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# taz.de -- Wahlslogans 2021: Juhu, wir dürfen wählen
> Die AfD kann kein Deutsch. Die FDP liebt dudenrein die Freiheit. Die CDU
> will machen. Wahlplakate zwischen Karneval und konkreter Poesie.
Bild: „Alle vier Jahre ein heiliger Augenblick der Teilhabe“. Am 26. Septem…
Im späten Sommer auf dem Weg zu einem Literaturfest im Wiesbadener
Burggarten, organisiert mit Enthusiasmus und ehrenamtlichem Engagement,
fiel mein Blick auf ein Plakat: DER MENSCH MACHT’S. Der Satz ist so
kryptisch, er hieß mich innehalten. Ansonsten stand nichts da, so, als wäre
ein eleganter Auslassungsapostroph Aussage genug. Wie gewitzt, dachte ich,
den Passanten wird Fantasie abverlangt.
Für Anhänger der repräsentativen Demokratie sind Bundestagswahlen der
entscheidende Moment der Meinungsfindung. Volkes Stimme kommt zu Wort. Alle
vier Jahre ein heiliger Augenblick der Teilhabe. Hitzige öffentliche
Debatten gepaart mit feierlicher Stimmung, müsste mensch annehmen. Ein
Ringen um Wege aus der Sackgasse, den unsere Zivilisation eingeschlagen
hat, müsste mensch hoffen. Die Kulmination eines diskursiven Prozesses,
ohne den die Idee unseres politischen Systems keinen Sinn ergibt.
Stattdessen ein wenig Boulevardtheater in den Medien und Plakate im
öffentlichen Raum. Welches Verständnis von Politik kommt in den Appellen
der Parteien an die Bürgerinnen zum Ausdruck? Welche wichtigen Botschaften
erstrahlen zwischen Asphalt und Mastleuchte? Die Antwort: „Der Mensch
macht’s“.
Sofort brachen Assoziationen über mich herein: „Milch macht müde Männer
munter.“ Des Weiteren: „Wer macht hier, hat gemacht, was ist hier
ausgemacht?“ Oder einfacher: „Was macht die Macht?“ Ein gelungenes Plakat,
zu Karnevalszwecken oder als Anregung zur konkreten Poesie. Es handelte
sich allerdings um Werbung für den Bundestagskandidaten der CDU, einen
gewissen Ingmar Jung, vor vier Jahren erfolgreich unterwegs mit „Jung
macht’s einfach“.
Nun sollte gerade die Christlich Demokratische Union wissen, dass der
Mensch denkt und Gott lenkt. Oder in passender Variation: „Der Mensch
macht, Gott lacht.“ Wie soll die Zuversicht von „Der Mensch macht’s“ we…
Wochen nach der Flutkatastrophe verstanden werden – als Hybris oder als
Eingeständnis humanen Versagens?
Werbung und Politik sind seit Längerem schwer auseinanderzuhalten. Das ist
keine neue Erkenntnis und trotzdem betrüblich. „Wir machen ehrliche
Politik!“ prangt im Süden der Republik in Großbuchstaben und blauer Farbe
auf einem Breitwandposter an einer Kurve der Bundesstraße 10. Noch so ein
Wahlkampfspruch, könnte mensch meinen, doch handelt es sich um Werbung
eines Mobilfunkanbieters. Da denkt das Volkshirn doch gleich an „das Blaue
vom Himmel“.
## Respektvoll wie Hartz IV
Unter diesem großspurigen Versprechen findet sich aber mehr konkrete
Information als auf jedem Wahlkampfplakat, nämlich die Kosten für ein
Monatsabo, bis auf den Cent genau beziffert. Das wirkt geradezu erfrischend
konkret im Vergleich zu dem Plakat in der nächsten Kurve: „Respekt für
dich“, gezeichnet Herr Scholz. So respektvoll wie „Hartz IV“ etwa?
