# taz.de -- Selbstliebe 2.0: Ich brauche ein Update | |
> Jahrelang hat sich unsere Autorin hinter dem Label „unkompliziert“ | |
> versteckt, für die Selbstsorge ist das Gift. Zeit für ein paar scheinbar | |
> banale Bedürfnisse. | |
Bild: Sich selbst zu achten und zu lieben ist schwere Arbeit | |
Bisher ging ich selbstverständlich davon aus, dass ich mich selbst liebe. | |
Nicht immer, aber die meiste Zeit. Ich dachte, [1][Selbstliebe] ist | |
sozusagen automatisch in jeden Menschen eingebaut. Wird mitgeliefert. Wie | |
dieses U2-Album, das von Apple 2014 beim iPhone 6 automatisch in die | |
iTunes-Mediathek aller Nutzer*innen runtergeladen wurde – und sich nicht | |
oder nur schwer löschen ließ. | |
Ich bleibe mal in dieser etwas umständlichen Smartphone-Analogie: Bislang | |
dachte ich, ich müsste keine Selbstliebe-Updates machen. Selbstliebe hat | |
man und es bleibt ein Leben lang. Ich gehe aber auch nicht pfleglich mit | |
meinem Smartphone um: Meine Definition von Routine ist, jeden zweiten Tag | |
die Updateaufforderung auf morgen zu schieben. Ich lege mein Handy ständig | |
überall ab, mein Display ist fast immer voller Kokosöl (lange Geschichte), | |
ich habe schon mal versucht, Bierflaschen mit meinem Handy aufzumachen. | |
Kurzum: Ich achte nicht besonders darauf. Was hat das denn jetzt mit | |
Selbstliebe zu tun? Nun ja, ich hab festgestellt, dass ich ebenso wenig | |
pfleglich mit mir selbst umgehe und das sagt ganz schön viel aus über | |
meinen momentanen Selbstliebe-Status. | |
Was mir erst seit Kurzem klar ist, ist, dass Selbstliebe in tausend | |
unterschiedlichen Formen daherkommt. Sich nicht fertigzumachen, wenn man | |
scheitert. Sich eine Massage gönnen, Dinge nicht einfach hinzunehmen, | |
Grenzen aufzeigen, Menschen, die einem nicht gut tun, identifizieren und | |
aus seinem Leben raushalten, gut schlafen, leckeres Essen, ein heißes Bad. | |
Was ich gerade lerne, ist, dass all diese Dinge Übung (und manche auch | |
Geld) erfordern. | |
Sich selbst zu achten und zu lieben ist schwere Arbeit. Es fällt mir sehr | |
viel leichter, Freundinnen zu raten, Pausen zu machen, sich zu priorisieren | |
und sanft mit sich zu sein. Wenn es um mich geht, fällt es mir deutlich | |
schwerer. Ich habe mich jahrelang hinter dem Label [2][unkompliziert] | |
versteckt und dabei verlernt, meine eigenen Bedürfnisse zu achten. | |
Ich stecke – oft, ohne es zu merken – viel zurück und entwickle dabei | |
Frust, Wut und Neid. Frust, weil ich selbst schuld bin an meiner Situation. | |
Wut, weil ich sie nicht schnell genug verbessere, und Neid auf andere | |
Menschen, denen es viel leichter fällt. Seit Kurzem macht sich aber auch | |
ein anderes Gefühl breit: Hoffnung. Ich habe gemerkt, dass dieser Wandel | |
eine Summe vieler kleiner Schritte ist und die gehe ich jeden Tag. Ich gehe | |
zum Sport, mache Therapie und zwinge mich, spazieren zu gehen (was ich | |
wirklich hasse) und an die frische Luft. Ich bleibe stehen und fotografiere | |
einen schönen Käfer oder esse ein Eis und schaue mir Kleidung im | |
Schaufenster an. | |
Was sich anhört wie ein langweiliger Coming-of-Age-Film und möglicherweise | |
auch banal rüberkommt, ist mein Weg, mich wieder mehr zu lieben und zu | |
achten. Dieses Update kann ich nicht ewig auf morgen schieben. | |
13 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Selbstwert-und-Liebe/!5735923 | |
[2] /Debuetroman-von-Brandon-Taylor/!5771300 | |
## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
## TAGS | |
psychische Gesundheit | |
Psyche | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
Selbstfindung | |
deutsche Literatur | |
Kolumne Bei aller Liebe | |
taz.gazete | |
Anti-Rassismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Frankfurter Buchmesse: Mein erstes Mal | |
Unsere Autorin hat vor zwei Jahren auf der Buchmesse gesprochen und für sie | |
war es das Größte. Schade, dass es dieses Jahr vielen verwehrt bleibt. | |
Eltern kennenlernen: Am besten gleich die ganze Familie | |
Das erste Treffen der Eltern eines neuen Partners kann nervenaufreibend | |
sein. Besser man macht ein Speed-Dating mit der ganzen Familie daraus. | |
Über Existenz und Menschlichkeit: Eine Prise bewusste Sterblichkeit | |
In ihrer letzten Kolumne appelliert unser Autorin daran, sich bewusster mit | |
dem Tod auseinanderzusetzen. Auch für eine bessere Gesellschaft. | |
Rassismus und psychische Gesundheit: Ganzheitliche Dekolonisierung | |
Viele Antirassismusangebote helfen bei Konfrontationen von außen. Bei | |
Critical Wellness dagegen geht es um körperliche und psychische Folgen. |