# taz.de -- Rechtsextreme bei den Querdenker:innen: „Das System muss weg“ | |
> Im niedersächsischen Rotenburg an der Wümme demonstrieren jeden Montag | |
> Querdenker:innen. Mit dabei ist die „Nationale Bewegung in | |
> Deutschland“. | |
Bild: Marschieren jeden Montag durch Rotenburg an der Wümme: selbsternannte �… | |
Rotenburg an der Wümme taz | Jeden Montag flanieren sie auf dem Gehweg der | |
Hauptstraße in Rotenburg an der Wümme. Aber gewöhnliche | |
Spaziergänger:innen sind es nicht, die da durch die niedersächsische | |
Kreisstadt laufen. Die meisten sind Impfgegner:innen, stehen staatlichen | |
Maßnahmen gegen die Coronapandemie kritisch gegenüber. | |
Seit Anfang April kommen die selbsternannten Querdenkenden zu ihrem bunten | |
Protestzug zusammen. Sie kommen aus Rotenburg, aber auch aus Soltau, Verden | |
oder Sottrum. Wortführer:innen der selbsternannten „Freiheitsboten“ | |
sind eine Erzieherin und eine Friseurin. Sie begrüßen sich herzlich wie | |
langjährige, innige Freunde und singen gemeinsam ein Ständchen für ein | |
Geburtstagskind. Es wird viel gelacht. Sie fordern: „Das System muss weg.“ | |
In dem Aufzug, den Peter Flöter angemeldet hat, wird ein kleines Plakat | |
hochgehalten, mit der Botschaft: „1933 willkommen zurück!!!“ Auf einem | |
größeren Plakat steht: „Warum ist Deutschland eine Firma?“ Zwei Frauen | |
halten diese Plakate hoch. | |
Die beiden Botschaften darauf sind Ausdruck der in der Bewegung der | |
Querdenkenden und Coronaleugnenden längst von den meisten geteilten | |
Überzeugung, die Bundesrepublik Deutschland sei eine faschistische | |
Diktatur. Dahinter verbirgt sich eine Relativierung des Nationalsozialismus | |
und die Verhöhnung seiner Opfer. Die Frage nach der „Firma“ stammt aus der | |
Bewegung der Reichsideolog:innen, die behaupten, dass die Bundesrepublik | |
bloß eine „BRD-GmbH“ sei. Der Staat und seine Gesetze hätten keine | |
Rechtsgrundlage. | |
## Reichsfahnen aus Kartons | |
Flöter, mit orangefarbener Leuchtweste, versichert auf Nachfrage: „Wir sind | |
keine Rechten.“ Die Forderung auf einem der Plakate nach einem „System | |
Wechsel Jetzt“ (sic!) meine „dieses ganze Parteiensystem, was in | |
Deutschland herrscht“. Für Flöter steht fest: „Wir haben kein freies Land… | |
Auf den sogenannten [1][Sturm des Reichtages] im Zuge der | |
Querdenken-Demonstration am 29. August 2020 in Berlin angesprochen, | |
reagiert der Anmelder des Rotenburger Montagsspaziergangs nervös. Damals | |
wehten Reichsfahnen neben Fahnen in Regenbogenfarben. „Das ist doch eine | |
Lüge gewesen!“, poltert er. „Ich habe gesehen, wie die Fahnen aus neuen | |
Kartons herausgenommen worden sind und die zum Reichstag marschierten. Das | |
waren keine Querdenker!“, ist er sich sicher. | |
Ganz ähnlich äußerte sich auch der Begründer von „Querdenken“, Michael | |
Ballweg, in einem Interview mit dem Südwestrundfunk über die Reichsfahnen | |
an jenem Tag. „Von vielen Teilnehmern haben wir gehört, dass diese Flaggen | |
verteilt wurden und dass sie gar nicht wissen, wofür diese Flagge steht“, | |
behauptete Ballweg am 1. September vergangenen Jahres. | |
„Das ist wenig glaubwürdig. Die rechte Szene provoziert und zieht sich auf | |
Nachfrage zurück“, erklärt hingegen der Linken-Kreisvorsitzende Stefan | |
Klingbeil, der sich im Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus Rotenburg“ | |
engagiert. | |
Klingbeil meldet den Gegenprotest an, der die rechten | |
