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# taz.de -- Hotelneubau zwischen Apfelbäumen: Urlaub beim Krachmacher
> In Hollern-Twielenfleth im Alten Land soll ein Hotel gebaut werden. Der
> Obsthof nebenan befürchtet, dass er aufgeben muss, wenn sich Gäste
> beschweren.
Bild: Fürchtet um seine Zukunft: Obstbauer Niklas Eckhoff
Hollern-Twielenfleth taz | Mit einem gewaltigen Knall bollert ein
Gabelstapler eine Apfelkiste auf einen Tieflader. Niklas Eckhoff,
designierter Erbe des gleichnamigen [1][Obsthofs in Hollern-Twielenfleth im
Alten Land], steuert ihn etwas mutwillig, fast zornig. Der junge Mann
befürchtet, dass er der Letzte einer langen Reihe von Obstbauern hier knapp
hinterm Elbdeich sein könnte, weil nebenan ein Hotel gebaut werden soll,
das den Betrieb einschränken könnte. „Ich will nicht mit dem Gefühl
aufwachen müssen: Mal gucken, wann sich heute einer beschwert“, sagt
Eckhoff junior – schlimmer noch: wann einer klagt.
Die kleine Vorführung mit dem Gabelstapler ist Teil eines Ortstermins, den
die Familie Eckhoff an einem Augustnachmittag auf ihrem Betrieb angesetzt
hat. Eingeladen sind der Projektentwickler des neuen Hotels, der Architekt
und die Mitglieder des Gemeinderats. Ein paar Nachbarn haben sich ebenfalls
auf dem großen, mit Verbundsteinen gepflasterten Hof eingefunden. Beidseits
sind haushoch Apfelkisten gestapelt, wobei „Kiste“ zu niedlich klingt: Jede
fasst gut 300 Kilo Äpfel und hat einen Palettenboden für den Gabelstapler.
Zweck der Veranstaltung: zu zeigen, dass so ein Obstbaubetrieb kein Ponyhof
ist. Schlimmstenfalls laufen hier rund um die Uhr Motoren und Pumpen, es
wird rangiert, geflext und gehämmert. „Für mich ist wichtig, dass die
Investoren wissen, was für Probleme auf sie zukommen können“, sagt Senior
Claus-Harry Eckhoff.
Ein „Erholungs- und Freizeithotel mit Wellness und Gastronomieangeboten“,
wie es nebenan projektiert ist, passt aus Eckhoffs Sicht so gar nicht zu
einem geschäftigen Landwirtschaftsbetrieb. „Mich würd's stören, wenn ich
Hotelgast wäre“, sagt der Obstbauer.
Der kräftige Mann managt eine mittelständische Firma mit vier
Festangestellten und 20 bis 25 Saisonkräften. Mit 150 Hektar eigener und
gepachteter Fläche ist der Betrieb mittelgroß. „Seit ich angefangen habe,
haben wir unsere Fläche verachtfacht“, sagt Eckhoff senior. Anders hätte
der Obsthof nicht überleben können. Die Früchte – vor allem Äpfel in
zwanzig verschiedenen Sorten, von Boskoop über Wellant bis Topaz, aber auch
Birnen, Kirschen und Zwetschgen – verkauft die Familie selbst in Hamburg
auf dem Isemarkt und in Volksdorf.
Was dafür an Infrastruktur nötig ist, demonstriert Junior Niklas Eckhoff,
indem er das Tor zu einer großen Halle am hinteren Ende des Hofs öffnet.
Innen liegt rechter Hand eine große Werkstatt, linker Hand sind neben- und
übereinander fast quadratische Kühlräume gestapelt wie in einem Regal. Die
drei Räume der oberen Reihe haben kleine Fenster. Da kann der Bauer nicht
einfach so die Tür aufmachen, denn hier wird der Kohlendioxid- und
Sauerstoffgehalt reguliert, um die Äpfel bis in den Sommer hinein haltbar
zu machen.
In einem Erweiterungsbau steht ein Stahlbecken mit Wasser, in das ein
Greifer die Apfelkisten tunkt, so dass sie auf ein Sortierband schwimmen
können und nicht einfach raufrumpeln wie früher. Eine Sortiermaschine für
eine halbe Million Euro sondert die Äpfel nach Größe, Farbe, Gewicht und
Schadstellen. Die Hamburger Kundschaft will Qualität kaufen.
## Hotels entlang der gesamten deutschen Küste
Um Qualität soll es auch bei dem nebenan geplanten Hotel gehen, wie Udo
Krause, Projektentwickler beim künftigen [2][Betreiber
Upstalsboom],versichert. Die Emdener Firma hat sich nach dem
Versammlungsort der ostfriesischen Häuptlinge im Spätmittelalter benannt.
