# taz.de -- Widerstand gegen Brasiliens Präsidenten: Bolsonaro in Bedrängnis | |
> Zehntausende protestieren gegen Jair Bolsonaro und selbst Konservative | |
> unterstützen eine Amtsenthebung. Trotzdem wird er wohl an der Macht | |
> bleiben. | |
Bild: Protest gegen Präsident Bolsonaro am Samstag in São Paulo, Brasilien | |
BERLIN taz | Die Geduld vieler Brasilianer*innen ist am Ende: Am | |
Wochenende gingen Zehntausende gegen die Regierung auf die Straße. Etliche | |
hatten Fotos von Verwandten dabei, die an Covid-19 verstorben waren. Viele | |
machen die Regierung von Präsident Jair Bolsonaro [1][für die mehr als | |
520.000 Coronatoten verantwortlich] – und die Pandemie hat das Land | |
weiterhin fest im Griff. Pünktlich zu den Protesten kam außerdem heraus, | |
dass tausenden Brasilianer*innen abgelaufene AstraZeneca-Impfdosen | |
gespritzt wurden. | |
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss untersucht seit zwei Monaten | |
den Umgang der Regierung mit der Pandemie. Vor einigen Tagen machte die | |
Kommission [2][brisante Vorwürfe öffentlich]: Bolsonaro habe von | |
mutmaßlicher Korruption im Zusammenhang mit einem Vertrag über den | |
indischen Covaxin-Impfstoff gewusst und nicht eingegriffen. | |
„Das Versprechen, die Korruption zu beenden, war der wichtigste Grund für | |
Bolsonaros Wahlsieg im Jahr 2018. Deshalb wird ihm der Skandal definitiv | |
schaden“, sagt Thomas Traumann, politischer Analyst und ehemaliger | |
Kommunikationsminister, der taz. Der Oberste Gerichtshof hat Ermittlungen | |
gegen Bolsonaro eingeleitet. | |
Die brasilianische Opposition hat derweil alle 120 Amtsenthebungsanträge | |
gegen Bolsonaro gebündelt und am vergangenen Mittwoch einen „Superantrag“ | |
eingereicht. Interessant ist: Neben linken Politiker*innen zählen auch | |
rechte Abgeordnete und ehemalige Bolsonaro-Verbündete zu den | |
Unterzeichner*innen. Dem Präsidenten werden schwere Vergehen im Umgang mit | |
der Pandemie vorgeworfen, die eine Amtsenthebung rechtfertigen könnten. | |
## Polarisierte Gesellschaft | |
Doch es ist unwahrscheinlich, dass es so weit kommt. Über die Aufnahme des | |
Verfahrens entscheidet der Präsident des Abgeordnetenhauses, ein | |
Verbündeter Bolsonaros. Und im Parlament genießt der Rechtsradikale bisher | |
noch die Unterstützung des centrão, des einflussreichen | |
Mitte-Rechts-Blocks. | |
Die Linke wirkte lange Zeit wie paralysiert und hatte der Regierung nur | |
wenig entgegenzusetzen. Das lag auch daran, dass aufgrund der dramatischen | |
Infektionszahlen Proteste nicht möglich waren. Nun scheint der Widerstand | |
gegen Bolsonaro in Fahrt zu kommen. In den letzten Wochen gingen wiederholt | |
Zehntausende auf die Straße. Auch viele Konservative haben sich aufgrund | |
der Coronapolitik von Bolsonaro abgewendet. Hitzig diskutieren Linke | |
darüber, ob man gemeinsam mit konservativen und rechten Bolsonaro-Gegnern | |
demonstrieren sollte. | |
Am Wochenende waren vor allem Linke auf der Straße. Nur in São Paulo waren | |
auch einige Konservative anwesend, es kam zu vereinzelten Rangeleien. Die | |
Gräben sind tief und die Gesellschaft extrem polarisiert. So ist es | |
unwahrscheinlich, dass es gelingen wird, eine breite Protestallianz gegen | |
Bolsonaro zu schmieden. | |
## Bolsonaros Umfragewerte im Keller | |
Dieser durchlebt derzeit die schwerste Krise seit seinem Amtsantritt am 1. | |
Januar 2019. Die sozialen Auswirkungen der Wirtschaftskrise machen sich | |
immer mehr im Alltag bemerkbar, die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau. | |
Durch den ausgebliebenen Regen droht vielen Regionen zudem eine schwere | |
Energiekrise, es könnte schon bald zu Stromrationierungen kommen. | |
Auch die spontane Ausrichtung des [3][Fußballturniers Copa América] ging | |
für Bolsonaro nach hinten los und wird von der Mehrheit der | |
Brasilianer*innen kritisch betrachtet. Die Zustimmungswerte für den | |
ultrarechten Präsidenten waren zuletzt abgestürzt und in den Umfragen für | |
die Wahl 2022 lag Bolsonaro weit [4][hinter Ex-Präsident Lula da Silva]. | |
Allerdings wird bis zur Wahl im kommenden Jahr noch viel passieren, das | |
Wahlverhalten in Brasilien ist oft unberechenbar und hat viel mit aktuellen | |
Entwicklungen zu tun. „Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft wieder | |
wachsen. Außerdem wird es ein neues Sozialprogramm geben, durch das arme | |
Menschen ein bisschen mehr Geld in der Tasche haben werden“, sagt Traumann. | |
„Bolsonaro wird sich schnell erholen können. Deshalb muss mit ihm auf jeden | |
Fall bei der nächsten Wahl gerechnet werden.“ | |
Ähnlich wie sein Idol Donald Trump versucht Bolsonaro permanent Unruhe zu | |
stiften. Zuletzt wetterte er erneut gegen das elektronische Wahlsystem und | |
erklärte, er werde die Wahlergebnisse nicht akzeptieren. Das wird von | |
vielen als Drohung verstanden, sich mit allen Mitteln an der Macht zu | |
halten. Für Bolsonaro könnte es dann vorteilhaft werden, dass er gezielt | |
seinen Einfluss in der Polizei und im Militär ausgebaut hat. Der | |
Politikexperte Traumann meint: „Der Staatsapparat steht komplett auf seiner | |
Seite und das wird Bolsonaro sicherlich zu nutzen wissen.“ | |
5 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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