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# taz.de -- Die Wahrheit: Frau Schwendinger der Greifvögel
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (126): Wie aus mehreren
> Arten zusammengesetzt wirkt der Sekretär, der schreitende Greif.
Bild: Sekretär meine Name: Wenn der Erdboden zum Diktat bittet
Der Sekretär, auch Geheimrat genannt, ist ein großer Vogel – so
eindrucksvoll, dass er das Wappentier des Sudans und der Republik Südafrika
ist. Dazwischen erstreckt sich auch ungefähr sein Verbreitungsgebiet. Er
ist größer als ein Storch, mit langen, kräftigen Beinen, deren obere
Hälften schwarz befiedert sind und deren untere wie Stelzen aussehen. Die
Brust ist weiß, ebenso die Flügel, die schwarze Schwingen haben, während
sein Gesicht leuchtend orange ist und der Rücken hellgrau. Er hat mit
Hornschuppen besetzte Saurierfüße und einen blaugrauen Schnabel, der dem
von Adlern gleicht, weswegen die Biologen ihn zu den Greifvögeln zählen.
Außergewöhnlich sind seine langen Wimpern an den großen dunklen Augen.
Seine ganze Erscheinung und sein langsames Schreiten wirken sehr feminin,
er ähnelt einem langbeinigen Model von Karl Lagerfeld. In der Anthologie
„Kreative Viecher“ meint die Autorin Susanne Halbeisen jedoch, er hätte
sehr „viel Ähnlichkeit mit Frau Schwendinger“. Das kann ich nicht
beurteilen.
Des Sekretärs Nackengefieder ist zu einer langen, schütteren Haube
verlängert, die aufgestellt oder an den Nacken angelegt werden kann. Die
einzelnen Federn sind zur Spitze hin schwarz. Möglicherweise geht der Name
„Sekretär“ auf dieses Merkmal zurück, da jene Federn wie hinter das Ohr
gesteckte Federkiele aussehen.
Als man damit noch schrieb, gab es nur männliche Sekretäre, und bei diesem
Vogel kann man Männchen und Weibchen sowieso kaum unterscheiden. Als Paar
sollen sie angeblich ein Leben lang zusammenbleiben. Aber das behaupten die
monogamiefixierten Naturforscher von vielen Tieren – meist zu Unrecht.
## Beamter im Gehrock
Seinen Namen verdankt der Vogel den Buren, die ihn „secretaris“ nannten,
weil er mit seinen Federkielen eine „gewisse Ähnlichkeit mit einem
frühneuzeitlichen Beamten im Gehrock hat“. Die erste Beschreibung des
Sekretärvogels, Sagittarius serpentarius, lieferte denn auch der
niederländische Naturkundler Arnout Vormaer (1720–1799), dem man ein
Exemplar vom Kap der Guten Hoffnung geschickt hatte.
Auf [1][kapstadt.org] heißt es: „Den Sekretärvogel können Sie in fast allen
Regionen von Südafrika beobachten. Er ist ein sehr bekannter Raubvogel.“ Im
Gegensatz zu allen anderen Greifvögeln jagt er zu Fuß und rennt mit
ausgestreckten Flügeln. Die haben eine Spannweite von bis zu zwei Metern
und sind vor allem für den Segelflug geeignet. „Im Flug ragen seine
Schwanzfedern über seine Beine hinaus. Zu seiner Beute gehören Insekten,
Vögel und andere Kleintiere. Er ist ebenso ein guter Schlangenjäger, die er
tötet, indem er sie tottrampelt.“ Deswegen lieben ihn die Einheimischen.
[2][Im Internet findet man ein Video], das einen gefangenen Sekretär zeigt,
dem man eine lebende, anderthalb Meter lange Schlange in sein Gehege gelegt
hat, um zu zeigen, wie er ihr mit großer Wucht den Kopf zertritt. Das ist
nicht die feine Art, so etwas zu inszenieren. Aber so sind fast alle
Youtube-Clips über den Sekretärvogel, was den Eindruck hervorruft: Dieser
große Raubvogel auf langen Beinen führt ein absolut abenteuerliches Leben.
Er kämpft mit Adlern und gefährlichen Giftschlangen, wird von Straußen
gejagt, von Kojoten umzingelt und verschlingt ansonsten gierig alles, was
da kreucht und fleucht.