Spaziergänger:innen mit Transparenten und großem Polizeiaufgebot auf | |
ihren Wegen durch die Stadt kritisch „begleitet“. „Die, die das | |
Staatssystem abschaffen wollen, geben sich als Wölfe im Schafspelz“, sagt | |
er. Die „Freiheitsboten“ kennen Klingbeil. Als Plakate des | |
Linken-Kandidaten letzte Woche zerstört auf dem Bürgersteig lagen, | |
trampelten zwei Spaziergänger genüsslich darauf herum – bevor sie sich | |
wieder einreihten. | |
Peter Flöter selbst sagt, er sei zwar kürzlich zum Protestieren in Berlin | |
gewesen, habe aber mit dem Querdenken-Netzwerk „nichts zu tun“. Er | |
distanziert sich, weist jedoch zugleich darauf hin, dass Covid-19 nur eine | |
Grippe-Erkrankung mit „neuem Namen“ sei. Eine organisatorische Nähe zur | |
Querdenken-Bewegung weist Flöter zurück. | |
Auch mit der „Nationalen Bewegung in Deutschland“ (DEU-NOD) habe man nichts | |
zu tun, sagt er. Im Telegram-Kanal des Rotenburger „Freiheitsboten“ aber | |
wimmelt es von Bekenntnissen zur „Nationalen Bewegung“ und deren Ablegern | |
wie die „Arminius Runde“ oder „Arminius Erben“ – Flöter will davon n… | |
wissen. Gegenüber der Rotenburger Kreiszeitung bestätigte der Rotenburger | |
Polizeisprecher aber die politische Nähe und betonte: „Das hat eine | |
deutliche Tendenz Richtung Reichsbürger.“ | |
In dem Protesttross von rund 50 Männern und Frauen, die auch mit Kindern | |
kommen, sind die speziellen Symboliken der DEU-NOD, einer in Russland | |
gegründeten nationalistischen Organisation, schon länger aufgefallen. Eine | |
Frau etwa, an deren Auto ein großer Aufkleber der Partei „die Basis“ klebt, | |
trägt ein auffälliges Schild vor der Brust, an dem eine | |
orange-schwarz-gestreifte Schleife hängt: das sogenannte Sankt-Georgs-Band. | |
Das Symbol soll an den Drachentöter Georg erinnern und steht für „Dienst | |
und Tapferkeit“. | |
Die „Nationale Bewegung“ setzt sich dafür ein, den Einfluss des russischen | |
Präsidenten Wladimir Putin in Europa zu vergrößern. Mittlerweile will sie | |
laut Homepage in vielen bundesdeutschen Städten vertreten sein. Ihr Slogan: | |
„Heimat, Freiheit, Putin“. Gegründet hat sie der rechtsnationalistische | |
Duma-Abgeordnete Jewgeni Alexejewitsch Fjodorow. Ihre schwarz-orangen | |
Fahnen fehlen mittlerweile bei keiner größeren Querdenken-Demonstration. | |
Für die DEU-NOD ist die Bundesrepublik wie für die Reichsideolog:innen | |
ein Besatzungsstaat ohne „eigene Identität und Souveränität“, abhängig … | |
den USA. Die Zeit berichtete 2015, dass die „Nationale Bewegung“ mit | |
Spenden prorussische Soldaten im Donbass-Konflikt unterstütze. Sobald es in | |
Deutschland gegen die „Politik aus Berlin“ geht, sind die | |
Protagonist:innen der Gruppierung aus Moskau dabei, von Bauernprotesten | |
bis zu Rockergangs. Auch Flöter, der all das angeblich ablehnt, postete | |
eine Einladung zur Rotenburger Demo mit der bekannten gestreiften Schleife | |
der DEU-NOD. | |
„Sie wollen als Protestler wahrgenommen werden, aber nicht als | |
Rechtsextreme“, erklärt Stefan Klingbeil das Vorgehen und weist darauf hin, | |
dass im Telegram-Kanal des „Freiheitsboten“ Verden und Rotenburg offener | |
über die wahre Intention hinter den Demonstrationen gesprochen wird. | |
7 Sep 2021 | |
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[1] /Reaktionen-auf-die-Corona-Proteste/!5710612 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
Andrea Röpke | |
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