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# taz.de -- Para-Athletin mit neuer Herausforderung: „Es wird schwieriger“
> Annika Zeyen war als Rollstuhlbasketballerin erfolgreich. Dann stieg sie
> um aufs Handbike und möchte damit bei den Paralympics eine Medaille
> gewinnen.
Bild: Kurbeln, bis die Ziellinie kommt: Annika Zeyen auf ihrem Handbike
taz: Frau Zeyen, Sie waren vier Mal als Rollstuhlbasketballerin bei den
Paralympischen Spielen, 2012 haben Sie mit dem deutschen Team Gold
gewonnen. In Tokio beginnen am Dienstag die [1][Paralympics], und sind Sie
nun als Handbikerin dabei – mit guten Medaillenchancen. Wie geht das?
Annika Zeyen: Mit viel Training, viel Disziplin und viel Ausdauer. Das hört
sich so leicht an, mal eben die Sportart zu wechseln und wieder erfolgreich
zu sein. Aber da steckt sehr, sehr viel Arbeit dahinter.
Warum sind Sie umgestiegen?
Ich finde Rollstuhlbasketball noch immer total toll. Aber 2016 habe ich
meine Karriere beendet, weil ich mal wieder etwas mehr für mich entscheiden
wollte, wie ich meine Zeit verbringe. Im Einzelsport kann ich mir meine
Trainingszeiten besser selbst einteilen und habe nicht mehr jedes
Wochenende Bundesligaspiele. Natürlich ist das jetzt nicht weniger
Trainingsaufwand, aber ich habe mehr Möglichkeiten, selbst zu bestimmen.
Mehr Zeit für sich haben Sie aber eher nicht, oder?
Nein. Aber es ist für mich ein großer Unterschied, ob ich weiß, dass ich am
Wochenende immer durch die Gegend reisen muss für den Rollstuhlbasketball,
oder ob ich meine Trainingseinheiten so gestalten kann, dass es für mich
passt.
Innerhalb kurzer Zeit haben Sie es nach Ihrem Umstieg zur zweimaligen
Weltmeisterin im Handbike-Straßenrennen gebracht. Sind Sie einfach ein
Allround-Talent auf Rädern?
Die Grundfitness war natürlich da, ich hatte gute Kraftwerte und habe auch
als Basketballerin immer viel Ausdauertraining gemacht. Sonst hätte ich es
sicher nicht hinbekommen, mit dem Handbike so schnell ein so hohes Niveau
zu erreichen. Dazu kommt die Wettkampferfahrung, ich kenne das alles ja
schon, das hilft.
Was erhoffen Sie sich?
Mein Ziel ist es, eine Medaille zu gewinnen. Allerdings fahren wir in Tokio
mit einer Klassifizierungsgruppe zusammen, in der die Athletinnen etwas
weniger eingeschränkt sind. Es wird daher viel schwieriger für mich, eine
Medaille zu holen, als bei der WM. Ich bin in der Klasse Handbike 3, und
wir fahren in Tokio auch gegen die Klasse H4. Ich habe eine
Querschnittslähmung. In der H4 fahren Sportlerinnen, die zum Beispiel eine
Beinprothese haben. Die verfügen über ihre volle Rumpfstabilität, das ist
gegenüber einer Querschnittslähmung natürlich ein Vorteil.
Das ist ein großes Handicap des Parasports: Für den Laien ist es schwer,
bei all den verschiedenen Klassen den Überblick zu behalten.
Das stimmt, es ist wirklich schwierig, das zu verstehen. Bei uns ist es
nicht wie bei Olympia, dass in je einem 100-Meter-Rennen die schnellste
Frau und der schnellste Mann ermittelt werden. [2][Wir haben deutlich mehr
100-Meter-Rennen], passend zu den unterschiedlichen Behinderungen (etwa
Seebehinderung, Amputation, Muskelerkrankung, und dann gibt es je nach
Schwere der Beeinträchtigung noch mal unterschiedliche Klassen, Anm. d.
Red.). Das ist für den Laien schwer zu verstehen.
Und sorgt auch intern immer wieder für Diskussionen darüber, wer in welche
Klasse gehören sollte. Könnte man die Klassifizierungen vereinfachen?
Ich denke nicht. Generell ist es ja super, dass es dieses System gibt. Es
muss einem klar sein, dass man es nie zu 100 Prozent fair machen kann. Man
hat eine Spanne von A bis B, und es wird immer Leute geben, die sind näher
an A oder näher an B und andere sind in der Mitte. Irgendwo müssen die
Grenzen aber gesetzt werden, da müssen einzelne Athleten dann leider damit
leben, vielleicht einen kleinen Nachteil zu haben.
