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# taz.de -- Ungleichheit bei den Paralympics: Wettstreit der Wohlstandsnationen
> Am Dienstag beginnen die Paralympischen Spiele in Tokio. Sie spiegeln das
> globale Gefälle zwischen Arm und Reich besonders stark wider.
Bild: Teures Rad: paralympische Sportgeräte können sich nicht alle leisten
Wie bei den Olympischen Spielen gibt es coronabedingt auch bei den
Paralympics in Tokio [1][gesundheitspolitische Bedenken]. Auf
gesellschaftspolitischer Ebene aber bekundet das Internationale
Paralympische Komitee (IPC) große Zufriedenheit. Der Behindertensport
breite sich weltweit immer weiter aus.
Um die 4.400 Athletinnen und Athleten sollen an den am Dienstag beginnenden
Spielen von Tokio teilnehmen. Das wären etwa 200 mehr als 2016 in Rio, wo
der letzte Höchstwert erreicht wurde. 158 Mitgliedsländer schicken
Sportler, womit Tokio zwar etwas unter der bisherigen Bestmarke von 164 im
Jahr 2012 bleibt. Der Grund ist die Pandemie: Sportler aus 168 Ländern
hatten sich qualifiziert, womit ein Bestwert erreicht wäre. Doch wegen
Quarantäneregeln bei der Durchreise auf dem Weg nach Tokio haben vor allem
kleinere Länder aus Ozeanien ihre Teilnahme wieder abgesagt.
Hinzu kommt, dass sieben nationale Mitgliedsorganisationen von den Spielen
ausgeschlossen worden sind, insbesondere weil sie ihre Mitgliedsbeiträge
nicht bezahlt haben. Diese Länder hätten in letzter Zeit ohnehin keine
Sportler auf Turniere geschickt, erklärt das IPC. 25 Länder, die eigentlich
Nationale Paralympische Komitees haben, seien in Tokio nicht vertreten. „Es
stimmt, dass dies vor allem ärmere Länder betrifft“, sagt Craig Spence,
Sprecher des IPC.
Aber nicht nur die bloße Teilnahme offenbart ein Gefälle zwischen Arm und
Reich, das noch viel stärker ist als bei den Olympischen Spielen. Auch die
Erfolge in den Wettbewerben dokumentieren dies. Bis auf China, das schon
durch seine große Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen einen Vorteil
hat, sind die zehn stärksten Nationen im historischen Medaillenranking
ausschließlich postindustrielle Wohlstandsgesellschaften. Sie sind es auch,
die die größten Delegationen schicken. Gemessen an ihren Lebensstandards
schneiden zudem postsozialistische Staaten wie Polen, die Ukraine oder
Usbekistan gut ab. Aber sie kommen nicht annähernd an die Erfolge reicher
Länder heran.
Luxus Sportrollstuhl
Der wichtigste Grund dafür ist offensichtlich: Je ärmer ein Land ist, desto
größer ist der Luxus, als Person mit einer Behinderung Sport zu treiben.
Ein Sportrollstuhl kostet mehrere tausend Euro, auch Sportprothesen sind in
vielen Ländern unbezahlbar. Ian Brittain, Professor an der Coventry
Business School und Experte für paralympischen Sport, sieht den Erfolg von
Ländern bei Paralympischen Spielen als klaren Indikator dafür, wie stark
eine Gesellschaft Menschen mit Behinderungen ins Alltagsleben integriert.
Allerdings reicht guter Wille nicht aus. Oft fehlt es schlicht an Geld.
Beim IPC hat man das verstanden. Vor knapp einer Woche hat es die Kampagne
„WeThe15“ ausgerufen, mit der armen Ländern geholfen werden soll,
[2][Strukturen für Behindertenbreitensport zu etablieren] und zu stärken.
Neben dem IPC beteiligen sich die Vereinten Nationen, die NGO International
Disability Alliance und mehr als zehn weitere Organisationen. Der Name
deutet auf die 15 Prozent der Weltbevölkerung hin, rund 1,2 Milliarden
Menschen, die mit einer Behinderung leben. Für sie will die Kampagne unter
anderem mit nationalen Regierungen verhandeln, um Sportausrüstung günstiger
verfügbar zu machen.
In vielen Ländern, wo neben dem Wohlstand das Bildungsniveau geringer ist,
werden Menschen mit einer Behinderung allerdings auch sozial stärker
ausgegrenzt. Dies wiederum soll sich auch durch die Paralympics selbst
ändern. Die Organisatoren von „Tokyo 2020“ erwarten einen erneuten Rekord
bei den globalen TV-Einschaltquoten. 4,25 Milliarden Zuschauer weltweit
werden erwartet.
„Die Spiele werden in 150 bis 160 Ländern gesendet. Zum ersten Mal wird
auch in 40 Ländern in Subsahara-Afrika übertragen“, so Craig Spence. Damit
werde eine neue Generation zum Sporttreiben inspiriert. Dies sei das
wichtigste Vermächtnis der Paralympics: „Viele Zuschauer mit einer
Behinderung sehen im Fernseher zum ersten Mal Personen, die so sind wie sie
selbst. Nur dass sie eben Sport treiben. Solche Anekdoten höre ich immer
wieder.“
Zum Erfolg der Paralympics könnte paradoxerweise die Pandemie verhelfen:
Weil vielerorts das Alltagsleben stark eingeschränkt ist, sitzen oft mehr
Menschen vorm Fernseher. Allerdings werden sie auch diesmal vor allem
Medaillensieger aus reichen Ländern sehen.
23 Aug 2021
## LINKS
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[2] /Ruanda-bei-den-Paralympics/!5084929
## AUTOREN
Felix Lill
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