Sie betreibt Hotels und Ferienwohnungen entlang der gesamten deutschen
Küste.
Krause stellt das Projekt am Abend im Hollerner Hof der erweiterten
Nachbarschaft vor. „Wir wissen, dass der Standort sehr besonders ist“, sagt
er. Es gehe gerade darum, den Gästen den Charme des [3][Obstbaugebietes
hinterm Elbdeich] zu erschließen.
Geplant sind zwei Reihen leicht versetzt aneinander geklebter Häuser, die
durch ein quer gestelltes Empfangsgebäude verbunden wären. Das greift das
Muster der vorhandenen Bebauung auf, bei der oft mehrere Häuser
hintereinander mit der Stirnseite zur Straße stehen. Auch der
Fassadenentwurf des [4][Hamburger Architekten Stefan Skorupa] lehnt sich an
die Altländer Obsthöfe an mit einem gläsern ausgefachten Fachwerk und
spitzen Giebeln, wie sie von der Gemeinde vorgeschrieben werden.
Im Foyer könnte es einen Marktplatz mit regionalen Produkten geben, zur
Straße hin ein Gartencafé, weiter hinten eine „Destillerie“ – eine Art
Bistro mit Schnäpsen und verfeinerten lokalen Spezialitäten. Das
Hotelrestaurant soll weitgehend verglast sein, so dass die Gäste mitten im
Obstgarten speisen würden. Gebaut werden soll mit Holz, Stahl und Glas –
mit „Vintage“-Anmutung. Hauptsache aber sind die 80 Zimmer mit ebenso
vielen Parkplätzen, auch für Fahrräder. Die Parkplätze samt einer Baumreihe
und Lärmschutz sollen die Grenze zum Obsthof bilden.
Was aber, wenn frühmorgens die drei Halogenstrahler auf dem Betriebshof der
Eckhoffs angehen und der Junior, ratter-ratter, rausfährt zum Spritzen;
wenn er draußen im Obstfeld den Treckermotor aufdreht, um Druck auf die
Spritzdüsen zu geben? „Wenn die Gäste das im Vorfeld wissen, haben sie
keinen Grund, sich zu beschweren“, glaubt Projektentwickler Krause, selbst
vom Hotelfach. „Es ist doch klar, dass der Obstbaubetrieb weitergehen
muss.“
Das sicherzustellen, sei Aufgabe der Politik, versichert Bürgermeister Timo
Gerke, von Beruf Schornsteinfeger. Am 12. September will er zum
Samtgemeinde-Bürgermeister gewählt werden. Da muss er einerseits was
reißen, andererseits darf er aber auch keine Wähler verschrecken.
Früher habe es mal ein 13-Zimmer-Hotel in der Gemeinde gegeben, sagt Gerke.
Seitdem das geschlossen habe, gebe es in der Samtgemeinde Lühe keine
Möglichkeit mehr, mal zwei bis drei Nächte zu bleiben. „Ich bin seit fünf
Jahren im Gespräch mit Investoren“, erzählt Gerke. Vielen habe er einen
Korb geben müssen, weil sie seinen Ansprüchen an Nachhaltigkeit nicht
genügten. Zu den Plänen von Upstalsboom sagt er: „Das ist ein
Leuchtturmprojekt, das sich architektonisch in das Alte Land einfügt.“
Obstbau und Tourismus ergänzen sich im Alten Land. Viele Höfe bieten
Ferienwohnungen an. Auch Familie Eckhoff hat noch ein Schild
„Ferienwohnungen“ vor der Hofeinfahrt stehen, hat das Geschäft aber
aufgegeben. „In der Coronazeit ist deutlich geworden, wie viel Tourismus
auf den Obsthöfen stattfindet“, sagt Monika Rulle, Geschäftsführerin des
Tourismusverbandes für den Landkreis Stade. Rulle hat eine brandneue Studie
zur wirtschaftlichen Bedeutung des Tourismus im Alten Land vorliegen.
Demnach haben Übernachtungsgäste 2019 rund 80 Millionen Euro in der Region
gelassen – 25 Prozent mehr als 2010; Tagesgäste gaben 200 Millionen aus –
36 Prozent mehr als 2010.
Was den Obstbau angeht, so zählt Matthias Görgens, stellvertretender Leiter
der Obstbauversuchsanstalt in Jork, rund 500 Betriebe für die Region
zwischen Cuxhaven und Winsen mit geschätzten 1.100 Vollzeit- und 3.500 bis
4.000 Saisonarbeitskräften. 300 Millionen Kilo Äpfel, knapp ein Drittel der
deutschen Produktion, komme aus der Region.
