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# taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Späti-Gemeinschaft sucht Zuhause
> Dem Späti in der Raumerstraße 6 wurde vor einem Jahr gekündigt. Nun
> organisieren Anwohner*innen ein Kiezfest, um daran zu erinnern.
Bild: Hier war mal der Späti in der Raumerstraße 6 zu finden, das Geschäft…
Berlin taz | Sarah und Rike sitzen auf einer Bank am Helmholtzplatz, sie
nennen sie Beobachterbank: Die Ecke Lychener-/Raumerstraße hat man von hier
aus perfekt im Blick, den ehemaligen Späti an der Raumerstraße 6 auch.
Sarah und Rike – ihre Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung lesen –
sind zwei von rund 60 Leuten, die sich damals, [1][vor über einem Jahr,
zusammenschlossen], um für den Erhalt dieses Spätis zu kämpfen. Ohne
Erfolg.
Nun steht die Ladenfläche seit über einem Jahr leer. Farbbomben und
Streetart zieren die rote Fassade im Erdgeschoss des sanierten Altbaus in
Prenzlauer Berg, die Fenster sind milchig angestrichen und mit Stickern
übersät.
Die Gruppe, die sich um den Späti herum gründete, gibt es immer noch.
Diesen Samstag erinnert sie mit einem Straßenfest und Kundgebung auf der
Raumerstraße an ihren Späti. Genau ein Jahr nach dem ersten Straßenfest der
Gruppe. „Kiezkultur erhalten!“ ist der Claim. Es wendet sich gegen
Gentrifizierung und Verdrängung.
Ein Blick zurück: Am 20. August 2020 war der Späti Raumer6 nach der
Kündigung wegen eines Formfehlers im Mietvertrag ausgezogen – vier Jahre,
nach dem Spätibetreiber Özgür Şimşek ihn unterschrieben hatte. Die Enkelin
der Hauseigentümerin war innerhalb des Hauses umgezogen, ihre neue Wohnung
lag nun im vierten Stock über dem Späti, erzählt Şimşek. Sie solle sich vor
allem am Lärm gestört haben, genau weiß er das nicht, weil sie nicht mit
ihm reden wollte.
## Wehmütige Erinnerungen an den Laden
Die Anwohner*innen aus der Gegend rund um den Helmholtzplatz nahmen
das nicht einfach so hin. Sie organisierten sich unter dem Claim „Raumer6
bleibt“, suchten nach Alternativen und Möglichkeiten, den Späti doch noch
zu erhalten. Es hat nicht geklappt, auch das Vermittlungsangebot eines
Lokalpolitikers schlugen Eigentümerin und Enkelin aus, sagen Rike und
Sarah.
Wehmütig erzählen sie von ihrem Späti, der für sie sehr viel mehr war als
nur ein Geschäft, in dem sie Tabak, Bier oder Süßigkeiten kauften. Sarah
lebt im Prenzlauer Berg, seitdem sie sechs Jahre alt ist: „Ich hab meine
erste Bravo in dem Späti gekauft. Irgendwann mein erstes Bier und meinen
ersten Tabak.“ Jede*r sei in diesem Späti willkommen gewesen, niemand
hätte dort länger alleine gesessen. Das klingt weniger nach einem Späti,
sondern mehr nach einer sozialen Begegnungsstätte.
Verantwortlich für diese Atmosphäre war Özgür Şimşek. Fünf Jahre lang ha…
er den Späti betrieben, davor war es sein Cousin gewesen. Şimşek klingt vor
allem enttäuscht: „Was mir passiert ist, soll niemand anderem passieren.
Ich hoffe, dass der Kiez da zusammenhält.“ Auch für ihn waren seine
Kund*innen wie eine Familie, sagt er.
Nach der Schließung des Spätis war Şimşek zehn Tage im Krankenhaus wegen
einer Bauchspeicheldrüsenentzündung – „durch den Stress“. Heute ist er
Hartz-IV-Empfänger. Obwohl Şimşek nicht am Helmholtzplatz wohnt, ist er
immer noch mehrmals in der Woche in der Gegend und trifft seine
Späti-Familie.
## Geburtstagsfeier im Späti
Sajid gehört dazu, er zeigt ein Foto von Şimşeks Geburtstag: Im
Verkaufsraum ist ein Büfett aufgebaut, der Geburtstagskuchen hat die Form
einer Sonne, mit dem Gesicht von Şimşek als Sonnengesicht. Weil er alle
immer „Sonne“ genannt habe, erzählt Sajid.
Er selbst war jeden Tag im Späti, „die Leute dachten, ich hätte da
gearbeitet, jetzt drehe ich auf dem Platz meine Runden“. Sajid guckt, ob
jemand da ist, den oder die er kennt, so kommt er spontan zum Interview
dazu, und das, obwohl er in Pankow wohnt. Aber der Helmholtzplatz bietet
nicht den gleichen sozialen Raum wie der Späti.
Gerade wegen der in ganz Berlin stattfindenden Aufwertungs- und
Gentrifizierungsprozesse habe der Späti eine besondere Stellung im Kiez
gehabt: Kostet ein Latte Macchiato im neu eröffneten Café schräg gegenüber
3,80 Euro, gab es im Kiosk auch eine Mate für 1,20 Euro. Man hört durch,
dass das „Raumer6 bleibt“ zufolge zum Teil an einem Publikum liegt, das
bereit ist, solche Preise zu zahlen.
Aber auch an den hohen Mieten, erklärt Sarah: „Wir hatten noch fünf Monate
lang Hoffnung, dass wir was finden. Etwas, das dem Betreiber vom Späti die
Lebensgrundlage sichert und für uns trotzdem einen Ort bewahrt, wo man
miteinander in Austausch treten kann.“ Sie fanden nichts. Dass das
Ladenlokal vom Späti immer noch leer steht, macht das nur bitterer.
Die Geschichte von „Raumer6 bleibt“ ist symptomatisch für den Prenzlauer
Berg und ganz Berlin. „Jeder Kiez hat einen ganz bestimmten Vibe, und der
wird nach und nach kaputt gemacht“, sagt Sarah. Deswegen wird es beim
Straßenfest nicht nur um den Helmholtz-Kiez gehen. Auch Vertreter*innen
anderer Kiez-Initiativen sollen zu Wort kommen. Sarah gibt sich
kämpferisch: „Es geht darum, das zu verteidigen, was noch da ist. Sonst
wird’s irgendwann einfach pupslangweilig auf der Straße sein.“
14 Aug 2021
## LINKS
[1] /Gentrifizierung-in-Berlin/!5702442
## AUTOREN
Cristina Plett
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