| # taz.de -- Debatte um Spätis und Lärmbelästigung: In erster Linie eine Klas… | |
| > Im Bezirk Pankow gibt es Aufregung um Spätis, deren Gäste zu laut sind. | |
| > Ein Außenbestuhlungsverbot für Spätverkäufe aber kann nicht die Lösung | |
| > sein. | |
| Bild: Und ewig lockt der Späti … | |
| Gibt es so etwas wie eine Berliner Leitkultur, dann gehören Spätis ganz | |
| sicher dazu. Da verwundert es nicht, dass aus nahezu allen politischen | |
| Lagern Leute laut schreien, wenn es den Spätverkäufen – wie jetzt im | |
| beschaulichen Bezirk Pankow, zu dem der noch beschaulichere Ortsteil | |
| Prenzlauer Berg gehört – an den Kragen geht. Manche haben Angst um ihre | |
| Nachbarschaftstreffs. Andere um billige Orte zum bis spät in die Nacht | |
| abhängen, Musik hören, Bier saufen, quatschen und lachen. Wer kann’s ihnen | |
| verdenken. | |
| Auf der anderen Seite stehen dann die, die schnell als „Spaßbremsen“ | |
| gecancelt werden, wenn sie freundlich oder weniger freundlich um Ruhe | |
| bitten. Die als Spießbürger gelten, wenn sie sich sauberere Kieze wünschen | |
| und sich echauffieren über ein bisschen Urin im Vorgarten. „Zieh doch weg, | |
| wenn’s dich stört!“ wird ihnen dann entgegnet – oder: „So ist Berlin h… | |
| Und irgendwie stimmt auch das. Berlin, besonders in seinen inneren | |
| Bezirken, ist lebendig, pulsierend und noch so vieles schöne mehr; aber | |
| eben auch laut, dreckig, konfliktreich und kompromissbedürftig. Viele | |
| Menschen prallen hier aufeinander, mit unterschiedlichen Interessen, | |
| Geschichten und Möglichkeiten. | |
| Dass das so ist, ist aber eigentlich kein gutes Argument dafür, dass sich | |
| in Berlin nichts ändern darf. Sicher sollten die, die Ruhe wollen, sie auch | |
| bekommen können. Und natürlich sollten Hauseingänge frei von Bierflaschen, | |
| Kippenschachteln, anderem Müll und Urin sein. | |
| ## Gesellschaftliche Schieflagen | |
| Wenn sich – [1][wie jetzt im Fall der Pankower Spätis] – Anwohner*innen | |
| über Lautstärke und Feierrückstände empören und politisch Verantwortliche | |
| mit Verboten für die Betreiber*innen reagieren, drohen sich jedoch | |
| bestehende gesellschaftliche Schieflagen zu verschärfen. Denn die Frage | |
| nach der Außenbestuhlung von Spätverkäufen ist in erster Linie eine | |
| Klassenfrage. Und sie betrifft ganz besonders Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte. | |
| Eine Spätimiete kostet schnell ein paar tausend Euro im Monat. Ein Abend, | |
| an dem Tische und Bänke schon um 22 Uhr reingeräumt werden müssen, kann den | |
| Verlust mehrerer hundert Euro bedeuten. Im Monat also auch ein paar | |
| tausend. Das ist die halbe Miete, könnte man sagen. Für manche vielleicht | |
| sogar die ganze, abhängig von Wetter, Personalkosten etc. | |
| Viele Spätibetreiber*innen lassen ihre Bänke und Tische also nicht | |
| draußen stehen, weil ihnen die Nachbar*innen egal sind. Und auch nicht, | |
| weil ihnen das Aufräumen vor ihren Läden bis nachts um 3 oder 4 Uhr | |
| besonders viel Spaß macht. Sie sind schlicht und ergreifend auf die Umsätze | |
| angewiesen. Tische und Bänke frühzeitig einräumen oder gar nicht aufbauen – | |
| das müssen sie sich leisten können. | |
| In der Konsequenz bedeutet das: Wer für ein ruhigeres Berlin ein | |
| Außenbestuhlungsverbot für Spätis fordert oder politisch durchzusetzen | |
| versucht, macht das vor allem auf dem Rücken derjenigen, die in Berlin | |
| ohnehin schon strukturell benachteiligt sind: Menschen mit | |
| Migrationsgeschichte, die seltener Zugang zu gutbezahlten Jobs haben und | |
| besonders stark unter Verdrängungsmechanismen der Stadt, wie explodierenden | |
| Mieten, leiden. | |
| Für eine gerechtere, postmigrantische Stadtgesellschaft von morgen kann ein | |
| Außenbestuhlungsverbot für Spätverkäufe also keine Lösung sein. Politische | |
| Lösungen für verständliche Konflikte um Sauberkeit, Lautstärke, Freizeit- | |
| und Einkommensmöglichkeiten müssen, so viel wird hier klar, die engen | |
| Verflechtungen von Klassenverhältnissen und strukturellem Rassismus | |
| mitdenken. Sonst lösen sie die Probleme der Einen zulasten der Anderen. | |
| Ein Schuh wird anders daraus. Im Zusammendenken der Probleme können sich | |
| solidarische Lösungen ergeben. Sinkende Gewerbemieten scheinen ein sozial | |
| gerechter Schlüssel für kürzere Späti-Öffnungszeiten zu sein. Wer sich | |
| ruhigere Kieze wünscht, sollte sich in Zukunft also noch konsequenter für | |
| die [2][Enteignung großer Immobilienkonzerne] starkmachen. | |
| 29 Jul 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Bachmann | |
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