# taz.de -- Athletensprecherin Miller über Olympia: „Wir brauchen rote Linie… | |
> Mareike Miller, Vorstandsmitglied vom Verein Athleten Deutschland, | |
> erklärt, was Sportler an den Spielen in China besorgt und was getan | |
> werden muss. | |
Bild: Mit Vorfreude und mulmigem Gefühl: Mitglieder des deutschen Teams bei An… | |
taz: Frau Miller, die große Mehrzahl der Athleten freut sich auf die | |
Olympischen Spiele in Peking. Das hat Thomas Weikert, der Präsident des | |
Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), behauptet. Nehmen Sie das auch so | |
wahr? | |
Mareike Miller: Ich habe schon den Eindruck, dass sich die Athleten aus | |
sportlicher Perspektive auf die Olympischen und auch Paralympischen Spiele, | |
auf die sie so lange hingearbeitet haben, sehr freuen. Aber natürlich | |
reisen viele mit einem mulmigen Gefühl dorthin, weil die ganzen Umstände | |
Sorgen bereiten. | |
Sie sind im Präsidium von Athleten Deutschland e. V. Wie groß war der | |
Beratungsbedarf zuletzt? | |
Ich bin nicht mit dem Tagesgeschäft betraut, aber in den letzten zwei | |
Jahren sind allein schon durch die Pandemie die Anfragen stark angestiegen. | |
2021 haben sich über 115 Athleten an uns gewendet. | |
Um welche Themen geht es? | |
Das kann man nicht pauschalisieren. In Hinblick auf die Spiele in Peking | |
sind wir seit Sommer immer wieder in Austausch mit Athleten. Themen waren | |
hier Corona, [1][Menschenrechte,] Meinungsfreiheit, Datensicherheit und die | |
Boykottdiskussion. | |
Inwiefern war der sportliche Boykott ein Thema? | |
Ein sportlicher Boykott wurde zwar zu keinem Zeitpunkt gefordert, die | |
Athleten wurden von vielen aber gefragt, ob sie ihn für sinnvoll halten. In | |
den Gesprächen, die wir mit den Sportlern zu allen Themen rund um Peking | |
geführt haben, ging es auch um einen Austausch von Informationen. Es sind | |
teilweise Athleten in dieser Situation, die noch Schüler sind oder am | |
Anfang des Studiums. Man kann nicht erwarten, dass sich alle mit | |
internationaler Politik auskennen. | |
Der DOSB hat einen Leitfaden zu China für die Athleten erstellt, damit | |
sich diese dort „gut vorbereitet fühlen“. Grundsätzlich, heißt es, stün… | |
freier Meinungsäußerung nichts im Wege im Rahmen der olympischen Regeln. | |
Zugleich wird aber vor einer „negativen Reaktion des chinesischen Regimes“ | |
gewarnt, sollte man sich kritisch äußern. Ist das nicht eine Farce? | |
Das ist ein Riesenproblem. Nach der Drohung eines chinesischen Mitglieds | |
des Organisationskomitees hätte das IOC sich ganz klar von dieser Aussage | |
distanzieren müssen. Es ist Aufgabe des IOC, dass diese Veranstaltung auch | |
im Rahmen der eigenen selbst festgelegten Werte stattfindet. Das passiert | |
gerade nicht. Das IOC verhält sich passiv. | |
Der DOSB hat gesagt, man würde sich schützend vor seine Athleten stellen, | |
sollte es wegen kritischer Meinungsäußerungen zu Schwierigkeiten in China | |
kommen. Das klingt angesichts der eigenen Bedrohungsanalyse hilflos. | |
Das ist natürlich ein positives Signal des Verbandes, sich auf diese Weise | |
zu den Rechten der Sportlerinnen und Sportler zu bekennen und entsprechend | |
Unterstützung zuzusagen. Ich frage mich an der Stelle aber auch, wie das | |
funktionieren soll. | |
Kann man sich im Zweifelsfall auf das IOC verlassen? | |
Das kann man vorab schlecht absehen. Das IOC hat in der Vergangenheit wenig | |
dafür getan, dass man ihm vertraut. Auch jetzt fehlt jegliche Transparenz | |
bei wichtigen Fragen. Und ich glaube nicht, dass das IOC Festnahmen | |
verhindern kann. | |
Theoretisch hätte das IOC eine große Macht. Die Spiele könnten gestoppt | |
werden. | |
Das IOC hat in der Vergangenheit wirtschaftliche und politische Erwägungen | |
über seine menschenrechtliche Sorgfaltspflicht gestellt. Ich glaube daher | |
nicht, dass das IOC seine Macht für einen einzelnen Sportler einsetzen | |
würde. Besonders, wenn man sieht, wie sich [2][das IOC im Fall der | |
chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai positioniert hat]. Bis heute ist | |
ungeklärt, ob sie frei von Zwang und Druck handelte und ob alles für ihren | |
Schutz getan wird. Es geht dann auch bei den Spielen um TV-Rechte und die | |
Sorge vor finanziellen Einbußen. Für die Veranstalter und Organisatoren | |
bestehen da auch wirtschaftliche Zwänge. | |
Ohne die Athleten könnten die Olympischen Spiele nicht stattfinden, und | |
dennoch haben sie nahezu keine Macht und Rechte. Was muss sich ändern? | |
Das Vergabeverfahren der Spiele müsste transparenter gemacht werden. Die | |
Kriterien und finalen Entscheidungen müssten mit den Athleten verhandelt | |
werden, damit man die Diskussion nicht erst im Anschluss führt. Wir | |
Athleten wollen alle nicht, dass unser Sport Schaden anrichtet. Hier muss | |
es eine Debatte zu roten Linien geben. Sie ist schwierig zu führen, wenn | |
wie derzeit alle internationalen Sportler in solch komplexen Verfahren ohne | |
konkreten Austausch nur von einzelnen Personen in Gremien des IOC hinter | |
verschlossenen Türen vertreten werden. | |
Es braucht eine bessere internationale Interessenvertretung der Athleten? | |
Wie wichtig das ist, sieht man gerade in Deutschland. Seitdem wir | |
unabhängig organisiert sind, sind wir ganz anders in der Lage, zu vielem | |
Stellung zu beziehen und die Athleten besser zu vertreten. Wobei es ein | |
Grundproblem gibt: Es ist noch keine Option, Athletenvertretungen | |
international besser zu vernetzen, weil es sie in vielen Ländern gar nicht | |
gibt. | |
4 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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