## Kehricht der Aufklärung
Akustisch begleitet wird dieser Aufkläricht von unsäglichem, Spannung
versprechendem Getrommel oder laut und aufgeregt kommentierenden Milennials
im Safarilook. Der Sekretärvogel selbst ist dagegen Wikipedia zufolge
„wenig ruffreudig. Der häufigste Ruf ist ein kehliges Krächzen, das sich
bei Erregung zu einem heiseren Knurren steigern kann. Diese Laute sind
vorwiegend während der Flugbalz, aber auch bei der Begrüßung der Partner am
Nest zu hören.“
Im Ostberliner Tierpark habe ich noch nie einen Ton von den zwei
Sekretärvögeln, die sie dort halten, gehört. Und ich halte mich jedes Mal
lange vor dem Gehege dieser seltsamen Vögel auf, die wie aus mehreren Arten
zusammengesetzt wirken – Chimären – und keine Scheu haben, bis dicht an den
Maschendraht zu kommen, wenn man davor steht, Aug’ in Aug’ mit ihnen. Ihre
Pfleger haben ihnen dort in zwei Meter Höhe ein Nest gebaut, das sie
manchmal als Aussichtsplattform nutzen, aber nicht zum Brüten.Der
Tagesspiegel weiß, warum: „Es ist leider noch nicht zu einer Balz gekommen,
nach der das Weibchen befruchtete Eier in den Horst gelegt hätte. ‚Eine
Folge der Handaufzucht‘, sagt der Vogel-Kurator Martin Kaiser.
Die beiden Tiere, aus einem deutschen und einem englischen Zoo, seien auf
den Menschen geprägt und nähmen Artgenossen nicht als Kopulationspartner
wahr.“ Nur ihren Pfleger? Das kann schmerzhaft sein.
## Im hohen Gras
Die freien Sekretärvögel leben vorwiegend in Grassteppen mit lockerem
Bewuchs von Schirmakazien, auf deren Krone sie ihr geräumiges Nest bauen.
Die amerikanische Greifvogel-Schutzorganisation Peregrine Fund schreibt,
„ein Sekretärvogelpaar kann das ganze Jahr über zusammen in seinem Nest
schlafen oder sich auf anderen flachen Bäumen ausruhen.“ Auf ihrer
Internetseite heißt es weiter, dass Sekretäre auf der Suche nach
Beutetieren täglich 20 bis 30 Kilometer durch die Savanne streifen.
Für die Amis, die alles mit dem Auto erledigen, ist das anscheinend sehr
viel. Dabei müssen die meisten Kellner und Putzfrauen während ihrer Schicht
leicht mehr als 30 Kilometer gehen, um überleben zu können. Im Unterschied
zu ihnen unternehmen Sekretärvögel jedoch laut Peregrine Fund auch ihre
täglichen Wanderungen oft paarweise.
In der Nähe von Wasserlöchern können gelegentlich größere Konzentrationen
dieser Vögel auftreten. Dort versammeln sich viele verschiedene Tiere,
darunter auch welche, die als Beutetiere für sie infrage kommen. Um selber
zu trinken, müssen sie in die Hocke gehen, ebenso um ihre Beute
aufzunehmen. Schlangen und Kleinsäuger verschlingen sie ganz.
## Gewiefte Jäger
Die Sekretärvögel sind zwar gewiefte Jäger und verschmähen auch kleine
Insekten nicht, dennoch gilt ihre Art als gefährdet. Wie bei vielen anderen
Wildtieren sind sie in einem Großteil ihres Verbreitungsgebiets rückläufig
und die Art ist mancherorts ganz verschwunden.
„Obwohl diese Vögel“, so der Peregrine Fund, „sich in einigen vom Mensch…
geschaffenen Freiflächen aufhalten und dort jagen können, ist der Verlust
von Lebensraum immer noch ein großes Problem für diese Art. Gebiete, die
überweidet sind, lassen wenig Deckung für Beutetiere, sodass sie ziemlich
leer von Wildtieren sein können. Andere Gebiete werden für menschliche
Siedlungen und landwirtschaftliche Felder gerodet – alles Orte, an denen
ein Sekretärvogel nicht findet, was er zum Überleben braucht.“
Der Vogelpark Walsrode hat einen Sekretärvogel: „Socke“, der auf den
Rasenflächen frei herumläuft. Seine Fütterung ist ein Publikumsereignis.
Der Pfleger zieht dazu eine große Stoffschlange hinter sich her, die Socke
ihm zuliebe „tottrampelt“. Dafür bekommt er Fleischstückchen hingeworfen.
Um mehr zu bekommen, tritt er auch dem Pfleger heftig auf die Füße. Alle
lachen. Seit 2017 hat „Söckchen“ eine Beinprothese.
26 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.kapstadt.org/
[2] https://www.youtube.com/results?search_query=sekret%C3%A4r+vogel
## AUTOREN
Helmut Höge
## TAGS
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