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# taz.de -- Biologe über denkende Lebewesen: „Bitte vermenschlicht die Tiere…
> Auch tierische Lebewesen denken – wie wir Menschen. Der Verhaltensbiologe
> Karsten Brensing plädiert deshalb für einen neuen Blick auf Affen, Hühner
> und Co.
Bild: Kartografierende Biene
taz: Herr Brensing, es ist noch nicht lange her, da hieß es: Tiere können
nicht denken, sondern sind instinktgesteuert.
Karsten Brensing: Die Philosophen haben früher gerne zwischen dem
rationalen Menschen und dem instinktgesteuerten Tier unterschieden. Auch in
der Psychologie hieß es lange: Alles, was unterbewusst passiert, ist
instinktgesteuert. Aber im Prinzip war der Begriff „Instinkt“ nur ein Label
für etwas, was man nicht verstanden hat. Man hat jahrzehntelang vergeblich
versucht, ihn zu belegen. Deswegen sagt die Verhaltensbiologie heute: Es
gibt keinen Instinkt. Die eigentliche Frage ist, was Verhalten steuert. Es
sind zwei Mechanismen, die wir gut kennen: Denken und Fühlen. Und jedes
Tier mit einem einigermaßen entwickelten Nervensystem kann beides.
Wenn ein Tier denkt, wie kann man sich das vorstellen?
Für die meisten Menschen ist das Denken etwas, was scheinbar kein anderer
tut. Nun ist es aber so, dass in der Wissenschaft Denken graduell
betrachtet wird. Es sind bestimmte Funktionen und Prozesse in unserem
Nervensystem. Die einfachste Form ist die Objektpermanenz.
Das bedeutet?
Wenn eine Katze einer Maus hinterherflitzt und die verschwindet hinter
einem Baum, dann weiß die Katze genau: Die Maus muss noch da sein. Sie hat
ein Objekt permanent im Kopf und kann mit diesem Gedanken etwas anfangen.
Beim Pantoffeltierchen ist das anders. Wenn es auf eine Bakterie trifft,
der es gelingt wegzukommen, ist es für das Pantoffeltierchen so, als hätte
es die Bakterie nie gegeben.
Pantoffeltierchen denken also nicht, Katzen aber schon. Was wären
kompliziertere Formen des Denkens?
Der nächste Schritt wäre die Kategoriebildung. Wenn man einem Menschen
Gemälde von Picasso und Miró vorlegt, kann er sie auch ohne Kunstverstand
in zwei Stapel sortieren. Eine beachtliche Leistung, aber Bienen können das
auch. Ganz praktische Kategorien sind zum Beispiel: Alles, was auf mich zu
rennt, will mich fressen, also haue ich lieber ab. Und alles, was vor mir
wegrennt, ist Nahrung.
Das klingt, als wäre Denken ein sehr alter Prozess.
Schon lange vor dem Menschen hat es das Denken gegeben.
Ist die Unterscheidung zwischen Tier und Mensch daher obsolet?
Menschen passieren einen Test auf logisches Denken, manche Tiere passieren
den gleichen Test. Wenn Tiere das auch können, dann denken und verarbeiten
sie in dem Moment genauso wie wir. Das ist logisch, oder? Daher sage ich:
Bitte vermenschlicht die Tiere! Es gibt keinen Grund, es nicht zu tun, wenn
sie die gleichen Tests bestehen. Wir sind ja Tiere, evolutiv haben wir uns
zusammen entwickelt. Es ist völlig absurd, zu glauben, dass es irgendwie
anders ist.
Aber irgendeinen Unterschied muss es doch geben?
Viele Menschen glauben, dass nur wir Menschen eine Psyche haben, traurig
oder glücklich sein können. Aber die ganze Psychopharmakaforschung arbeitet
mit Tierexperimenten. Die getesteten Medikamente wirken bei uns, weil wir
genauso gebaut sind. Natürlich gibt es auch komplexere Formen des Denkens.
Aber fast alle Prozesse, die wir in unserem Alltag an den Tag legen,
managen wir mit unserem tierischen Gehirn.
Welche Prozesse sind das zum Beispiel?
Da sind Steuermechanismen, die dafür sorgen, dass wir den einen Kollegen
mehr mögen als den anderen. Wir zählen genauso wie Tiere soziale Leistung.
