| # taz.de -- Nach dem Abzug aus Afghanistan: Lessons learned? | |
| > Es wird jetzt viel über die Lehren aus dem Einsatz in Afghanistan | |
| > gesprochen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dadurch etwas besser | |
| > würde. | |
| Bild: Straße in der Hochgebirgswüste von Bamyan/Afghanistan | |
| Das Englische kann so viel geschmeidiger sein als das Deutsche, | |
| eindrücklicher auch. Selbst wenn die deutsche Vokabel eigentlich parat | |
| steht, bietet sich die englische Vokabel daneben oft geradezu an, | |
| passgenau, mundgerecht. Das gilt insbesondere dann, wenn über etwas auf | |
| Englisch mindestens so viel geredet wird wie auf Deutsch, und das trifft | |
| auf den Krieg in Afghanistan nun unbedingt zu. | |
| Deshalb jedenfalls hallt in meinem Kopf der Begriff von den „lessons | |
| learned“ schon lange nach, den Lehren („gelernte Lehren“ würden wir ja | |
| nicht sagen), die aus dem Afghanistan-Krieg zu ziehen wären. | |
| „Was sind unsere lessons learned?“, riefen viele, die den Einsatz in | |
| Afghanistan schon früh schieflaufen sahen. Es antwortete aber niemand – | |
| jedenfalls niemand Zuständiges. Und nein, die „Fortschrittsberichte“ der | |
| Bundesregierung zu Afghanistan waren kein Ersatz, auch wenn sie kritische | |
| Töne enthielten. (Habe den [1][ersten dieser Berichte] von Ende 2010 gerade | |
| vor mir: Tatsächlich ist da bereits zu lesen, dass die Laune der | |
| Afghaninnen und Afghanen sank. Sie waren frustriert vom Einsatz des | |
| Westens.) | |
| Nun standen ja schon lange unangenehme Erkenntnisse im Raum herum und | |
| warteten nur darauf, angesprochen zu werden. Ein Beispiel, das viele | |
| KennerInnen des Landes beschreiben: Jahrelang wollte die Bundesregierung | |
| den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan dadurch moralisch aufwerten, dass | |
| sie ihn mit ziviler Hilfe verband, mit Brunnen-, Schul- und Brückenbau. | |
| Militär und Entwicklungshilfe gingen vor Ort also Hand in Hand. | |
| ## Immer schön auf die anderen verweisen | |
| „Vernetzte Sicherheit“ hieß das, mehrere Verteidigungsminister in Folge | |
| sprachen davon. Bei Franz Josef Jung klang es im hessischen Idiom besonders | |
| weich und zivil. Doch für die Afghaninnen und Afghanen war die „lesson | |
| learned“, dass Aufbau und militärische Besatzung eigentlich das gleiche | |
| waren. Brunnen-, Schul- und Straßenbau wurden so zu einer militärischen | |
| Besatzungsaktion – und jedenfalls nicht der afghanischen Regierung in Kabul | |
| zugeschrieben, die überflüssig wirkte. Es war ein Staatsaufbau, der dem | |
| aufzubauenden Staat keine Anerkennung verschaffte. | |
| Die so super vernetzte Bundesregierung konnte ihren Ansatz jedoch selbst | |
| nie infrage stellen, denn es hingen zu viele mit drin – eben weil vernetzt. | |
| In derselben Logik verweisen aktuell zur Erklärung des Desasters um den | |
| Abzug alle Angesprochenen immer schön auf die anderen Ministerien. | |
| US-Präsident Joe Biden erklärte diese Woche als Lehre aus Afghanistan: Die | |
| Ära von „nation building“ anderswo [2][sei nun vorbei], kein | |
| Demokratie-Export mehr. Es waren kurze, aber weitreichende Worte. Wenn der | |
| Mann das ernst meint, fehlt mir gerade die Fantasie dafür, wie denn etwa | |
| Europa seine Idee einer werteorientierten Außen- und Sicherheitspolitik | |
| aufrechterhalten möchte. Die europäischen Außen- und | |
| VerteidigungsministerInnen, die die Tage in Slowenien beisammensaßen, waren | |
| davon offensichtlich auch überfordert, wenn man die in alle Richtungen | |
| weisenden Kommuniqués liest. | |
| Zuvor allerdings hatten schon die EU-Innenminister ihre | |
| Post-Afghanistan-Agenda ausgebreitet. Sie brauchten neun Punkte, um ihr | |
| einziges Ziel zu beschreiben: keine Migration aus Afghanistan. In Punkt | |
| sechs als Begründung: „lessons learned“. Keine weitere Ausführung. | |
| Womit wiederum eines klar wäre: Wenn jemand behauptet, etwas gelernt zu | |
| haben, bedeutet das noch lange nicht, dass dadurch etwas besser würde. | |
| 4 Sep 2021 | |
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| [2] /Bidens-Rede-nach-dem-Afghanistan-Abzug/!5792962 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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