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# taz.de -- Steuerpolitik im TV-Triell: Ein Herz für Reiche
> Armin Laschet behauptet, dass der Soli für Wohlhabende verfassungswidrig
> sei. Das ist falsch. Doch im TV-Triell wird diese Fehldeutung als Fakt
> verkauft.
Bild: Armin Laschet auf dem Bildschirm während des Triells – sein Verhältni…
Beim Triell ist Moderatorin Pinar Atalay ein grober Schnitzer unterlaufen.
Atalay ist eigentlich eine gut informierte TV-Journalistin, aber an einer
Stelle war sie nicht faktensicher. Als es um die Steuern ging, stellte sie
Unionskandidaten Laschet keine echte Frage – sondern betete einfach nach,
was CDU und FDP gern permanent behaupten. Atalay unterstellte, dass der
„Soli“ sowieso abgeschafft werden muss, weil er verfassungswidrig sei. Das
ist falsch.
Richtig ist: [1][Die FDP] hat beim [2][Bundesverfassungsgericht eine Klage
eingereicht, um den Soli zu kippen]. Aber eine Entscheidung steht noch aus
– und es wäre höchst erstaunlich, wenn die Verfassungsrichter den Soli
beanstanden würden. Er ist nämlich eine normale Steuer, und es wäre ein
schwerer Eingriff in die Hoheitsrechte des Parlaments, wenn die Richter den
Soli verbannen würden.
Das Thema ist so brisant, weil der Soli nur noch von den Reichen gezahlt
wird, denn für die unteren 90 Prozent der Steuerzahler wurde er bereits
abgeschafft. Falls der Soli komplett entfällt, würden also nur die
Wohlhabenden beschenkt, die dann im Jahr rund 10 Milliarden Euro bei den
Steuern sparen könnten.
Der Solidaritätszuschlag ist eine komplizierte Konstruktion und hat eine
wechselvolle Geschichte. Dieses Durcheinander nutzen Union und FDP, um die
Wähler zu verwirren. Daher ist eine Rückschau unumgänglich.
## Nur Reiche zahlen noch den Soli
Der Soli wurde erstmals im Juli 1991 eingeführt und war damals auf ein Jahr
befristet. Die Zulage betrug 7,5 Prozent der gezahlten Einkommen- und
Körperschaftsteuer, und dieses Geld sollte unter anderem den Golfkrieg
finanzieren. Aber auch Kosten der deutschen Einheit und Hilfen für
Osteuropa sollten aus dem Zusatztopf gedeckt werden.
Wie geplant lief dieser Soli am 1. Juli 1992 aus, doch ab 1995 wurde er
erneut eingeführt. Wieder lag der Satz bei 7,5 Prozent, aber diesmal
sollten die Gelder allein der deutschen Einheit dienen. 1998 sank der Soli
dann auf 5,5 Prozent, und bei dieser Höhe ist es seither geblieben.
Jahrzehntelang bewegte sich beim Soli dann nichts mehr – bis die Große
Koalition beschloss, die unteren 90 Prozent der Steuerzahler ab Januar 2021
vom Soli zu befreien. Dieses Datum ist übrigens kein Zufall. Denn im
September 2021 stehen bekanntlich Bundestagswahlen an, so dass sich danach
eine neue Regierung mit dem ungelösten Problem herumschlagen darf, wie sich
die Einnahmeausfälle kompensieren lassen. Die breite Bevölkerung hat
nämlich bisher jährlich etwa 10 Milliarden Euro zum Soli beigesteuert.
Dieses Geld fehlt jetzt, und eine seriöse Gegenfinanzierung gibt es nicht.
Es wäre also Wahnsinn, das Finanzloch noch zu vergrößern, indem der Soli
auch für die Reichen entfällt. Zudem wäre politisch gar nicht zu
vermitteln, warum die Wohlhabenden noch weiter beschenkt werden müssen,
denn sie wurden schon äußerst üppig bedient.
