# taz.de -- Politische Athleten bei Olympia: Fragen des Erlaubten | |
> Das IOC gibt politischen Protesten mehr Raum, delegiert aber die | |
> Verantwortung an die Sportverbände. Das sorgt für Unsicherheit unter den | |
> Sportlern. | |
Bild: Will sich die Faust nicht verbieten lassen: Gwen Berry | |
Tokio taz | Der Anfang ist bereits vor der Eröffnungsfeier der Olympischen | |
Spiele in Tokio gemacht. Politischer Protest in der Miniversion ist | |
olympisch geworden. Vorm Anpfiff des Auftaktspiels des | |
Frauenfußballturniers am Mittwoch gingen die Spielerinnen von | |
Großbritannien und Chile sowie das Schiedsrichterinnengespann im Stadion | |
von Sapporo in die Knie, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. | |
Straffrei möglich ist dies erst Anfang diesen Monats durch die Aufweichung | |
der Regel 50.2 der Olympischen Charta durch das IOC geworden. Denn bislang | |
sah das Regelwerk „keine Art von Demonstration oder politischer, religiöser | |
oder rassistischer Propaganda in den olympischen Stätten“ vor. | |
Bei den Sommerspielen in Tokio gilt dieses Gebot zwar nach wie vor während | |
der Wettkämpfe, Siegerehrungen, Eröffnungs- und Schlussfeier, aber kurz vor | |
und nach Anpfiff der Wettbewerbe hat das IOC nun ein kleines Zeitfenster | |
für politische Bekenntnisse geschaffen. Im Rahmen der olympischen Werte, | |
wie es beim IOC heißt, dürften [1][die Athlet:innen sowieso ihre | |
Meinungen vor den Medien kundtun]. | |
Das neue Zeitfenster genutzt haben am Mittwoch in Tokio auch die zwei | |
knienden Fußballteams aus Schweden und den USA. Die US-Fußballerinnen, die | |
mit der 0:3-Niederlage einen überraschend miesen Start hinlegten, sind, | |
lange bevor [2][das Knien gegen Rassismus bei der Männerfußball-EM] vor | |
wenigen Wochen zum mehrheitsfähigen Protestzeichen wurde, bekannt für ihre | |
Haltung. Früh folgten sie dem Beispiel des US-Footballers Colin Kaepernick, | |
der nach seinem Kniefall 2016 zur Ikone des Athletenprotests wurde. | |
Unterdessen sind derlei Zeichen fast schon Usus geworden im Fußball. Die | |
US-Kapitänin Megan Rapinoe hatte schon Anfang des Jahres dem IOC | |
signalisiert, dass sie sich in Tokio nicht zum Schweigen verdonnern lassen | |
werde. Entscheidend fürs kurzfristige Umschwenken des IOC dürfte die Macht | |
der Fifa gewesen sein, die das Olympiafußballturnier ausrichtet und sich | |
die Proteste der Aktiven auf die eigenen Fahnen schreibt. Gianni Infantino | |
hat seine Unterstützung zugesagt. | |
## Fauler Formelkompromiss | |
Das IOC hat sich für die Sommerspiele aber auf einen konfliktträchtigen | |
Formelkompromiss eingelassen. Grundsätzlich sind Proteste zwar in der | |
beschriebenen Form möglich, entscheidend bei der Auslegung sind aber die | |
Regeln der jeweiligen Sportverbände. So hat der Präsident des | |
Schwimm-Weltverbands, Husain Al-Musallam, vor wenigen Wochen erklärt, dass | |
während der olympischen Wettbewerbe freie Meinungsäußerung möglich sei, | |
aber keine politischen Symbolakte vorm Start. Es entsteht ein | |
Zweiklassenrechtssystem, das zu Reibungen innerhalb der Sportverbände | |
zwischen Funktionär:innen und Sportler:innen führen dürfte, wodurch | |
wiederum das IOC unter Druck kommen könnte. | |
Die Kapitänin der deutschen Hockeynationalmannschaft hat gerade in einem | |
Interview mit der FAZ die unsichere Rechtslage bemängelt. Sie wüsste nicht, | |
welche Sanktionen ihr blühen würden, wenn sie ihre Regenbogenkapitänsbinde | |
wie bei der WM auch in Tokio tragen würde. Sie wisse nicht, wer über sie | |
richten würde, das IOC, der Deutsche Olympische Sportbund oder der | |
Hockey-Weltverband? Ihre Fragen konnte ihr niemand beantworten. Sie fühle | |
sich alleingelassen. Nun teilte der DOSB mit, dass sie mit Regenbogenbinde | |
spielen darf. | |
Die Vorsitzende der IOC-Athletenkommission, Kirsty Coventry, hatte im | |
Frühjahr noch gesagt: „Wir fordern die Kommission für Rechtsangelegenheiten | |
auf, eine angemessene Spannbreite unterschiedlicher Sanktionen vorzulegen, | |
damit jeder weiß, was er bei einem Spielbesuch tun kann und was nicht.“ Mit | |
der aufgeweichten IOC-Regel Anfang Juli ist stattdessen mehr | |
Ungerechtigkeit unter den Athleten und vor allem mehr Unklarheit im | |
Verantwortungsbereich geschaffen worden. Vielleicht ist das ganz bewusst so | |
geschehen. Denn alle müssen im Zweifelsfall mit dem Schlimmsten rechnen. | |
Zu rechnen ist bei diesen Spielen auch damit, dass einige Athletinnen sich | |
gar nicht um die Frage des Erlaubten kümmern werden. Die US-Hammerwerferin | |
Gwen Berry, die auch in Tokio an den Start gehen wird, streckte bei den | |
panamerikanischen Spielen in Lima 2019 bei der Siegerehrung und dem | |
Abspielen der Nationalhymne die Faust in die Höhe, so wie es einst in dem | |
berühmt gewordenen Moment bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko die | |
Sprinter Tommie Smith und John Carlos taten. Anders als ihre beiden | |
Landsmänner damals wurde Berry nicht suspendiert, sondern mit einer | |
Bewährungsstrafe belegt. | |
Die 32-Jährige, die sich immer wieder lautstark gegen Rassismus und | |
Polizeigewalt engagiert, hat sich vorbehalten, Ähnliches auch in Tokio zu | |
machen. Sie werde ihr Gefühl in dem Augenblick entscheiden lassen. | |
23 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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