nickt Evelin | |
| Schiller. Und ganz hervorragend finden beide, dass sie gegen die | |
| Auslandseinsätze ist. Die Sahra und die Linke. Die Abstimmung im Bundestag | |
| haben sie nicht verfolgt. | |
| Auch Nancy, kurze Haare, derbe Arbeitshose, hat ein paar Bänke weiter Platz | |
| genommen. Sie ist vor allem neugierig. „Sie spaltet ja ein bisschen, gerade | |
| auch mit ihrem Buch. Was sie über das Gendern geschrieben hat, fand ich | |
| heftig“, sagt die junge Frau, die in einer Behindertenwerkstatt arbeitet. | |
| Weil sie sich dort für einen Mindestlohn einsetzt und das nicht alle gut | |
| finden, möchte sie ihren Nachnamen lieber nicht veröffentlichen. | |
| Eine gute Stunde später ist der Unesco-Platz in Weimar voller Menschen, 500 | |
| hat die Linke angemeldet, gut 700 sind gekommen. Und dann sind sie da: | |
| Sahra Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine. | |
| Eigentlich begann es genau anders herum. Als [1][Lafontaine im Juni dazu | |
| aufrief], die Linke im Saarland nicht zu wählen, weil sein Widersacher | |
| trotz laufendem Ermittlungsverfahren dort Spitzenkandidat geworden war, | |
| fuhr die Parteivorsitzende der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, spontan nach | |
| Saarbrücken und traf sich mit ihm im Landtag – und lud den Mitgründer der | |
| Linkspartei in ihren Thüringer Wahlkreis ein. | |
| ## Endlich mal wieder Besuch | |
| Der Alt-Vorsitzende fühlte sich wohl geschmeichelt, immerhin sei es das | |
| erste Mal seit neun Jahren gewesen, dass wieder eine Parteivorsitzende ins | |
| Saarland gefahren sei, sagt ein Vertrauter Hennig-Wellsows. Und erklärte, | |
| dass er auch seine Frau mitbringen werde. Was für die Thüringer Bürger nun | |
| ein Happening im Wahlkampf ist, ist für Hennig-Wellsow, die erst [2][seit | |
| Februar im Amt] ist, eine diplomatische Mission. Ein Versöhnungsangebot, | |
| das nicht ohne Risiken ist. | |
| Die Linke tut sich schwer im Bundestagswahlkampf, sie klebt seit Monaten in | |
| Umfragen auf einer Linie knapp über der 5-Prozent-Hürde – das Ergebnis | |
| jahrelanger interner Streitereien, prominent ausgetragen über | |
| Hennig-Wellsows Vorgängerin Katja Kipping und Wagenknecht. Beide sind nicht | |
| mehr im Amt. | |
| Doch dass Wagenknecht im Frühjahr ein Buch veröffentlichte, [3][das sie | |
| „Die Selbstgerechten“ nannte], und dort über „Lifestyle-Linke“, Friday… | |
| Future und das Gendern herzog, sorgte erneut für heftige Debatten in der | |
| Partei. Viele lasen in dem Buch einen Angriff auf Teile der eigenen Partei, | |
| Hunderte traten seit der Veröffentlichung aus der Partei aus. | |
| ## Lob für „die Susi“ | |
| Wird Wagenknecht in Weimar ihren Kreuzzug gegen die „Lifestyle-Linke“ | |
| fortsetzen? Als Sahra Wagenknecht kurz nach halb sieben ans Rednerpult | |
| tritt, lobt sie zuerst Weimar und dann „die Susi“. Die sei eine couragierte | |
| linke Politikerin, die ganz klar für eine soziale Politik stehe, und solche | |
| würde im Bundestag gebraucht. „Das soll heute die Botschaft sein.“ | |
| Und dann erklärt Wagenknecht den Menschen in Weimar die Welt, eine Welt, | |
| die in der Tat so einfach ist, dass jeder sie versteht. Es gibt die Bösen: | |
| Die Superreichen und das große Geld, „das sich die Politik kauft“, die | |
| Lobbyisten, die im Bundestag „herumwieseln“, die CDU, „die uns alle für | |
| dumm verkauft“ und die Politiker, „die sich nach der Politik den Arsch | |
| vergolden“. Und es gibt die Guten, etwa die Pfleger, die in der Tat Helden | |
| seien. Frauen sind bei Wagenknecht immer mitgemeint, dass sie die | |
| „Gender-Stotterei“ ablehnt, hat sie ja in ihrem Buch ausgeführt. | |
| ## Auf Friedensmission | |
| Frauen wie Männer finden es in Weimar mehrheitlich gut, was Wagenknecht | |
| sagt und wie sie es sagt. Sie klatschen, sie nicken, ein paar johlen. Auch | |
| Jakob Gutz, der sich bei der Fridays for Future Ortsgruppe in Gotha | |
