# taz.de -- Deutsches Goalball-Team in Tokio: Rasanter Aufstieg | |
> Das deutsche Goalball-Team hat sich dank guter Nachwuchsarbeit prächtig | |
> entwickelt. Erstmals winkt bei den Paralympics sogar Edelmetall. | |
Bild: Sorgen für Schwung: Oliver Hörauf und Thomas Steiger (v.l.) bereichern … | |
Die Frisur ließ sich Johannes Günther kurz vor dem Abflug nach Tokio noch | |
stutzen. Der Cheftrainer [1][der deutschen Goalballer] wollte vorzeigbar | |
sein für den großen Moment am Mittwoch: Sein Team startet gegen die Türkei | |
in das paralympische Turnier – als Mitfavorit und live im deutschen TV. Die | |
ARD überträgt ab 10.30 Uhr. Das gab’s noch nie, dabei gehört die wohl | |
beliebteste Sportart für Menschen mit Sehbehinderung schon seit 1976 zum | |
Programm der Paralympischen Spiele. „Das ist eine riesen Auszeichnung“, | |
sagt der frisch gestylte deutsche Coach Günther. | |
Dass die deutsche Mannschaft vorzeigbar ist, dafür haben Günther und | |
Co-Trainer Stefan Weil seit 2010 gesorgt. Zu den Spielen 2016 in Rio hatte | |
es das Team gerade so geschafft. Das Aus im Viertelfinale gegen die USA war | |
keine Überraschung. Jahr für Jahr spielte man schließlich gegen den Abstieg | |
aus der europäischen A-Gruppe. Gleichzeitig investierten die Trainer jedoch | |
viel Energie in die Nachwuchsarbeit: 2015 wurde die deutsche U 19 | |
Weltmeister. Zwei der Spieler, Oliver Hörauf und Thomas Steiger, rückten | |
ins Männer-Team auf und brachten neuen Schwung. „Mit ihnen hat sich unser | |
Niveau deutlich gesteigert“, sagt Günther. | |
So begann der Triumphzug der deutschen Goalballer: 2017 wurden sie | |
EM-Zweite. 2018 gewannen sie WM-Silber, nur geschlagen von den überragenden | |
Weltmeistern aus Brasilien. 2019 folgte der EM-Sieg, für den im Halbfinale | |
Paralympicssieger Litauen bezwungen werden musste. Hinter den Erfolgen | |
stecken viel Herzblut und Akribie: Zum Trainerteam gehören auch | |
Videoanalyst Tobias Vestweber und Sportpsychologe Simon Borgmann. Die | |
anderthalb Coronajahre ohne nennenswerte Turniere habe man mit | |
Trainingslagern überbrückt, erklärt Günther. Nun wisse man nicht so genau, | |
wo man im Vergleich zur Konkurrenz steht: „Aber das geht allen so, das ist | |
kein Nachteil, den die anderen nicht auch hätten.“ | |
Goalball ist eine der Parasportarten schlechthin, entstanden nach dem | |
Zweiten Weltkrieg, als viele Kriegsversehrte mit Augenverletzungen sich | |
nach sportlicher Betätigung sehnten. Kurz gefasst ist die Idee des Spiels: | |
Athleten mit einer Sehbehinderung müssen einen Klingelball ins gegnerische | |
Tor werfen. „Wir wissen schon, dass wir immer eine Erklärung mitliefern | |
müssen, wenn wir unsere Sportart nennen“, sagt Günther, „es gibt halt im | |
olympischen Sport kein Äquivalent zum Goalball.“ Ihm gefällt das. Denn | |
daher gebe es auch „keine Olympiasportler, die uns überlegen wären“. | |
## Minimale Reaktionszeiten | |
In der Bundesliga wird inklusiv gespielt, den Mannschaften dürfen auch | |
sehende Athleten angehören. Einen Vorteil bringt ihnen das aber nicht, denn | |
im Spiel trägt ohnehin jeder eine Dunkelbrille. So sehen alle gleich | |
nichts. Bei den Paralympics dürfen alle Athleten nur eine Restsehkraft von | |
unter 10 Prozent haben. Gespielt wird zwei Mal zwölf Minuten drei gegen | |
drei auf einem Volleyballfeld, 18 Meter lang und 9 Meter breit. Die Tore | |
gehen über die gesamte Spielfeldbreite und sind 1,30 Meter hoch. | |
Ein 1,25 Kilogramm schwerer, im Innern mit kleinen Glöckchen versehener | |
Ball muss ins gegnerische Tor geworfen oder gerollt werden. Auf seinem Weg | |
muss er mindestens je einmal in der eigenen Torzone und in der neutralen | |
Zone in der Mitte des Spielfeldes aufkommen. Die jeweils drei Spieler sind | |
sowohl Angreifer als auch Torhüter, sie dürfen den Ball mit dem gesamten | |
Körper aufhalten. Nach einer erfolgreichen Abwehr haben sie aber nur zehn | |
Sekunden Zeit für den nächsten eigenen Angriff. Das macht das Spiel rasant. | |
Und der Laie kann kaum glauben, dass es blind gelingen kann, den bis zu 70 | |
km/h schnellen Ball zu stoppen. „Da geht es um Reaktionszeiten von unter | |
einer Sekunde“, sagt Günther. | |
Bei den [2][in Tokio eröffneten Paralympics] sind zehn | |
Goalball-Mannschaften am Start. In zwei Fünfergruppen treten sie zunächst | |
in der Vorrunde gegeneinander an. Deutschland trifft auf die Türkei, die | |
Ukraine, Belgien und China. Die besten vier Teams spielen über Kreuz gegen | |
die Top vier der anderen Gruppe das Viertelfinale. „Es wäre super, wenn wir | |
unsere Gruppe gewinnen“, sagt Günther. Weltmeister Brasilien und | |
Paralympicssieger Litauen würde man gern so lange wie möglich aus dem Weg | |
gehen. Auch die USA und China zählen wie Deutschland zum Favoritenkreis. | |
Dem deutschen Team gehört auch Reno Thiede an. Der 31-Jährige aus Rostock | |
ist seit seiner Jugend, seit seine Sehkraft immer mehr schwand, vom | |
Goalball begeistert. Und er ist wohl so etwas wie der Ursprung aller | |
Begeisterung in der Mannschaft. Er initiierte 2014 die Goalball-Bundesliga, | |
er holte die EM 2019 in seine Heimatstadt. „2010 waren wir noch eine | |
komplette No-Name-Truppe“, erinnert sich Thiede: „Wir waren zwar sportlich | |
ambitioniert, aber die Ergebnisse haben das nicht widergespiegelt.“ Das ist | |
nun anders. In Tokio ist eine Medaille ganz klar das Ziel. Ohne Zuschauer, | |
das sei natürlich schade. Dafür live im deutschen Fernsehen. Das begeistert | |
Thiede, das Team und Cheftrainer Günther, der sagt: „Das macht das fehlende | |
Publikum ein bisschen wett.“ | |
24 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Rohlfing | |
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