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# taz.de -- Hochwasser in Sachsen: Erst die Flut, dann der Papierkrieg
> Sachsen hat in den letzten 20 Jahren drei Hochwasser hinter sich. Was auf
> die Menschen im Rheinland und Eifel noch alles zukommen kann.
Bild: So war es 2002 in Weesenstein: Eine Familie in den Trümmern ihres Hauses
Dresden taz | „Kenne ich“, mag es einigen in Sachsen angesichts der
schrecklichen Bilder aus dem [1][Rheinland] und der Eifel herausgerutscht
sein. Die Verwüstungen sind hier wohl noch schlimmer als die der
[2][Hochwasser von 2002, 2010 und 2013] im Osterzgebirge, an der Neiße und
an der Elbe. Die Erfahrungen in Sachsen lassen aber auch ahnen, was den
Opfern in Westdeutschland noch bevorsteht, wenn ihre grundlegenden
Existenzbedingungen wiederhergestellt sind. Die Erfahrungen zeigen:
Wiederaufbau, Schadensregulierung, technischer und natürlicher
Hochwasserschutz und die politische Aufarbeitung werden wohl Jahrzehnte
dauern.
Röderau-Süd in der Elbaue östlich von Riesa ist der sächsische Ort, an dem
die striktesten Konsequenzen aus der Flut im August 2002 gezogen wurden.
Kein Ziegel, nicht einmal eine Gedenktafel ist geblieben von der erst in
den 1990er Jahren errichteten Siedlung mit 415 Bewohnern, einer Bäckerei,
einer Autoreparatur und einem Fuhrunternehmen.
Damals staute sich das Elbwasser an einem zum Damm verdichteten ehemaligen
Eisenbahnviadukt, die Häuser in Röderau-Süd standen teils bis zum Giebel in
den Fluten. In der DDR war dieses Gebiet bereits als
Hochwasser-Überflutungsgebiet ausgewiesen worden.
Doch dann brach der unaufhaltsame Fortschritt aus. Die Gemeinde Röderau
versprach sich von einem Wohn- und Gewerbegebiet den Aufschwung Ost, das
CDU-geführte Umweltministerium setzte sich über das Umweltfachamt hinweg.
[3][40 Millionen Euro] kostete die vollständige Beseitigung der
Aufbau-Ost-Sünde, die Umsiedlung und Entschädigung der Bewohner.
## Jahre für Wiederherstellung einer Schmalspurbahn
Eine Vorstellung von der Wiederherstellungsdauer der Infrastruktur
vermittelt der Fall der dienstältesten deutschen Schmalspurbahn von
Freital-Hainsberg hinauf nach [4][Kipsdorf] im Osterzgebirge. Die
vorwiegend von Touristen genutzte Weißeritztalbahn verläuft hauptsächlich
entlang der Roten Weißeritz.
Deren Welle nach 300 Litern Niederschlag pro Quadratmeter auf dem
Osterzgebirgskamm richtete am 12. August 2002 unten in Dresden die meisten
Verheerungen an. Dem Liebhaber solcher Traditionsbahnen blutete angesichts
in die Luft ragender Gleisfragmente neben der gleichfalls auf Hunderten
Metern weggerissenen Bundesstraße 170 das Herz. Es dauert sechs Jahre, bis
die Weißeritztalbahn wieder bis Dippoldiswalde fuhr. Erst 2017 erreichte
man die Endstation Kipsdorf in den romantischen Wagen wieder.
Weesenstein im Müglitztal machte 2002 mit einer zu Herzen gehenden
Geschichte Schlagzeilen. Vater Heiko Jäpel mit zwei Kindern und der
Großmutter konnten erst nach 13 Stunden mit dem Hubschrauber von der
einzigen stehen gebliebenen Mauer ihres Hauses gerettet werden. Die Müglitz
schoss geradeaus durch den Ort, und hinterließ eine Schneise aus braunem
Schlamm, wo zuvor Häuser gestanden hatten.
## Geschädigter redet sich in Rage
„Wie Meereswellen kam es damals das Tal herunter“, erinnert sich ein
Bewohner. Seinen Namen möchte der Sachse, der ironischerweise eine
Abrissfirma betreibt, nicht nennen. Denn die Beseitigung der Trümmer war
eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem bis heute andauernden Krieg mit der
Bürokratie um eine finanzielle Entschädigung in Höhe von geschätzt rund
400.000 Euro. Der Mann, der schon damals über eine
Elementarschadenversicherung verfügte, redet sich in Rage.