Auf dem Land, etwa im schönen schwäbischen Örtchen Schlat, sind die Plakate
noch bescheidener. Ein netter älterer Herr schaut einen unverbindlich
freundlich an – Hermann Färber: „Ihre Stimme im Bundestag“. Womit nicht
anderes benannt wird als das Prinzip der parlamentarischen Demokratie, so
als müsste dieses einem unkundigen Volk erst noch verklickert werden.
Im Nachbardorf wird es endlich programmatisch. Eine junge Polizistin schaut
streng, aber gerecht, den Autofahrerinnen und Fußgängerinnen ins Auge: „Mit
Sicherheit. Deutschland gemeinsam machen“. Wir erkennen, bundesweit gilt:
CDU = macht. Egal wie geschrieben.
## Minimales von der FDP
Mit dem Thema Sicherheit ist bekanntlich leicht Heu machen, nicht nur in
Tempo-30-Zonen. Am Ortsausgang hängt ein AfD-Plakat: „Security an den
Grenzen statt im Supermarkt“. Da Birnen und Äpfel hierzulande seit den
Germanen heimisch sind, müsste die AfD begreifen, dass sie sich nicht
vergleichen lassen. Aber – sorry security – ein wenig enttäuschend ist es
schon, dass just die AfD die deutsche Sprache verlernt hat.
Das Plakat [1][von Herrn Lindner] tönt hingegen dudenrein: „Aus Liebe zur
Freiheit“. Unter der Lupe offenbart dieser Minimalsatz die zwei
abgegriffensten Schlagworte der deutschen Sprache. Interessant sind ergo
nur die Präpositionen. Einige Alternativen wären denkbar: „Durch Liebe mehr
Freiheit“. Oder: „Zur Liebe, zur Freiheit“. Allesamt brauchbarer als die
gewählte, denn es bleibt erschreckend unklar, was Herr Lindner aus Liebe
zur Freiheit (wessen?) so alles zu tun bereit ist.
In Bayern hingegen prangt überall ein Söder, mit einem klaren Junktim:
„Bayern stark machen. Damit Deutschland stabil bleibt“. Übersetzt: „Am
bayerischen Besen soll Deutschland genesen.“ Nun, originell ist das nicht,
wird diese Verbindung doch schon in der Hymne des Freistaats gepriesen:
„Gott mit dir, du Land der Bayern / deutsche Erde, Vaterland!“ Und
weitergesungen: „Er behüte deine Fluren!“
## Im Herbst der Blindheit
Gottvertrauen als ökologisches Programm, das ist doch so viel
inspirierender als die nüchterne Pragmatik des nächsten Plakats: „Wir haben
kluge Ideen fürs Klima“. Schön für euch, sagt der Himmel, und schenkt den
Grünen Farben, Weiß und Blau. Im späten Sommer zumindest, vor dem langen
Herbst unserer Blindheit.
Nun mag die eine oder der andere einwenden, Plakate seien nicht das
geeignete Medium für politische Entwürfe. Die Ausstellung [2][„Das Plakat,
200 Jahre Kunst und Geschichte“] im MKG-Museum in Hamburg zeigte letztes
Jahr, dass es möglich ist, politische Botschaften pointiert zu vermitteln,
wie etwa durch Klaus Staeck: „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure
Villen im Tessin wegnehmen.“ Neuerdings sogar „mit Respekt“.
Zum Schluss einige bescheidene Vorschläge für stimmige Slogans, damit der
Wahlkampf an Biss gewinnt. CDU: „Wir lernen aus unseren vielen Fehlern.“
SPD: „Ein langer Weg von Das Kapital zum Kapital.“ Die Grünen: „Mit
Spießertum die Welt retten.“ FDP: „Freiheit ist immer die Freiheit der
Lobbyisten.“ Die Linke: „Putin, dein Freund und Helfer.“
9 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/bundestagswahl-lindner-was-nun-100.h…
[2] https://www.mkg-hamburg.de/de/sammlung/sammlungen/plakat.html
## AUTOREN
Ilija Trojanow
## TAGS
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