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# taz.de -- Intensivmediziner über Inzidenzwert: „Eine unsinnige Diskussion�…
> NRW ist Hochinzidenzgebiet, der Intensivmediziner Manuel Wenk muss wieder
> mehr Covid-Patienten behandeln. Die Abkehr vom Inzidenzwert kritisiert
> er.
Bild: Die Zahl der Patient*innen auf Intensivstationen steigt; 22.07.2021
taz: Herr Professor Wenk, die Inzidenzen sind in Düsseldorf dreimal so hoch
wie im Bundesdurchschnitt. Merken Sie das auch auf der Intensivstation?
Manuel Wenk: Vor vier Wochen hatten wir genau null Covidpatienten auf
unserer Intensivstation. Und heute ist schon wieder ein Fünftel der
verfügbaren Intensivbetten mit ihnen belegt. Es nimmt jetzt gerade zu, ganz
klar.
Von wie vielen Patient*innen reden wir da?
Fünf, einer wird beatmet. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der dritten
Welle waren es in unserem Krankenhaus gleichzeitig 13 Covid Erkrankte auf
der Intensivstation. Da kamen wir schon nahe an die Belastungsgrenze.
Was sind das aktuell für Erkrankte?
Unser jüngster Patient ist Anfang 20 und der älteste 58 Jahre alt. Alle
sind nicht geimpft.
Hatten Sie schon vollständig geimpfte Patient*innen auf der
Intensivstation?
Von allen Menschen, die wir behandelt haben, lag bislang ein voll Geimpfter
auf der Intensivstation.
Können Sie etwas zur Liegedauer der Patient*innen sagen?
Es geht ja gerade erst los. Von der Krankheitsschwere war das, was wir in
der dritten Welle mit den älteren Ungeimpften gesehen haben, sicher
deutlich ausgeprägter. Jetzt kommen die Jungen, eigentlich Fitten, die
vielleicht ein oder zwei Risikofaktoren mitbringen. Die lernen wir gerade
erst kennen. Die aktuellen Patienten sind alle im Stadium der ersten Woche
auf der Intensivstation. Da kommt erst noch der Scheidepunkt, an dem es
besser oder eben immer schlechter wird.
Sehen Sie auch auf den Normalstationen deutlich mehr Menschen mit Covid-19?
Auch das nimmt zu. Die meisten der in den vergangenen zwei Wochen
aufgenommenen Covid-19-Patienten kommen dann allerdings auch auf die
Intensivstation. Offenbar brauchen die, die von den Jüngeren ins
Krankenhaus müssen, dann auch mehr Unterstützung. Wie oft daraus dann ein
wirklich schwerer Intensivverlauf wird, ist noch mal eine andere Frage. Die
kann ich, wie gesagt, noch nicht beantworten.
Hatten Sie auch schon Patient*innen, die nicht wegen, sondern nur mit
Corona auf die Intensivstation kamen?
Da fällt mir eigentlich nur einer ein. Bei einem Unfallopfer wurde eine
Infektion festgestellt, von der die Person selbst noch gar nichts wusste.
Allerdings hat sich auch deren Covid-19-Erkrankung inzwischen so
verschlechtert, dass die Person deswegen auf der Intensivstation behandelt
wird.
Hören Sie bei Ihren Patient*innen so was wie: Ach Mist, hätte ich mich
doch impfen lassen?
In der aktuellen Krankheitsphase ist das kein Thema.
Man könnte ja denken, dass jetzt, wo alle Hochrisikogruppen geimpft sind,
nicht mehr Patient*innen wegen Covid-19 auf der Intensivstation landen
als wegen Krankheiten wie der Grippe. Stimmt das?
Sagen wir mal so: Fünf Lungenerkrankte auf der Intensivstation Ende August
hätte uns auch vor Corona nicht schockiert. Die anderen
Atemwegserkrankungen, bei denen wir sonst schwere Verläufe haben, sehen
wir – vermutlich durch die aktuellen Hygienemaßnahmen – derzeit viel
seltener. Und man darf nicht vergessen, dass die Krankheitsschwere, die wir
bei Covid-19 erlebt haben, viel dramatischer war als bei einer Grippe.
Das galt aber für die älteren, ungeimpften Patient*innen.
