# taz.de -- Bundeswehrmandat für Afghanistan: Manche haben Pech gehabt | |
> Nach der Machtübernahme in Afghanistan wirft die Opposition der | |
> Bundesregierung Versagen vor. Es hätten früher mehr Menschen gerettet | |
> werden müssen. | |
Bild: Luftbrücken-Protest am 17. August 2021 vor dem Bundestag in Berlin | |
Die Hektik ist groß, aber kommt sehr spät. Für viele Afghan:innen wohl | |
zu spät. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Mandatsantrag für den seit | |
Montag laufenden Evakuierungseinsatz der Bundeswehr beschlossen. Demnach | |
können bis maximal zum 30. September bis zu 600 Soldat:innen für die | |
Mission eingesetzt werden. | |
Es handelt sich um ein sogenanntes robustes Mandat, das also auch den | |
Einsatz militärischer Gewalt erlaubt, „insbesondere zum Schutz der zu | |
evakuierenden Personen und eigener Kräfte, sowie im Rahmen der Nothilfe“. | |
Wegen „Gefahr in Verzug“ soll die eigentlich im Vorfeld erforderliche | |
Zustimmung des Bundestags dieses Mal nachträglich eingeholt werden, und | |
zwar am kommenden Mittwoch. | |
Als Ziel des Einsatzes wird die „militärische Evakuierung deutscher | |
Staatsangehöriger aus Afghanistan“ genannt. „Im Rahmen verfügbarer | |
Kapazitäten soll sich die Evakuierung auch auf Personal der internationalen | |
Gemeinschaft sowie weitere designierte Personen, inklusive besonders | |
schutzbedürftige Repräsentantinnen und Repräsentanten der afghanischen | |
Zivilgesellschaft, erstrecken“, heißt es in dem Beschluss weiter. | |
Zu diesen „weiteren designierten Personen“ zählt die Bundesregierung neben | |
Ortskräften, die direkt bei deutschen Institutionen beschäftigt waren, und | |
ihren Familien auch Mitarbeiter:innen von NGOs, der Entwicklungshilfe | |
sowie Menschenrechtsaktivist:innen und Frauenrechtler:innen | |
samt Angehörigen. Nicht einbezogen in den Kreis sind hingegen afghanische | |
Helfer:innen, die über Subunternehmen für deutsche Stellen gearbeitet | |
haben. Sie würden „nicht unter dieses Verfahren fallen“, sagte der Sprecher | |
des Bundesinnenministeriums, Marek Wede, am Mittwoch in der | |
Bundespressekonferenz. [1][Sie haben also Pech gehabt.] | |
## Das Nadelöhr sind die Taliban | |
Aber auch für den Kreis der Auserkorenen wird es mehr als eng. Das riesige | |
Problem: Der Großteil der Menschen, die die Bundesregierung evakuieren | |
will, befindet sich nicht auf dem Kabuler Flughafen, sondern im Stadtgebiet | |
von Kabul – oder sogar außerhalb. „Es ist so, dass wir nur in Kabul die | |
Möglichkeit haben, Menschen auszufliegen, und auch dort nur, wenn sie es | |
zum Flughafen schaffen“, sagte Außenamtssprecher Burger. | |
Wer es also nicht alleine mehr nach Kabul geschafft hat, hat ohnehin keine | |
Chance. Und für die anderen sieht es nur unwesentlich besser aus, wenn sie | |
nicht bereits am Flughafen sind. Denn die Taliban haben einen Ring aus | |
Sicherheitsposten um den Flughafen gelegt und lassen nur Leute mit | |
internationalen Pässen durch. Es sei durchaus möglich, dass es vielen gar | |
nicht erst gelinge, bis zur deutschen Sammelstelle am Flughafen „überhaupt | |
zu gelangen“, musste Burger einräumen. | |
So wird es in der Realität nur ein Bruchteil schutzbedürftiger | |
Afghan:innen in die Bundeswehrflieger schaffen. Wenn Bundesländer nun | |
Aufnahmeprogramme verkünden, wie etwa Nordrhein-Westfalen unter Armin | |
