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# taz.de -- Die Wahrheit: Spionage mit Flügeln
> Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (127): Vogelinseln sind
> als Beobachtungsposten beliebt in der Literatur.
Bild: Ein Vogelbeobachter beachtet ein Nest mit Eiern eher nicht
Im Jahr 1966 gingen wir von der Insel Neuwerk übers Watt zur Vogelinsel
Scharhörn, wo nur ein Vogelwart lebte. Da man vor der nächsten Flut nicht
zurückkonnte, übernachteten wir dort auf Holzpritschen. Wir fanden Hunderte
angeschwemmte Badelatschen im Sand und ebenso viele salzig schmeckende
Orangen. Die Vögel machten einen Heidenlärm.
Es brüteten dort etwa 8.000 Paare – Brandgänse, Austernfischer,
Sandregenpfeifer, Heringsmöwen, Silbermöwen, Sturmmöwen, Lachmöwen,
Feldlerchen und Wiesenpieper, erzählte uns der Vogelwart. Wenn ihre Jungen
flügge sind, beginne dort für ihn die schönste Zeit, meinte er, denn dann
werde es ruhig und die Vögel würden die Zeit, bis das Wetter ungemütlich
werde, genießen. Außerdem kämen weitere Singvögel und Watvögel auf die
Insel, die auf ihrem Zug nach Süden Rast machen.
Im Jahr 2013 erschien ein Roman von Uwe Timm, „Vogelweide“, der auf
Scharhörn spielt. Die Hauptperson, der Vogelwart, ist jedoch kein
engagierter „Bird-Watcher“, sondern ein gescheiterter IT-Unternehmer. Seine
Hauptbeschäftigung auf der Insel besteht aus Erinnerungen an Frauen, mit
denen er intime Beziehungen hatte. Eine besucht ihn. Es ist also kein Roman
über die Vögel, auch wenn der Autor sich einige Seiten lang über
Kampfläufer auslässt – für die er die Eintragung in „Brehms Tierleben“
nutzte; zudem sind die Kampfläufer dort nur Durchzügler.
Im Jahr 2016 sah ich von Weitem eine weitere Vogelinsel: in der Schlei vor
Schleswig. Sie wird Möweninsel genannt und von einem „Möwenkönig“ bewach…
Früher brüteten dort vor allem Lachmöwen – bis zu 10.000 Paare. Bis 1989
durfte der Möwenkönig gegen Pacht ihre Eier einsammeln und als Delikatesse
verkaufen. Als man aber feststellte, dass diese immer mehr Schadstoffe
enthielten, weil sich die Möwen statt von Fischen auf einer Müllkippe
ernährten, wurde der Verzehr der Eier vom Land Schleswig-Holstein verboten.
Heute versucht der Möwenkönig bloß noch zu verhindern, dass Neugierige die
Insel betreten. Seit 2000 brüten dort nur etwa 250 Lachmöwen-Paare, jedoch
vermehrt Silbermöwen- und Heringsmöwenpaare, sowie Flussseeschwalben und
Graugänse.
## Janßen und de Walmont
Im Jahr 2021 erschienen gleich zwei Bücher, die auf Vogelinseln im Watt
entstanden: „Der Inselvogt von Memmert“ – von Enno Janßen sowie „Und a…
Rändern nagt das Meer. Sieben Monate auf der Vogelinsel Trischen“ von Anne
de Walmont, die zuerst einen Blog für den Nabu verfasste. Die Insel Memmert
liegt nahe Juist im Nationalpark Wattenmeer Niedersachsen. Und die „'Perle
Trischen“ vor Dithmarschen im Nationalpark Wattenmeer Schleswig-Holstein.
Der ostfriesische Fischersohn Enno Janßen ist seit 2003 Vogelwart auf
Memmert. Die ebenfalls an der Nordseeküste aufgewachsene Bird-Watcherin
Anne de Walmont verbrachte 2019 eine Brutsaison auf Trischen und arbeitet
sonst als Schneiderin in Bremen.
Für den Geheimdienstler und „Bird-Watcher“ (ein Slangausdruck für Spion)
Maxwell Knight war die Spionage identisch mit Verhaltensbeobachtung. Um
Scharhörn, Trischen und Memmert spielt bereits der erste moderne
Spionageroman „Das Rätsel der Sandbank“ (1903) von Robert E. Childers: Zwei
englische Segler kommen hinter einen Plan deutscher Militärs, vom
Wattenmeer aus mit flachen Schiffen England zu erobern.