## Entlastungen für Reiche sind unpopulär
Ein paar Beispiele: In den vergangenen zwanzig Jahren wurde der Spitzensatz
bei der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt; die
Körperschaftsteuer für Unternehmen fiel auf 15 Prozent; auf Zinsen und
Dividenden muss nur noch eine Abgeltungsteuer von 25 Prozent gezahlt
werden; und die Erbschaftsteuer wurde so reformiert, dass Firmenerben meist
gar nichts abführen müssen, selbst wenn sie milliardenschwere Unternehmen
übernehmen.
Die Reichen wurden umfangreich bedacht – obwohl sie sowieso ständig reicher
werden. Vom Wachstum der vergangenen zwanzig Jahre haben vor allem die
Wohlhabenden profitiert. Seit der Jahrtausendwende sind die realen
Einkommen des reichsten Zehntels um 25 Prozent gestiegen, während die
Durchschnittsverdiener nur auf ein Plus von etwa 12 Prozent kamen. [3][Das
ärmste Zehntel hat sogar verloren:] Sie erhalten jetzt 2 Prozent weniger
als vor zwanzig Jahren.
Laschet weiß, dass es unpopulär ist, die Reichen mit weiteren
Steuergeschenken zu beglücken. Daher versuchte er zunächst, sich einfach
durchzumogeln. Besonders krass war es im ARD-Sommerinterview, wo er
behauptete, dass im Unionsprogramm „keine einzige Steuerentlastung“
drinstehen würde.
Das war blanker Unsinn: In dem Text ist genau nachzulesen, wie die Union
die Reichen beschenken will. Unter anderem ist dort explizit erwähnt, dass
der Soli komplett gestrichen werden soll. Diese Präzision ist schon
deswegen bemerkenswert, weil das Unionsprogramm ansonsten 140 Seiten lang
vage schwafelt, um bloß keine WählerInnen zu verschrecken.
## Laschet gibt sich als Verfassungsrichter
Inzwischen hat auch Laschet verstanden, dass er mit reinen Lügen nicht
weiterkommt – deshalb tut er neuerdings so, als er wäre er nicht nur
Unionskanzlerkandidat, sondern auch Verfassungsrichter.
Bei jeder Gelegenheit behauptet er jetzt, dass der Soli mit dem Grundgesetz
nicht zu vereinbaren sei. Denn der Soli wurde eingeführt, um die deutsche
Einheit zu finanzieren – aber seit 2019 ist der Solidarpakt ausgelaufen,
der den Osten mit Zusatzmilliarden versorgt hat. „Wenn man einen Zuschlag
macht und der Zweck fällt weg, wird das Verfassungsgericht das nicht
dulden“, erzählte Laschet dem Fernsehvolk beim Triell.
Das mag logisch klingen, ist aber falsch. Der Solidarzuschlag wurde zwar
mit der Einheit begründet, doch die Einnahmen waren nie zweckgebunden. Die
Steuergelder flossen einfach in den Bundeshaushalt. Der Soli ist also eine
normale Steuer, über die allein das Parlament entscheidet. Diese Auffassung
vertritt übrigens auch das Bundesverfassungsgericht, das bereits zwei
Klagen gegen den Soli abgewiesen hat.
Laschets Verhältnis zur Realität ist ja eher locker. Bei ihm ist alles
vereinbar: kostspieliger Klimaschutz, die Schwarze Null und Steuersenkungen
für Reiche. Also findet er nichts dabei, die Verfassung neu zu
interpretieren. Das steht Laschet frei. Gefährlich wird es, wenn
ModeratorInnen seine wilden Behauptungen als Fakt verkaufen.
30 Aug 2021
## LINKS
[1] /FDP-stellt-Wahlprogramm-vor/!5760949
[2] /FDP-klagt-gegen-Solidaritaetszuschlag/!5704554
[3] /Wachsende-Ungleichheit/!5789838
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
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