Laschet, mit der Ankündigung, dass 1.000 zusätzliche Plätze für | |
[2][engagierte Frauen aus Afghanistan] bereitgestellt werden sollen – dann | |
muss man immer im Blick haben: Das Nadelöhr sind die Taliban. Der deutsche | |
Botschafter in Kabul, Markus Potzel, ist zwar nun in die katarische | |
Hauptstadt Doha gereist, um mit ihnen über Ausreisemöglichkeiten zu | |
verhandeln. Doch die Aussichten sind mehr als ungewiss. | |
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sprach | |
von einem „Drama“ und einer „Katastrophe“. Die derzeitigen Rettungsakti… | |
vom Kabuler Flughafen könnten nur stattfinden, „weil die Taliban es noch | |
dulden – und nur sofern die Taliban es dulden“, sagte der | |
CDU-Bundestagsabgeordnete am Rande einer Sondersitzung des Auswärtigen | |
Ausschusses am Mittwoch. Er erkenne auch nicht, was in Gesprächen mit den | |
Taliban „das Druckinstrument des Westens“ sein könnte. | |
## „Es ist eine Schande“ | |
Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid | |
Nouripour. „Jede Verhandlung mit den Taliban ist jetzt in einer Situation, | |
in der [3][die Taliban das Sagen haben]“, sagte er. Ohne einen hohen Preis | |
würden die Taliban niemanden mehr aus der afghanischen Bevölkerung in den | |
Kabuler Flughafen hineinlassen. Nouripour warf der Bundesregierung ein | |
„Komplettversagen“ vor. „Das wäre alles vermeidbar gewesen, wenn die | |
Bundesregierung rechtzeitig gehandelt hätte“, empörte er sich. | |
„Merkel und Maas haben zwar angekündigt, den zu rettenden Personenkreis | |
auszuweiten“, sagte der Europaabgeordnete Erik Marquardt der taz. „Aber es | |
gibt einen riesigen Gap zwischen der Ankündigung und der Realität.“ Er | |
bekomme viele Nachrichten von NGO-Mitarbeiter:innen und anderen, die in | |
Kabul festsäßen und nicht weiterwüssten. „Das Auswärtige Amt antwortet | |
nicht auf Mails, die Leute werden von einer Telefonnummer zur anderen | |
verwiesen.“ | |
Statt Pragmatismus herrsche deutsche Beamtenmentalität, kritisiert | |
Marquardt. „Die Rettungsaktion muss unbürokratisch laufen.“ Die Bundeswehr | |
müsse mehrere hundert Leute, die in Kabul durch die Taliban-Posten kämen, | |
zum Flughafen ordern. Dort könnten jene versorgt und dann peu a peu | |
ausgeflogen werden. | |
Es brauche einen Puffer, so Marquardt, damit die Flugzeuge immer voll | |
seien. „Im Zweifel müssen schutzsuchende AfghanInnen mitgenommen werden, | |
die schon am Flughafen ausharren. Kein Platz darf leer bleiben.“ Am | |
Montagabend war eine A400M mit nur sieben Evakuierten an Bord aus Kabul | |
abgeflogen. | |
„Es ist eine Schande, dass nach wochenlanger Untätigkeit und Blockade jetzt | |
Tausende Helferinnen und Helfer in dem von den Taliban kontrollierten | |
Afghanistan im Stich gelassen werden und um ihr Leben bangen müssen“, | |
kritisierte Sevim Dağdelen, Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen | |
Ausschuss. | |
Bis Mittwochmittag hatte die Bundeswehr 450 Menschen ausgeflogen: 189 | |
Deutsche, 59 Angehörige von anderen EU-Staaten und 51 Angehörige anderer | |
Staaten. Platz gefunden haben zudem 202 Afghan:innen, neben | |
Familienangehörigen von Deutschen auch einige Ortskräfte. | |
18 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Ulrich Schulte | |
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