| engagiert und zudem bei den Grünen, nickt und klatscht immer wieder. Die | |
| Selbstgerechten, das träfe auch zum Teil auf Fridays for Future zu, die vor | |
| allem im Westen gar nicht kapierten, wie der Osten tickt, sagt Gutz, der | |
| gerade Abitur macht. „Erhöhte Benzinpreise und ein Verbot des | |
| Verbrennungsmotors, das kommt hier auf dem Land nicht gut an.“ | |
| Leon Walter aus Schmölln ist hingegen sauer auf Wagenknecht. Sein | |
| Kreisverband Altenburger Land leide wie die Partei überall im Osten unter | |
| Nachwuchsproblemen: „Uns sterben die Leute weg.“ Doch viele von denen, die | |
| in den letzten Jahren neu dazugekommen seien, fühlten sich vor den Kopf | |
| gestoßen. „Man macht und tut und wirbt Leute und dann stellt sich ein | |
| prominentes Parteimitglied hin und sagt: Ihr meint das doch eh nicht ernst | |
| mit Fridays for Future und den ganzen Minderheitenrechten. Ihr habt wohl | |
| nichts Besseres zu tun.“ Walter hätte sich gewünscht, dass an diesem Abend | |
| auch die Probleme in der Linken angesprochen werden. | |
| ## Probleme bleiben ausgespart | |
| Doch das passiert in Weimar nicht. Die Parteiführung hat entschieden, alle | |
| Konflikte bis zum 27. September zurückzustellen. Janine Wissler, die | |
| Spitzenkandidatin und Co-Vorsitzende, hat ihren Terminkalender so gelegt, | |
| dass sich leider keine gemeinsamen Auftritte mit Wagenknecht ergeben. | |
| Wagenknecht erklärt später hinter der Bühne, sie habe eine Wahlrede | |
| gehalten, in der nicht die Kritikpunkte im Vordergrund stünden. Und | |
| außerdem bemühe sich die neue Parteiführung viel stärker, die Partei | |
| zusammenzuführen. „Das hat die alte ja beileibe nicht getan“, sagt sie, | |
| bitteres Lachen. | |
| Während ihr Mann redet, kommen die ersten Zuhörer:innen zu dem mit | |
| Absperrband gekennzeichneten Backstagebereich und bitten Wagenknecht um ein | |
| gemeinsames Selfie. Auch Nancy lässt sich ihr Buch von Wagenknecht | |
| signieren. | |
| Wagenknecht gibt dann noch der ARD ein Interview, Lafontaine trappelt | |
| unruhig auf der Stelle. „Jetzt muss ich meine Frau da mal loseisen.“ Um | |
| halb acht sind sie weg, zu einem privaten Termin. Kein gemeinsames | |
| Abendessen, kein Bier mehr mit der Parteivorsitzenden und den Thüringer | |
| Linken. Hennig-Wellsow sieht vor allem erleichtert aus. „Ein voller Platz, | |
| starke Reden, ich bin zufrieden.“ Wie es jetzt weitergeht, müsse man sehen. | |
| Solche Friedensmissionen sind ja nie einfach. Zumal, wenn die Konflikte nur | |
| zugedeckt und nicht gelöst sind. | |
| 26 Aug 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-in-der-Saarland-Linken/!5773233 | |
| [2] /Linken-Chefin-Hennig-Wellsow-im-Gespraech/!5749453 | |
| [3] /Neues-Buch-von-Sahra-Wagenknecht/!5764480 | |
| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Die Linke | |
| GNS | |
| Sahra Wagenknecht | |
| Oskar Lafontaine | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Afghanistan | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Identitätspolitik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Musikgeschmack im Wahlkampf: CDU ist wie Mark Forster | |
| Der „Rolling Stone“ hat die Spitzenkandidat_innen nach ihrem Musikgeschmack | |
| befragt. Die Antworten machen derweil kaum Hoffnung. | |
| Afghanistan-Politik der Linkspartei: Die Prinzipienreiter | |
| Die Linke kann sich nicht durchringen, für eine Evakuierung von Zivilisten | |
| zu stimmen. Das sagt viel aus. | |
| Antrag auf Parteiausschluss: Revolte gegen Wagenknecht | |
| Linken-Mitglieder wollen die einstige Bundestags-Fraktionschefin aus der | |
| Partei werfen. Führende Politiker:innen der Linkspartei sind dagegen. | |
| Neues Buch von Sahra Wagenknecht: „Ich finde Hedonismus sympathisch“ | |
| Die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht ist der Ansicht, „Lifestyle-Linke“ | |
| bereiten Sozialabbau und Rechtspopulismus den Weg. Ein Interview. |