Im Bermuda-Dreieck zwischen plötzlich pleitegegangener Versicherung,
Hausbank und Sächsischer Aufbaubank ging er beinahe unter. Zehn Briefe
wegen der Soforthilfe für sich und seine 23 Firmenmitarbeiter habe er
vergeblich geschrieben. Drei Tage vor dem ersten Jahrestag der Flut, als
zahlreiche Kamerateams gerade in Weesenstein erwartet wurden, war das Geld
plötzlich auf dem Konto. Geschichten von verweigerten Krediten,
Vollstreckungsbefehlen über 100.000 Euro und Stundungsvereinbarungen
verwirren den Zuhörer. Jedenfalls muss dieser Weesensteiner bis heute
monatlich 120 Euro an die Sächsische Aufbaubank zurückzahlen. „Ich habe das
Hochwasser überstanden, nicht aber die SAB“, resümiert er trocken.
Zahlen der Sächsischen Aufbaubank zeigen, dass jeder vierte Antrag auf
Hilfsgeld nach 2002 mit Ablehnung oder sogar Rückforderung wegen
unzureichender Verwendungsnachweise beschieden wurde. Nach der Flut 2013
sank dieser Anteil auf ungefähr 2 Prozent.
Immer noch laufen 20 Widerspruchs- und Klageverfahren, für 2002 sind es
noch drei. Die Auszahlung von einigen Förderungen stünde aber teilweise
immer noch aus, räumt ein Sprecher der Aufbaubank ein. Insbesondere bei
Infrastrukturmaßnahmen macht er dafür Planungsabstimmungen, Genehmigungen,
Kapazitätsengpässe von Baufirmen und coronabedingte Verzögerungen
verantwortlich.
## Kampf mit den Ämtern
Nicht nur den auch im Westen bevorstehenden Kampf mit den Ämtern kann man
im sächsischen Weesenstein erahnen. Die Einwohner, die man in diesen Tagen
antrifft, sind ebenso klug wie der Fachbereichsleiter Wasserwirtschaft in
der Sächsischen Landestalsperrenverwaltung, Eckehardt Bielitz. „Es gibt
keinen Hochwasserschutz“, sagen beide in fast wörtlicher Übereinstimmung.
Man dürfe den Bürgern solche trügerischen Sicherheiten nicht suggerieren.
Wer hier einfach weiter wohnen will, hat sich mit der latenten Gefahr
arrangiert. „Der Mensch lebt in der Natur“, sagt Bielitz, deshalb könne man
die Risiken auch heute nur besser einschätzen, minimieren und die Folgen
reduzieren. Warum hat Sachsen mit Bundeshilfe dann in zwei Jahrzehnten
insgesamt 3,6 Milliarden Euro in die Hochwasservorsorge investiert?
Was sinnvoll ist, wird wohl getan. Von der Staatsregierung in Auftrag
gegebene externe Gutachten bestätigten 2010 beispielsweise eine
Verbesserung der Alarmsysteme, wobei etwa auf DDR-Relikte wie Sirenen viel
mehr zurückgegriffen werden kann als im Westen. 2013 lobte der sogenannte
Kirchbach-Bericht ebenfalls diese Strategie. Das seit 2019 vom Grünen
Wolfram Günther geführte Umweltministerium setzt mehr als bisher auf
natürlichen Schutz durch Ausbreitungsflächen und Deichrückverlegungen, die
freilich nur im Flachland sinnvoll sind.
Damit aber hat Eckehardt Bielitz zähneknirschend seine Erfahrungen gemacht.
Wenn es um Ackerland oder Privatgrundstücke ging, waren zähe Verhandlungen
mit den Eigentümern nötig. Oft brach erst das nächste Hochwasser deren
Blockade. Die langen Genehmigungsverfahren für Schutzbauwerke wegen der
komplizierten Rechtssicherheit kommen hinzu.
Bielitz hält es auch für fahrlässig, das Gebiet hinter einem erhöhten Deich
nicht mehr als Hochwasserschutzgebiet zu bezeichnen und eifrig Häuser zu
bauen. Auch solche Konflikte stehen den westdeutschen Katastrophengebieten
bevor. Ebenso kann eine Anpassung der Fach- und Rechtsgrundlagen wie die
Novelle des Sächsischen Wassergesetzes erwartet werden.
Immerhin: 19 Jahre nach der Flut von 2002 sind heute drei Viertel der
geplanten Präventionsmaßnahmen in Sachsen umgesetzt worden. Nach wie vor
wird lokal gebaut, auch in der Landeshauptstadt Dresden. Der Starkregen vom
17. Juli dieses Jahres hat hier nur vergleichsweise geringe Schäden
angerichtet. Die Anpassung an die erhöhten Risiken durch die Erwärmung der
Atmosphäre aber sei eine „Generationenaufgabe“, heißt es aus dem
sächsischen Umweltministerium. Diese steht auch den Katastrophengebieten in
der Eifel und am Rhein bevor.
18 Aug 2021
## LINKS
[1] /Von-Flutkatastrophe-betroffener-Kreis/!5793945
[2] /Hochwasserbilanz-2013-in-Deutschland/!5064770
[3] https://www.lr-online.de/nachrichten/wie-sachsen-zu-seiner-teuersten-wiese-…
[4] /Archiv-Suche/!1092342&s=kipsdorf&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Michael Bartsch
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