# taz.de -- Lern- und Gedenkstätte in Berlin-Dahlem: Nicht einfach entsorgen | |
> Die Forderung, das ehemalige KWI-Institut in Dahlem zu einer Gedenkstätte | |
> umzubauen, steht im Raum. Noch befindet sich die Debatte am Anfang. | |
Bild: Die Rückseite des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin-Dahlem | |
Wie viel Nähe bedarf es für authentische Erfahrung? Wie viel Quadratmeter | |
müssen zwischen historischem Ort und angenommener Gefühlslage liegen? Und | |
wo dient ein „Faktencheck“ nicht der Aufklärung, sondern dazu, | |
unwillkommene Forderungen abzuwehren? Zum Beispiel die an die | |
Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die, statt sich proaktiv in die Debatte um | |
den Gedenk- und Lernort Dahlem einzuschalten, Verantwortung verschiebt und | |
[1][die „unbequemen Knochen in Dahlem“, von denen vergangene Woche auf | |
dieser Seite berichtet wurden,] möglichst geräuschlos zu entsorgen. | |
Die Erfahrungsnähe wird Jona Laks, einer der letzten Überlebenden der | |
Zwillingsexperimente in Auschwitz, wohl niemand in Abrede stellen wollen. | |
2001 war sie mit anderen Opfern der biowissenschaftlichen NS-Verbrechen | |
eine Woche lang zu Gast im MPG-Forschungsprogramm zur Geschichte der | |
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im NS. Sie besuchte das [2][ehemalige Gelände | |
des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und | |
Genetik (KWIA)] und das Archiv in der Boltzmannstraße, bevor sie als | |
Repräsentantin der „Mengele-Zwillinge“ bei der Gedenkveranstaltung der MPG | |
die Erinnerung an diese Verbrechen einforderte. Wie Eva Mozes Kor, die | |
später für eine TV-Dokumentation auf der Treppe des KWIA stand, hatte sie | |
keine Ahnung davon, was der ehemalige Institutsgarten beherbergt. | |
Im genannten Beitrag wurde eingangs darüber sinniert, was die Frauen wohl | |
empfunden hätten, wäre ihnen bewusst gewesen, dass sie wohl auf den | |
vergrabenen Knochen des KWIA standen, die nun allmählich freigelegt werden. | |
Nun hat es sich der interviewte Berthold Neizert von der | |
Max-Planck-Gesellschaft angelegen sein lassen, festzustellen, dass „die | |
öffentliche Entschuldigung der MPG und das Gespräch des MPG-Präsidenten mit | |
den Opfern am 7. Juni 2001 in der Fritz-Haber-Villa, Faradayweg 8, und | |
nicht auf dem Gelände des ehemaligen KWIA, Ihnestraße 22/26 stattgefunden“ | |
habe. | |
So viel Genauigkeit muss sein. Die Generalverwaltung der MPG hätte ja eher | |
den Teufel berufen als den FU-Präsidenten damals zu bitten, das | |
kontaminierte Gebäude, um das es nun diesen Wirbel gibt, für einen solchen | |
Bittgang zur Verfügung zu stellen. | |
Zur [3][Eröffnung des Dokumentationszentrums „Flucht, Vertreibung, | |
Versöhnung“] hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich angemahnt, dass | |
Erinnerung eines Ortes bedürfe. Auf 5.000 Quadratmetern wird dort derer | |
gedacht, die in Kriegen ihre Heimat verlassen mussten. Deshalb sollten | |
menschliche Überreste aus Auschwitz oder anderswoher nicht mehr unbeachtet | |
neben einem Berliner Krematorium entsorgt werden. | |
2 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Baureithel | |
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