Das stimmt. Bei den wenigen jüngeren Intensivpatienten aus der dritten
Welle hatte man schon den Eindruck, dass die etwas besser durch die
Erkrankung kommen. Aber nun haben wir auch eine andere Virusvariante, also
müssen wir sehen, wie sich das entwickelt.
Sind Ihnen in der Zeit, seit geimpft wird, schon Patient*innen mit
Impfnebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen begegnet?
Für die Notaufnahme und Normalstationen kann ich das nicht sagen. Aber auf
der Intensivstation hatten wir weder bei den Erwachsenen noch bei den
Kindern Fälle.
Es wird vielfach berichtet, dass es gerade auf den Intensivstationen eine
Personalflucht nach der dritten Coronawelle gibt. Geht Ihnen das auch so?
Diese besondere Zeit hat unser Team eher zusammengeschweißt. Wir haben
nicht mehr Fluktuation als in anderen Jahren, uns ist niemand weggerannt.
Aber die Intensivpflege der vielen Coronapatienten war harte körperliche
Arbeit unter extrem schweren Bedingungen. Diese Ausnahmesituation merkt man
im Krankenstand, in der Belastung, in Gesprächen. Das wird natürlich nicht
besser durch den sowieso bestehenden Personalmangel auf Intensivstationen,
um den sich jahrelang niemand gekümmert hat und der der Politik scheinbar
erst in der Pandemie richtig aufgefallen ist. Sie bekommen nirgendwo
Intensivpflegekräfte her, es gibt sie einfach nicht. Und das müssen die,
die da sind, ausgleichen.
Der Bundesgesundheitsminister will statt der Inzidenz die
Hospitalisierungsrate zum neuen Richtwert für die Infektionsschutzmaßnahmen
machen. Sind Sie damit einverstanden?
Das ist meines Erachtens eine völlig unsinnige Diskussion. Natürlich hat
der Inzidenzwert nicht mehr diese einfache Aussagekraft, die er noch vor
ein paar Monaten hatte. Die Lage ist komplexer, weil wir inzwischen viele
Geimpfte haben und sich vor allem Jüngere infizieren, die ein geringeres
Risiko haben, schwer zu erkranken. Aber auch wenn sich das Verhältnis
geändert hat, gilt noch die Regel: Wenn die Inzidenz steigt, werden wir am
Ende auch mehr Patienten haben. Und trotzdem wird jetzt krampfhaft
versucht, von der Inzidenz wegzukommen und für diese einen anderen Wert zu
finden, der die gleiche Aussagekraft hat.
Wofür plädieren Sie stattdessen?
Warum kann man nicht einen Dreiklang finden aus 7-Tage-Inzidenz,
Hospitalisierungsrate und Intensivaufnahmerate? Das machen wir hier in
Düsseldorf mit allen Krankenhäusern gemeinsam schon das ganze Jahr so und
können damit gut planen. Ich bin natürlich Mediziner und kein Politiker.
Und vielleicht ist das der Bevölkerung schwieriger zu vermitteln. Aber
dafür haben wir doch im Robert Koch-Institut die Experten, die aus den
Zahlen konkrete Lageberichte erarbeiten. Auf die Inzidenz zur Prognose
möchte ich jedenfalls nicht verzichten.
Was sagt Ihnen denn die aktuelle Inzidenz in Düsseldorf?
Vor einer guten Woche hatten wir eine 7-Tage-Inzidenz von 90, jetzt sind
wir bei 150. Das sagt mir, dass ich in einer Woche noch mal mehr
Covidpatienten im Krankenhaus und noch eine Woche später auf der
Intensivstation haben werde. Wie viele genau, hängt davon ab, ob die
Infizierten geimpft sind und wie alt sie sind – 35 ist da für uns
Intensivmediziner die magische Grenze, ab der die schweren Verläufe
wahrscheinlicher werden.
Bereitet Ihnen der Herbst Sorge?
Ja. Es gibt eine Hochrechnung vom Robert Koch-Institut aus dem Juli, aus
der hervorgeht, wie sehr die Zahl der Patienten von der Impfquote abhängt.
Eine auch nur etwas niedrigere Impfquote sorgt demnach für deutlich mehr
Patienten. Und wenn ich sehe, wie die Impfungen gerade stocken – das muss
einen beunruhigen.
27 Aug 2021
## AUTOREN
Manuela Heim
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