## Auf dem Weg zum Weltkulturerbe
Tourismusmanagerin Rulle ist zuversichtlich, dass Eckhoffs Obsthof und das
neue Ferienhotel koexistieren können. „Der Tourismus kann nur
funktionieren, wenn die Leute vor Ort entspannt sind“, sagt Rulle. Projekte
wie das Hotel von Upstalsboom müssten sich einpassen ins Obstbaugebiet.
„Wir sind ja auf dem [5][Weg zum Weltkulturerbe]“, sagt Rulle mit Blick auf
die laufende Bewerbung.
Der Familie Eckhoff reichen solche Versprechungen nicht. „Wenn das Hotel
erstmal steht, wer erinnert sich daran noch?“, fragt Niklas Eckhoff. „Am
Ende können wir uns nichts davon kaufen.“ Vielleicht lasse sich das ja auch
vertraglich regeln, stellt Projektentwickler Krause in Aussicht. Dabei
müsste Uptstalsboom darauf verzichten, gegen den Obsthof als Störer
vorzugehen.
Gerd Kruse vom Hamburger Planungsbüro Elbberg glaubt, dass das nicht nötig
sein wird. Kruse erarbeitet im Auftrag der Gemeinde den Bebauungsplan, der
das Hotel ermöglichen soll. Ein Hotel gelte nicht in gleicher Weise als
schutzbedürftig wie ein Wohnhaus, sagt Kruse, wohingegen Landwirte
Ausnahmen vom Lärmschutzrecht in Anspruch nehmen können.
„Emissionsschutzrechtlich habe ich überhaupt keine Bedenken“, sagt der
Stadtplaner.
Eher schon könnte Barbara Hagemann eine Chance haben zu klagen, deren
Grundstück auf der gegenüberliegenden Seite an das Hotel-Areal grenzt und
die befürchtet, dass die Hotelgäste ihr in den Garten schauen. „Ich habe
überhaupt keine Privatsphäre mehr“, sagt sie beim Ortstermin und stellt die
Frage, warum das Hotel so groß sein müsse.
„Das Geld fällt die Treppe herunter“, sagt Projektentwickler Kruse. Will
heißen: Je weniger Stockwerke, je weniger Zimmer, desto weniger rentiert
sich ein Hotel. Niklas Eckhoff hält dagegen, indem er sein Meisterstück in
der Landwirtschaftsausbildung vorführt:
Es ist ein kleiner, 540 Quadratmeter großer Folientunnel, in dem er
Aprikosen angebaut hat. Der Umsatz pro Quadratmeter sei besser als bei
Äpfeln. „So etwas ist wirtschaftlich, wenn man das Konzept dafür hat“, sa…
der junge Obstbauer. Das Gleiche dürfte doch wohl auch für die Hotellerie
gelten.
Eine Woche später kommen mehr als 70 Leute zur Gemeinderatssitzung, als das
Projekt auf der Tagesordnung steht. Nicht alle finden Platz im Saal.
Ungefähr die Hälfte der Zuschauer habe per Akklamation das Hotel begrüßt,
berichtet Bürgermeister Gerke. Am Ende beschloss der Gemeinderat
einstimmig, einen Bebauungsplan dafür aufzustellen.
Dieser und ein noch zu schließender städtebaulicher Vertrag sollen
sicherstellen, dass dem Betrieb und einer Erweiterung des Eckhoffschen
Obsthofes keine Beschränkungen auferlegt würden. Den Wohnnachbarn wird
Sicht- und Schallschutz gewährt. „Im ersten Moment hört sich das gut an“,
räumt Claus-Harry Eckhoff ein. Was aber, wenn die Geschäfte des Hotels
schlecht liefen? Was, wenn dann plötzlich Apartments daraus gemacht würden?
Fünf Generationen Eckhoffs haben den Obsthof bewirtschaftet. Er würde gerne
die sechste draufsetzen, sagt Niklas und sieht seine Freundin Jenny Kruse
an. Die hat Gartenbau mit Schwerpunkt Obst- und Gemüsebau studiert. Auf
Seiten der Eckhoffs steht der Zukunft nichts im Wege.
5 Sep 2021
## LINKS
[1] /Apfelernte-im-Alten-Land/!5714387
[2] https://www.upstalsboom.de/
[3] /Hochwasserschutz-an-der-Este/!5216938
[4] https://tssb.de/
[5] https://welterbe-altes-land.de/
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Landwirtschaft
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Naturschutz
Barbara Otte-Kinast
Tourismus
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