| # taz.de -- Neuer Roman von Autor Peter Buwalda: Die Spur führt zu Tromp | |
| > Mit Lust am Abgründigen erzählt der Niederländer Peter Buwalda seinen | |
| > Roman „Otmars Söhne“. Es geht um Erdöl, Sex und ein Wunderkind am | |
| > Klavier. | |
| Bild: In Peter Buwaldas Roman kommen viele Szenen wie aus einem David-Lynch-Set… | |
| Die erste Besonderheit dieses Romans liegt in der Kapitelnummerierung. Mit | |
| der Nummer 111 beginnt das Buch, und es endet mit der 75. Peter Buwalda, | |
| der Autor, zählt herunter, und er zeigt direkt mal an, dass nach mehr als | |
| 600 Seiten noch lange nicht Schluss ist. Denn „Otmars Söhne“ ist der | |
| Auftaktband einer Trilogie, an der Buwalda arbeitet, und so wie der | |
| Kapitel-Countdown ist auch das Leseerlebnis: Scheibchenweise breitet der | |
| Autor die Geschichte vor einem aus, gibt Seite um Seite ein bisschen mehr | |
| preis und flicht dabei gern absurde Volten ein, von denen man manche ganz | |
| sicher nicht vergisst. | |
| Im Zentrum der Handlung steht Ludwig Smit. Ludwig Smit lebt in Rijswijk bei | |
| Den Haag, er ist Mitarbeiter des Shell-Konzerns. In dieser Funktion reist | |
| er ins russische Sachalin, sein Job ist es, mittels seismischer Sprengungen | |
| die Erdölvorkommen zu vermessen. Während dieser Dienstreise rollt er seine | |
| Biografie auf: Seinen biologischen Vater hat Ludwig nie kennengelernt, | |
| aufgewachsen ist er mit seiner Mutter, seinem Stiefvater Otmar und seinen | |
| Stiefgeschwistern Tosca und Dolf in Venlo. | |
| Die Mutter der beiden ist gestorben, als sie klein waren, mehr erfährt man | |
| zunächst nicht. Ludwig trug selbst einmal den Namen Dolf, doch weil sein | |
| Stiefbruder, ein Wunderkind am Klavier, dem eine große Karriere | |
| bevorzustehen scheint, ebenfalls diesen Namen trägt, taufte die Familie ihn | |
| schließlich in Ludwig um. | |
| Dass sein leiblicher Vater eine nicht unwesentliche Rolle in der Handlung | |
| spielen könnte, ist vom ersten Satz des Romans an klar: „Mit dem, was | |
| Psychiater für ein stattliches Honorar Vatersuche nennen, hat es nichts zu | |
| tun; Dolf sucht nichts, und er vermisst auch nichts, als in ihrer Wohnung | |
| in der Geresstraat ein Mann auftaucht, zu dem er noch im selben Jahr ‚Papa‘ | |
| sagt, obwohl er doch bereits ein zehnjähriger Junge ist.“ Ein erster Satz, | |
| so kurios wie vieles, was in dieser Geschichte passiert. | |
| ## Informationen über Öl-Deals | |
| Man folgt Ludwig Smit durch seinen Lebenslauf, derweil die Personen, die im | |
| weiteren Geschehen Schlüsselfiguren sein sollen, seinen Weg kreuzen. Da | |
| wäre Isabelle Orthel, seine Mitbewohnerin zu Studienzeiten. Isabelle ist | |
| inzwischen Investigativjournalistin und schreibt über Big Oil, ausgerechnet | |
| in dieser toten Ecke Russlands trifft er sie wieder. Dort lernt Ludwig auch | |
| den Shell-CEO Johan Tromp kennen. Als er dessen Vita nachrecherchiert, | |
| kommt er zu dem Schluss, dass Tromp sein biologischer Vater sein könnte. | |
| Isabelle wiederum ist Tromp auf den Fersen, sie ist ihm Jahre zuvor schon | |
| nach Nigeria gefolgt, um an Informationen über Öl-Deals zu kommen – an die | |
| sie schließlich über eine sexuelle Affäre gelangt. Es läuft schließlich auf | |
| einen Showdown mit Isabelle Orthel und Johan Tromp heraus. | |
| Schwierige (sexuelle) Beziehungen und fehlende Bindungen ziehen sich dabei | |
| durch die Handlung, auch das Verhältnis Ludwigs zu seiner Verlobten | |
| Juliette scheint von grundlegenden Missverständnissen und verschiedenen | |
| Auffassungen geprägt zu sein. Als Ludwig im Flieger sitzt, blättert er in | |
| dem Buch „Gewaltfreie Kommunikation“, das sie ihm geschenkt hat. Später | |
| schmeißt er es weg. | |
| Peter Buwalda ist in seiner niederländischen Heimat ein bekannter Autor, | |
| sein im Jahr 2010 erstveröffentlichtes [1][Debüt „Bonita Avenue“] hat sich | |