Sie arbeiten für das Internationale Paralympische Komitee IPC in Bonn und
sind gleichzeitig aktive Athletin und Paralympics-Teilnehmerin. Passt das
zusammen?
Ich arbeite als Brandmanagerin im Marketing und kümmere mich um die zehn
Sportarten, für die wir als IPC gleichzeitig der internationale Verband
sind. Das allerdings nicht in Vollzeit, denn dann würde ich mein
Trainingspensum nicht schaffen. Und inhaltlich arbeite ich nicht für die
Paralympics, sondern für andere Großveranstaltungen wie Welt- und
Europameisterschaften in Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen.
Daher passt das ganz gut zusammen.
Der Leverkusener Prothesen-Weitspringer Markus Rehm ist einer der wenigen
Parasportler, der mit seinen Leistungen an die der olympischen Athleten
herankommt. Er wollte bei Olympia außer Konkurrenz mitspringen, um einen
inklusiven Akzent zu setzen und zu zeigen, was im Parasport möglich ist. Er
durfte aber nicht. Sollten Olympia und die Paralympics enger
zusammenrücken, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen?
Das finde ich sehr schwierig. Es ist gut, dass es Olympia und die
Paralympics gibt, getrennt voneinander. Man will ja einen fairen Wettkampf
haben. Im Fall von Markus Rehm: Na klar, wenn es so einfach wäre, mit einer
Prothese weit zu springen, müssten alle in seiner Klasse ähnlich weit
kommen. Aber er springt einen Meter weiter als seine Konkurrenten, daran
kann man sehen, dass die Prothese nicht ganz allgemein einen Vorteil
bringt. Trotzdem ist der Weitsprung mit und ohne Prothese schwer zu
vergleichen, es sind zwei verschiedene Sportarten. Das sehe ich ganz klar
so. Außer Konkurrenz hätte man ihn natürlich trotzdem mitspringen lassen
können.
Mit was für einem Gefühl fahren Sie nach Tokio? Die Spiele stehen ganz im
Zeichen der Coronapandemie, alles wird schwieriger werden.
Mit gemischten Gefühlen. Mir ist bewusst, dass es keine Paralympics werden,
wie ich sie kenne. Wo Familie und Freunde dabei sind, wo man eine
Eröffnungsfeier hat, bei der man richtig in Stimmung kommt. Wir haben auch
deutlich mehr Organisationsaufwand, mit Fiebermessen jeden Tag, zwei
PCR-Tests vor der Abreise, die Einreise wird kompliziert, vor Ort werden
wir quasi in Quarantäne sein. Trotzdem bin ich sehr dankbar, dass die
Paralympics stattfinden können.
Sie sind querschnittsgelähmt, seit Sie 14 Jahre alt sind. Welche Rolle
spielt der paralympische Spitzensport in Ihrem Leben mit dieser
Behinderung?
Eine riesengroße. Sport war auch vor meinem Unfall wichtig für mich. Als
ich danach dann gemerkt habe, dass man auch im Rollstuhl noch Sport machen
kann, ist mir ein sehr großer Stein vom Herzen gefallen. Ich habe durch den
Parasport unheimlich viel erlebt. Ich habe auch viel gelernt. Wenn ich an
meine Anfangszeit im Rollstuhl denke: Ich konnte mir von den anderen
Rollstuhlbasketballern unheimlich viel für den Alltag abgucken. Am Anfang
ist man noch sehr unsicher, wie man mit der Situation umgehen soll, im
Rollstuhl zu sitzen. [3][Da hat mir der Sport sehr viel Selbstbewusstsein
gegeben.]
Hadern Sie heute noch mit Ihrer Querschnittslähmung?
Nein. Auch am Anfang habe ich nicht so sehr damit gehadert. Ich hatte immer
eine ganz tolle Unterstützung, vor allem durch meine Familie und meine
Freunde. Wir haben von Anfang an versucht, das Beste aus der Situation zu
machen. Man kann nicht ändern, dass der Unfall passiert ist. Aber man kann
beeinflussen, was man daraus macht, wie man mit der Behinderung lebt.
Haben Sie mit Paris auch Ihre sechsten Spiele im Auge?
Ich habe mich voll auf Tokio konzentriert, weiter gucke ich noch nicht. Da
noch mal eine Medaille zu gewinnen, wäre richtig toll.
22 Aug 2021
## LINKS
[1] /Paralympische-Spiele-in-Tokio/!5789606
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Startklassen_der_paralympischen_Sportarten
[3] https://www.youtube.com/watch?v=82WmR2i4ym4
## AUTOREN
Susanne Rohlfing
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