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# taz.de -- Mietenwahnsinn in Berlin: Das Wohnungssyndikat
> Der Verein „Wohnraum für alle“ kauft Wohnungen auf. Sie sollen denen
> zugute kommen, die auf dem Mietmarkt sonst keine Chance haben.
Bild: Gar nicht so einfach und für viele schon gar nicht bezahlbar: Wohnen in …
Berlin taz | Nach dem gekippten Mietendeckel ist wieder der Wilde Westen
auf dem Berliner Wohnungsmarkt eingekehrt. Mieten werden erhöht,
Schattenmieten durchgesetzt, mit Wohnraum wird spekuliert. Die Mieten
steigen weiter, und für Mieter*innen wird es immer schwerer, Wohnraum zu
finden. Besonders betroffen von diesem Problem sind Menschen, die bei der
Wohnungssuche zusätzlich benachteiligt sind: Geflüchtete und
Migrant*innen etwa.
Genau für diese will sich nun der 2017 gegründete Verein „Wohnraum für
alle!“ vermehrt einsetzen. Die Idee: einzelne Wohnungen privat kaufen und
auf dem Wohnungsmarkt benachteiligten Personen zur Verfügung stellen. Im
März 2018 hat der Verein nach eigenen Angaben bereits eine Wohnung in
Spandau erworben, wo nun eine fünfköpfige geflüchtete Familie lebe.
Dabei sei die Idee aus der Not geboren worden, wie es in einer ersten
Pressemitteilung des Vereins heißt – und bei einem Praxisworkshop des
[1][Mietshäuser Syndikats] entstanden. Die Bildungsreferentin Beate
Flechtker, die sich in dem Verein engagiert, sagt, dass das Prinzip des
Mietshäuser Syndikats in Ballungsräumen nicht mehr funktioniere, weil ganze
Häuser kaum noch bezahlbar seien. Das Mietshäuser Syndikat ist eine nicht
kommerzielle Beteiligungsgesellschaft, die etwa Hausprojekten dabei hilft,
ihre Häuser in Kollektiveigentum zu überführen. Ziel des Vereins Wohnraum
für alle ist nun, das Prinzip im kleineren Maßstab anzuwenden, also bei
einzelnen Wohnungen anzusetzen, die auf diese Weise noch finanzierbar
seien.
Xiao Zhu, ein Betriebswirt, der sich ebenfalls in dem Verein engagiert,
sagt der taz: „Wir waren vorher bei Solizimmer aktiv, einem Verein, der
WG-Zimmer für Geflüchtete organisiert. Irgendwann wollten wir nicht mehr
nur mieten, sondern dauerhafte Lösungen. Dann kam uns die Idee, Wohnungen
für die gleiche Zielgruppe zu kaufen.“
## Ohne Hilfe durch den Bezirk
Aktuell will der Verein mehrere Wohnungen in der Friedrichshainer
Voigstraße erwerben. Die Bewohner*innen dort befürchteten nach
Umwandlung in Eigentum durch die vorherigen Vermieter*innen den
Rausschmiss. Um dies zu verhindern, habe Wohnraum für alle bereits eine
erste Wohnung im Februar 2021 gekauft, derzeit wird der Kauf einer zweiten
Wohnung im Haus vorbereitet, der dritte ist geplant. In der Voigtstraße
sehe der Verein auch dank engagierter Mieter*innen die Chance, dort nach
und nach weitere Wohnungen im Haus zu sichern – „und das ganz ohne
[2][Vorkaufsrecht]“.
Der Verein finanziert die Ankäufe „über eine Mischung aus Bank- und
Direktkrediten von solidarischen Privatpersonen“, wie es heißt –
finanzwirtschaftlich seien diese den Nachrangdarlehen vergleichbar. Dabei
gebe es für Geldgeber bis zu 1 Prozent Zinsen. Wenn man das Geld zurück
brauche, könne man den Kredit mit einer drei- bis fünfmonatigen Frist
wieder kündigen, sagt Zhu, angelehnt an die Modelle des Mietshäuser
Syndikats – bloß in kleinerem Maßstab. Sechsundsechzig private
Kreditgeber*innen gebe es bereits.
Derzeit wirbt der Verein um mehr Unterstützer*innen, „die ihr Geld sicher
und sozial anlegen wollen“. Dann könne man in Zukunft auch „bei teureren
Wohnungen zugreifen“, wie Zhu sagt. Natürlich sei es keine Geldanlage mit
Rendite, sondern nur eine Möglichkeit, sein Geld zu parken und „einen
gesellschaftlichen Zweck zu unterstützen“, so Zhu. Für die erste Wohnung in
Spandau hätte Wohnraum für alle im Freundeskreis als Eigenkapital 30.000
Euro gesammelt, um mit einem 70.000-Euro-Kredit die 100.000 Euro teure
Wohnung zu erwerben. Für Reparaturen und Sanierungen bilde man aus den
Krediten rund 10 Prozent Rücklagen.
Der Verein sucht weiter nach günstigen Wohnungen, bei denen sich ein
derartiges Finanzierungsmodell lohnt – also etwa, wo Umwandlung in Eigentum
droht und Mieter*innen Eigenkapital haben oder die Wohnung nicht allzu
teuer ist – eine günstige Vermietung also finanzierbar wäre.
Zukünftigen Missbrauch seines wachsenden Wohnraumbestands schließt der
Verein aus: Der Zweck sei in der [3][Vereinssatzung] festgeschrieben, eine
Änderung nur per Dreiviertelmehrheit der Mitglieder möglich, die
hauptsächlich flüchtlingspolitisch organisierte Menschen sind. Zudem sind
auch fluchtpolitische Organisationen wie der Flüchtlingsrat und Solizimmer
Mitglied, sodass eine Umwidmung des Vereinszwecks undenkbar sei.
Der genaue Satzungszweck heißt: „Er verfolgt den Zweck, Mieter*innen,
vorrangig Geflüchteten und Migrant*innen, das Leben in eigenem Wohnraum zu
ermöglichen. Dieser Wohnraum soll nachhaltig, sicher und sozial gebunden
sein, um das Recht auf Wohnraum für alle umzusetzen.“
Die Mieterschaft in der Voigtstraße 36 ist bunt gemischt, heißt es von
Wohnraum für alle. Es seien nicht nur Geflüchtete begünstigt, ausziehen
muss dort allerdings niemand. „Wir wollen keine Gruppen gegeneinander
ausspielen, deswegen schmeißen wir natürlich niemanden raus, um dann
Geflüchtete einziehen zu lassen“, sagt Vereinsmitglied Zhu. „Aber wenn wir
mehr Wohnungen kaufen und wachsen, können wir langfristig mehr Wohnraum für
Geflüchtete anbieten.“
15 Jul 2021
## LINKS
[1] /Neue-Berliner-Stiftung/!5780108
[2] /Vorkaufsrecht-in-Berlin/!5779324
[3] https://www.wohnraum-fuer-alle.org/impressum/
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mietendeckel
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Mietenwahnsinn
Familie
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Milieuschutz
Volksentscheid
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