| rund 350.000 Mal verkauft und wurde mit mehreren niederländischen | |
| Literaturpreisen ausgezeichnet. Der 49-Jährige lebt in Amsterdam und ist | |
| zudem Kolumnist der Tageszeitung de Volkskrant. | |
| ## Macht und Eros | |
| Schon in „Bonita Avenue“ hat er genüsslich bürgerliche Fassaden einstürz… | |
| lassen, darin ging es um einen gut beleumundeten Universitätsrektor, dessen | |
| Sohn gewalttätig ist und dessen Stieftochter mit ihrem Mann ins | |
| Porno-Business eingestiegen ist. Die Figur Isabelle hat Buwalda schon | |
| damals auftauchen lassen. Wie in seinem ersten Buch geht es auch nun wieder | |
| um eine Familie, die aus Kalifornien zurückgekehrt ist. | |
| „Otmars Söhne“ ist einerseits ein psychologischer Roman, er trägt auch Z�… | |
| eines Wirtschaftskrimis; das übergeordnete Thema ist dabei Macht und Eros. | |
| Buwalda liebt es erkennbar, verschiedene Erzählstränge aufzufächern und sie | |
| auszubreiten, Spuren zu legen, Bezüge anzudeuten. Da wären etwa Isabelles | |
| Lektüre von Marquis de Sade und die sexuellen Spiele, die sie mit Tromp | |
| treibt. Sie liest unter anderem De Sades „Juliette oder Die Wonnen des | |
| Lasters“, Ludwigs Verlobte heißt ebenso Juliette. Auch auf die Geschichte | |
| von Héloise und Abélard (so heißen zwei Figuren) verweist Buwalda. | |
| Am deutlichsten wird das Spiel mit den Namen und Zeichen bei der | |
| Entwicklung des Charakters von Klavier-Wunderkind Dolf Appelqvist – ihm | |
| dichtet Buwalda eine psychische Störung an, die ihn glauben lässt, er sei | |
| Beethoven. Und Dolf behauptet, er habe den fehlenden dritten Satz aus | |
| Beethovens letzter Klaviersonate Opus 111 gefunden. Wir erinnern uns: 111 | |
| Kapitel, ein Protagonist namens Ludwig. | |
| ## Gelegentlich etwas überkandidelt | |
| Solche Spielereien mag Buwalda, auch „Tromp“ und „Trump“ trennt nur ein | |
| Buchstabe. Ob sie am Ende wirklich alle aufgehen und Sinn ergeben, das weiß | |
| wohl derzeit nur der Autor. In Teil eins wirkt es gelegentlich etwas | |
| überkandidelt. | |
| Die Lust am Erzählen und Entwickeln von Figuren aber, die springt einem | |
| ständig entgegen – ein Grund dafür, warum man diesen Roman sehr gerne | |
| liest. Auch wie Buwalda Fieses, Abgründiges und Katastrophisches erzählt, | |
| ist toll; Otmars erste Frau Selma Appelqvist, mit der er in Los Angeles | |
| zusammengelebt hatte (und „die Tosca und Dölfchen immerhin einen | |
| Künstlernamen zum Reinbeißen hinterlassen hatte“), stirbt etwa plötzlich | |
| beim Kindergeburtstag ihrer Tochter Tosca, während diese Mätzchen mit | |
| Glibberschleim macht. | |
| „Es sah so aus, als führte Selma eine Nummer auf, die sich an die von Tosca | |
| anschloss: Sie ließ sich vornüberfallen, erst auf beide Ellenbogen und dann | |
| mit dem Gesicht auf den Teller, auf dem ihr Cupcake gestanden hatte. […] | |
| Von einem Moment auf den anderen habe er mit einem Dutzend brüllender | |
| Kinder und einer toten Frau am Tisch gesessen. Schrecklich. Aber gut, | |
| darüber habe er eigentlich gar nicht so viel reden wollen, der | |
| katastrophale Tag sei schließlich wie jeder andere vorübergegangen […]“. | |
| Wie ein David-Lynch-Setting kommen Szenen wie diese daher. | |
| Beziehungsgeflechte in Dialoge und Handlung zu übersetzen, darin ist | |
| Buwalda gut. Darüber erschließen sich die Figuren, dadurch gewinnen sie | |
| Profil; weniger, indem der Erzähler aus Innensicht erzählt. Die Dramaturgie | |
| in „Otmars Söhne“ ist ebenfalls klasse, Cliffhanger beherrscht der Autor | |
| ganz sicher. Die überbordende Ideenfülle, die einen als Leser manchmal | |
| anstrengen kann, verzeiht man dem Autor deshalb – denn es gelingt ihm, | |
| einen tief in diesen schrägen, sinistren Handlungskosmos hineinzuziehen. | |
| 10 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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