Wenn einer besonders nett zu uns war, werden wir soziale Gegenleistungen
erbringen. Wir wissen beispielsweise auch, dass Tiere nicht nur im Hier und
Jetzt leben. Alzheimerforschung macht man schließlich auch mit Mäusen. Das
würde nicht funktionieren, wenn sie keine Biografie hätten.
Was wäre denn eine hohe Form des Denkens bei Tieren?
Über sich selbst nachzudenken, wie wir Menschen es können, ist kognitiv
tatsächlich eine komplexe Geschichte. Da geht es darum, zwischen
verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen, „Difficult Choice“ heißt das. Das
wurde bei Ratten getestet. Man hat ihnen beigebracht, die Länge von Tönen
zu unterscheiden, das können sie in etwa so gut wie wir. Wenn sich Töne
aber nur um zwei Sekunden unterscheiden, wird es schwierig.
Und wie wurde das getestet?
Die Ratten hatten drei Optionen: Wenn sie am Experiment teilnehmen und
richtig liegen, gibt es eine fette Belohnung in Form von Schokoplätzchen.
Sonst gehen sie leer aus. Oder sie nehmen nicht teil und kriegen eine
kleine Entschädigung, ein Pellet. Und tatsächlich: In dem Moment, in dem
sich die Ratten nicht mehr sicher entscheiden konnten, haben sie nicht am
Experiment teilgenommen. Sie haben über sich selbst nachgedacht, haben
überlegt. Mittlerweile haben wir das auch an anderen Tieren getestet.
Mit der Größe des Gehirns hat das aber nichts zu tun?
Nein. Säugetiere wie wir Menschen denken nur an der Oberfläche des Gehirns.
Deswegen haben wir ein gefaltetes Gehirn und sonst viel Knautschmasse, die
gar nicht denkt. Vögel denken mit ihrem ganzen Gehirn, dadurch kann es auch
kleiner sein. Je komplexer ein Gehirn aufgebaut ist, desto komplexer sind
auch die Denkprozesse.
Was wäre ein Beispiel für komplexe Denkprozesse?
Es gibt beeindruckende Experimente über die Theory of Mind. Das ist die
Vorstellung darüber, dass auch andere Lebewesen denken. Damit kann man
unter bestimmten Bedingungen das Verhalten von anderen vorhersagen, weil
man sich in sie hineinversetzen kann. Das hat man bei Raben zeigen können,
bei Schimpansen später.
Was unterscheidet uns denn dann noch vom Tier?
In unserem Alltag denken und fühlen wir nicht sehr viel anders, als ein
Tier das auch tun würde. Wenn es jetzt darum geht, ein Gespräch zu führen,
reichen einfache Steuerungsmechanismen aber nicht mehr. Wir müssen abstrakt
werden, uns schnell sehr viel merken können. Da wird es komplizierter.
Dennoch wären viele überrascht, was kognitiv in den Köpfen von Tieren vor
sich geht.
Wie stehen Sie mit diesem Wissen dazu, Tiere zu essen?
Ethisch ist das kompliziert. Philosophen argumentieren oft damit, dass
Tiere keinen Besitz kennen und sich folglich auch nicht selbst besitzen
können. Daher sei es legitim, dass wir sie in Besitz nehmen und mit ihnen
machen, was wir wollen. Doch diese Annahme ist falsch! Der sogenannte
Endowment-Effekt oder Besitztums-Effekt wurde sogar bei Schmetterlingen
nachgewiesen. Der Respekt vor dem Besitz anderer ist uralt und tief in den
Genen der meisten Tiere verankert.
Und essen Sie selbst Tiere?
Ich bin als Fleischfresser aufgewachsen, eine meiner schönsten Erinnerungen
an meinen Vater ist, wie ich mich mit ihm in die Speisekammer geschlichen
habe und wir uns dort eine Riesenscheibe Salami abgeschnitten haben. Mir
schmeckt Fleisch, aber ich freue mich über jede neue Alternative. Ein
Schwein, ein Rind oder einen Vogel zu essen, ist für mich schon seit vielen
Jahren undenkbar.
11 Feb 2022
## AUTOREN
Julia Weinzierler
## TAGS
Tiere
Fische
Biologie
Denken
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