Die Wirkung des Romans war so stark, dass die britische Admiralität Winston
Churchill zufolge Flottenbasen in seichten Gewässern vor der Küste
einrichten ließ. Auch die Deutschen unternahmen Anstrengungen, um eine
Seeinvasion Englands im Wattenmeer abzuwehren.
## Angeln und Sachsen
Im 5. Jahrhundert hatte es tatsächlich eine Art Invasion von einem
„germanischen Sammelvolk“ – den an der Ostsee siedelnden Angeln und den an
der Nordsee siedelnden Sachsen – in England gegeben, weswegen man dort ein
verbumfiedeltes Plattdeutsch, Angelsächsisch, spricht. Neuerdings gefährden
vor allem fremde Tiere und Pflanzen den Frieden, sagen die
„Invasionsbiologen“.
„Auf Trischen brüten um die 20 verschiedene Vogelarten. Viele tief in der
Salzwiese versteckt. Einige mit nur einzelnen Brutpaaren, andere mit über
tausend in großen Kolonien“, schreibt Anne de Walmont, die „Brut-“ und
„Zugvogel-“ sowie „Watt-Kartierungen“ vornahm. Für die Brüter lief si…
Hilfe eines GPS-Gerätes bestimmte Routen durch die Salzwiese“ ab und
achtete „auf brutanzeigendes Verhalten“ – von Austernfischern,
Rotschenkeln, Wiesenpiepern, Feldlerchen, Bachstelzen und Rohrammern.
Irgendwann fing sie an, „mit den Vögeln zu reden“.
„Zu Beginn der Saison wurde ich fast täglich an der Hütte von einem
Wintergoldhähnchen begrüßt, manchmal auch von mehreren.“ Dieser winzige
Vogel hält sich meist auf Baumkronen auf, aber es gibt auf der Vogelinsel
keinen einzigen Baum. Die Autorin hatte „am meisten Kontakt“ mit
Rotschenkeln, eine Schnepfenart, die vor ihrer Hütte brütete. Sie
schimpften jedes Mal, wenn die Vogelwartin vor die Tür trat. „Ich konnte
die Hütte nicht mehr verlassen, ohne von einer ganzen Horde Rotschenkeln
eskortiert zu werden.“
## Sonntags nie
„Silber- und Heringsmöwen sind auf der Insel die häufigsten Brutvögel. Die
Möwen werden nach Arten getrennt gezählt und mit einem sogenannten
Korrekturfaktor von 0,7 multipliziert. So ergibt sich die Anzahl der
Brutpaare.“ Die Großmöwen fressen an Sonntagen Möwenküken, da fahren die
Krabbenkutter nicht aus.
Anfang Juni „bekommen viele Vogelarten auf Trischen ihren Nachwuchs. In den
letzten Tagen konnte ich schon erste Familien von Austernfischern im Watt
beobachten.“ Die Vogelwartin isst bei Springflut angeschwemmte Kohlköpfe.
Kormorane und Löffler brüten in Kolonien; um diese nicht zu stören, zählte
sie nur die verlassenen Nester.
Die Löffler sind die Lieblingsvögel des Inselvogts von Memmert, sie
gewöhnen sich leider nie an den Menschen. Viele Vögel haben dort „eine
Fluchtdistanz von mindestens 800 Metern“, alle schimpfen, wenn er
auftaucht. Wenn die Eiderente aufgescheucht wird, bespritzt sie ihre Eier
mit einer stinkenden Brühe. Von den 260 Kormoran-Brutpaaren stückeln die
einen ihre Nester schlampig zusammen, die anderen gestalten sie „technisch
und ästhetisch anspruchsvoll“.
Bis zu 160 Brut- und Rastvogelarten hat man allein auf Memmert gezählt. Die
Vögel finden hier auch reichlich Würmer, Muscheln, Schnecken und Krebse.
Der einsame Inselvogt findet: „Eher kann man sich mit Menschen als mit
Vögeln langweilen.“
16 Aug 2021
## AUTOREN
Helmut Höge
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